Der Schweizer Kleinunternehmer reiste zur Bombardier-Niederlassung im schwedischen Vestas, dann zur Filiale im deutschen Görlitz und am Ende auch noch zu jener in Berlin. Überall stellte er seine Produkte vor, die für den Einbau in die neuen Züge der SBB in Frage kamen. In den Wochen darauf besuchten ihn Bombardier-Vertreter aus den drei Werken. Der Aufwand schien sich zu lohnen, die Signale vom kanadischen Bahntechnik-Giganten waren positiv - so deutete der Unternehmer jedenfalls die Äusserungen der Einkäufer.

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Doch die Aufträge gingen an andere Lieferanten aus dem Ausland. Der Schweizer Produzent hatte nicht einmal gewusst, dass diese überhaupt im Rennen waren. «Ich war schockiert», erzählt er.

Delegation will Auskunft

Im Mai 2010 vergaben die SBB einen mit über 1,8 Milliarden Franken dotierten Auftrag zur Herstellung von 59 neuen Doppelstockzügen. Es war die grösste Bestellung überhaupt in der Geschichte der Schweizerischen Bundesbahnen. 436 vollklimatisierte Wagen mit 36 000 Sitzplätzen darf der Sieger der hart umkämpften Ausschreibung herstellen. Den Zuschlag erhielt die kanadische Bombardier. Dennoch hofften viele Schweizer Eisenbahnzulieferer auf Aufträge. Denn der Bahntechnik-Konzern hatte versichert, dass rund 60 Prozent der Wertschöpfung in der Schweiz anfallen werde. Heute fragen sich viele in der Eisenbahnbranche, wie die Kanadier dieses Ziel schaffen sollen. «Wir sehen derzeit noch nicht, wie Bombardier die Schweizer Wertschöpfung von 60 Prozent erreicht», sagt etwa Michaela Stöckli, Direktorin des Schweizer Eisenbahnzulieferer-Verbandes Swissrail. Die Stimmung unter den Lieferanten ist angespannt, eine Reihe von Mitgliedern wandten sich in ihrer Enttäuschung schon an den Verband.

Projektleiter springt ab

In diesen Tagen wird eine fünfzigköpfige Delegation von Swissrail-Mitgliedern deshalb zu Bombardier in Zürich Oerlikon reisen, wie Stöckli bestätigt. «Wir wollen wissen, wie viel der Konzern tatsächlich bei Schweizer Lieferanten bestellt.» Von Krisenstimmung redet die Verbandsdirektion nicht, zu viel steht auf dem Spiel. Den Besuch bei Bombardier wertet sie daher «als positiven Schritt». Überhaupt ist sie voll des Lobes über die Schweizer Niederlassung von Bombardier. Dort habe man für die Sorgen der Zulieferer ein offenes Ohr. Und Stöckli gibt sich optimistisch. Noch sei ein Schweizer Anteil von 60 Prozent machbar.Doch das europäische Machtzentrum Bombardiers sitzt nicht in der Schweiz. Darauf deutet ein gewichtiger Abgang bei Bombardier hin: Daniel Forrer, der Leiter des siegreichen Zugprojekts, kündigte Ende Jahr. Er kommentiert die Gründe für seinen Abgang nicht. Auch Stéphane Wettstein, Chef von Bombardier Transportation Schweiz, nimmt keine Stellung. In der Branche ist es jedoch ein offenes Geheimnis: Der Projektleiter schmiss aus Enttäuschung hin. «Bombardier Schweiz zog einen riesigen Auftrag an Land, trotzdem hatte Forrer als lokaler Vertreter und Projektleiter immer weniger zu sagen», sagt eine gut informierte Person. Ein anderer Insider schildert, dass sich nach einem Wechsel in der Führungsetage im Bombardier-Werk in Görlitz die Situation der Schweiz verschlechterte. Die hiesigen Lieferanten hätten keine Rückendeckung mehr gehabt. Kaum sei der Auftrag durch die SBB vergeben worden, hätten sich die Deutschen nach eigenen Lieferanten umgesehen - ohne Absprache mit der Schweiz.Der Abgang des Projektleiters ist ein Rückschlag für Bombardier. Forrer war für die Entwicklung des neuen SBB-Zuges zuständig und ist anerkannter Fachmann. Das zeigt sich auch daran, dass er sehr schnell einen neuen Job gefunden hat: Er wechselt zum Konkurrenten Stadler Rail, wie mehrere Quellen bestätigen. Bombardier-Manager Wettstein will den Wechsel nicht überbewerten. «Das Projekt ist gut geführt, wir halten alle Termine ein.» Wettstein wehrt sich auch gegen den Vorwurf, Bombardier Schweiz habe an Einfluss verloren. «Görlitz ist das Kompetenzentrum von Bombardier für Doppelstockwagen.» Im dortigen Werk wurden in den letzten 20 Jahren 2500 Doppelstockwagen gebaut. Andere Teile werden an andern Standorten entwickelt, auch in der Schweiz. Wettstein räumt aber ein: Für einige Lieferanten sei es eine Herausforderung, eine neue Beziehung zum Bombardier-Werk in Görlitz aufzubauen.Das bestätigen die Lieferanten auch direkt. Es sei unklar, wer bei Bombardier zuständig sei, sagt der Vertreter einer Kleinfirma, die nicht genannt werden will. Ein anderer Zulieferer erzählt, nach Eingabe der Offerte bei Bombardier im Ausland herrsche wochenlang Schweigen - «und dann wird Knall auf Fall entschieden».Enttäuscht worden sind nicht nur kleine Firmen, sondern auch Branchengrössen wie Alcan. Bisher war der Schweizer Ableger des Aluminiumriesen fast alleiniger Lieferant der Profile für Doppelstockwagen in ganz Europa. Dass man jetzt nicht zum Zug kam, sei eine herbe Enttäuschung. «Der Auftrag wäre für uns ein Prestigeprojekt gewesen», sagt Giorgio Destefani von Alcan. Er ging an die chinesische Midas.Offiziell sollen die Kosten den Ausschlag gegeben haben. «Der Preis war ein Kriterium», sagt Bombardier-Schweiz-Chef Wettstein. Alcan-Manager Destefani räumt ein, dass der starke Franken Probleme gemacht habe. Dennoch habe man den Nachteil fast wettgemacht: «Am Schluss blieb eine ganz kleine Differenz.»

Wunschziel China

Bei der Auftragsvergabe an Midas dürften andere Gründe eine Rolle gespielt haben. Bombardier hat grosses Interesse daran, im Zukunftsmarkt China stärker Fuss zu fassen. Der Konzern pflegt mit Midas eine langjährige Partnerschaft. Die Chinesen wollen ihrerseits ins Ausland expandieren. Und da kommt die Bestellung der Wagenteile durch Bombardier genau recht: Das Projekt ist der grösste internationale Auftrag für die Chinesen überhaupt, Midas-Firmenchef Patrick Chew zeigte sich erfreut: Dank diesem Auftrag «sind wir in einer guten Position, um unsere Exportaktivitäten auszuweiten». Ein Projekt in der qualitätsversessenen Schweiz ist für den Konzern aus China Gold wert.

Kampf geht weiter

Swissrail kämpft derweil weiter für ihre Schweizer Lieferanten. Rechtlich hat der Verband keine Handhabe, weil eine Bevorzugung von Schweizer Lieferanten nicht in die Verträge geschrieben werden kann - so wollen es die Wettbewerbsregeln gemäss WTO. Stöckli hofft nun auf die Politik. Diese müsse sich bei künftigen Ausschreibungen überlegen, wie sich der Ausschreibungswettbewerb und die Förderung des Industristandorts Schweiz besser verbinden lassen. Auch der Verbandsdirektorin ist klar: Man kann einen Lieferanten nicht einfach berücksichtigen, weil er einen Schweizer Pass hat. Doch für sie sind einige Begründungen Bombardiers für Absagen nicht nachvollziehbar: «Wenn ein Lieferant im Ausland nur etwas billiger ist, nicht aber besser, dann verstehe ich das nicht.» Bombardier-Mann Wettstein will das nicht gelten lassen: Bombardier habe bereits Schweizer Lieferanten berücksichtigt, die teurer seien. Darum ist er zuversichtlich: «Die Wertschöpfungsquote von rund 60 Prozent können wir ungefähr einhalten», sagt er.