Apple erlaubt seinen Kunden, dicht verschraubte und verklebte iPhones bald selbst auseinanderzunehmen und zu reparieren.
Auf dem Papier klingt das gut: Verbraucherrechte werden gestärkt. Der Kunde ist sein eigener Techniker. Den Weg zum Apple-Shop oder in eines der von Apple lizenzierten Fachgeschäfte kann sich der Konsument damit sparen, wenn mal der Bildschirm defekt, das Telefon nicht mehr funktioniert oder der Akku getauscht werden muss. Werkzeuge und Ersatzteile dafür kann er selbst beziehen – freilich von Apple.
In der Realität sieht es anders aus: Die Komponenten sind miniaturisiert und komplex verbaut. In den Fachgeschäften und Apple-Stores wird das Technikpersonal geschult und ausgebildet. In den eigenen vier Wänden ist der Konsument hingegen ein Laie. Da kann mehr schiefgehen als gelingen.
Seit dem Start des iPhones vor 14 Jahren ist die Reparatur in Eigenregie durch den Kunden, die Kundin eine wiederkehrende Forderung von Konsumenten- und Umweltschützern. Um die Verbraucherrechte zu stärken, aus Alt wieder Neu zu machen. Und das in Eigenregie, ohne kompliziertes Einreichprozedere und lange Wartezeiten in den Service-Abteilungen der Fachgeschäfte, Apple-Shops und Premium Reseller. Das soll auch der Umwelt helfen, weil weniger Geräte in der Schublade, auf dem Müll oder in den Recyclinganlagen landen und länger genutzt werden können.
Auch musste sich der Konzern bereits kartellrechtliche Einwände der Politik in den USA und in Europa gefallen lassen, dass nur wenige und ausgewählte Apple-Partner Reparaturen vornehmen dürfen. Das soll ab Anfang 2022 jeder Konsument können. Aber vorerst nur in den USA und im Laufe des Jahres dann auch in Europa.
Nur: Wer hat das technische Know-how und die Fertigkeit, das so zu tun, dass es nicht zu weiteren Beschädigungen führt oder zu Streitigkeiten bei Garantieleistungen kommt?
Ein PR-Coup?
Apples «Right to Repair»-Aktion ist eher ein PR-Coup. Nach dem Motto: Lieber Konsument, liebe Konsumentin, wir stärken das Recht auf Selbstbestimmung, du kannst dein Gerät jetzt selber warten und reparieren. Aber wenn etwas schiefläuft, zahlst du drauf.
Für diese Argumentation gibt es mehrere Gründe:
Erstens: Von der neuen Autonomie beseelt, werden Kunden in grosser Zahl Ersatzteile kaufen. Das lässt vor allem die Kasse bei Apple klingeln.
Zweitens: Es braucht spezielle Tools, die wohlgemerkt von Apple speziell für die Eigenreparatur verkauft werden sollen. Denn nur das Original ist echt. Auch das ist ein Umsatzbringer.
Drittens: Wenn die Reparatur in Eigenregie nicht klappt, bleibt einem der Weg zum Techniker oder in den Apple-Store trotzdem nicht erspart. Nur mit dem Unterschied, dass man es vorher selbst versucht und für viel Geld Ersatzteile und Werkzeuge bei Apple gekauft hat. Und für weitere Ersatzteile und allfällige professionelle Reparaturen auch ein weiteres Mal bezahlen muss. Ganz zu schweigen von den Garantieleistungen, die es noch zu klären gilt.
Viertens: Das neue Kundenrecht von Apple beschränkt sich fürs Erste auf die Modelle iPhone 12, iPhone 13 und M1-Max-Geräte, also die neuesten und leistungsfähigsten, aber auch die komplexesten Smartphones und Computer des US-Konzerns. Sämtliche anderen Produkte, die aufgrund des Produktalters eher eine Reparatur vertragen würden, sind davon erst einmal nicht erfasst. Ob und wann «Right to Repair» auf andere – und vor allem ältere Produkte – ausgeweitet wird, ist bisher unklar.
Schwierige Beweisführung
Unklar ist auch, wie Apple damit umgehen wird, wenn der Kunde das zuerst selbst reparierte Handy doch zur Reparatur bringen muss, weil es nicht geklappt hat. Nicht jeder Konsument ist ein Experte in Sachen Hardware und Heimelektronik. Bei mehr als hundert Millionen iPhone-Käufern darf man davon ausgehen, dass es sehr viele sind, die nicht wissen, wie man mit den Geräten und Komponenten korrekt hantieren muss.
Verfällt dann die Garantie? Hat das Auswirkungen auf den Wiederverkaufswert und das Trade-in-Programm von Apple? (Über das Trade-in-Programm können Kundinnen und Kunden ihr Altgerät zu einem von Apple bestimmten Wert für ein Neugerät eintauschen.) Diese Fragen werden von Apple bis dato nicht beantwortet.
Es müsste also von Apple im Fall des Falles auch festgestellt werden, ob der Kunde das Gerät fachgerecht behandelt hat. Eine Beweisführung für die (un-)sachgemässe Reparatur dürfte sowohl auf Apple- als auch auf Kundenseite kompliziert werden.
Das heisst, zusätzlich zum Versuch der Eigenreparatur mit den von Apple verkauften Werkzeugen und Ersatzteilen kommt die Rechnung für die Reparatur vor Ort, wenn es schiefgeht.
Auf den ersten Blick wirkt die Aktion von Apple so, als ob durch das «Right to Repair»-Programm Verbraucherrechte gestärkt würden. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich dies aber bis jetzt als Marketingmassnahme und die Möglichkeit, zusätzliche Dienstleistungen und Produkte zu verkaufen.