Bald langweilig wird das bisschen Rezession in den USA. Das wahre Grausen hingegen kommt aus Japan. Denn die klassischen Rezepte wie staatliche Geldspritzen und tiefe Zinsen verpuffen dort seit Jahren – schlimmer, die Grippe könnte aus Asien schliesslich auf die USA, dann auf die Welt übergreifen. Dann aber wäre es nicht mehr langweilig, sondern umwerfend dramatisch.

Während die Notenbank unter Alan Greenspan auszog, die Inflation einzudämmen, kämpft Japan mit Deflation. Das ist eine ganz neue Geschichte, und noch neuer für die Wirtschaftspolitik ist heute, dass die Ins- trumente aus den Dreissigerjahren gegen die japanische Deflation nicht wirken. Diese Ins- trumente sind schon ausgiebig begutachtet worden: riesige Ankurbelungsprogramme auf Kredit durch die Staatskasse und Gratisgeld durch die Bank of Japan. Die Dosis wurde laufend erhöht, das nunmehr zehnte Ankurbelungsprogramm hebt die Staatsschulden auf 170 Prozent des Bruttosozialprodukts.

Damit ist bereits derart grosses Misstrauen unter japanischen und ausländischen Anlegern entstanden, dass sie in Japan nur noch sparen und kein Geld ausgeben. Das Gratisgeld seinerseits wirkt nicht, weil der Realzins für Japaner dennoch hoch ist. Denn das Gratisgeld der Notenbank wird von den Geschäftsbanken für etwa 1,5 Prozent an die Kunden ausgeliehen. Doch weil die Preise in Japan um ein bis zwei Prozent jährlich sinken und weil einige Preise, beispielsweise für Liegenschaften, um vier bis fünf Prozent pro Jahr nachgeben, kosten Schulden eben – real – insgesamt fünf bis sieben Prozent im Jahr.

Solch prohibitive Spitzensätze bremsen jeden Boom, von ihrer Wirkung in einer Flaute gar nicht zu reden. Das Gratisgeld wirkt ausserdem nicht mehr, weil viele Anleger es entlehnen und umgehend anderswo platzieren. Beispielsweise belehnen österreichische Banken Häuser im schweizerischen Rheintal mit billigsten Yen-Hypotheken. Aber auch in ausländische Börsen steckt man dieses Gratisgeld. Die Folge: Der Yen sinkt und sinkt, und damit beginnt die Ansteckung über Japans Grenzen hinaus. Die Deflation unterminiert die Weltwirtschaft. Denn mit dem sinkenden Yen und der amerikanischen Wachstumsrezession könnten die zwei wichtigsten Handelsbilanzen der Welt in Passgang geraten: Sie würden gleichzeitig die Importe bremsen und damit die Rezession exportieren. Vor allem die asiatischen Nachbarn Japans zittern um ihre Exporte ins Inselreich, da bereits die Technologiefirmen der USA nichts mehr kaufen. Fast die Hälfte ihrer Exporte stehen in Konkurrenz zu jenen Japans, und wenn die Hightech-Exporte in die USA nur schon um 20 anstatt wie bisher um 30 Prozent wachsen, fällt das Wachstum Südostasiens um gegen zwei Prozentpunkte. China seinerseits schickt die Hälfte seiner Exporte in die USA und nach Japan.

Die kleineren Länder des Südens behelfen sich mit einem einfachen Trick. Anstatt ihre Währungen am Dollar zu orientieren, lassen sie diese jetzt mit dem Yen fallen. Seit einem Jahr wertete so Asien ausserhalb Chinas um 11 Prozent gegenüber dem Dollar ab, Mexiko um fast 4 und Brasilien um 20 Prozent. «Die vierte Währung» neben Dollar, Euro und Yen ist also viel billiger geworden und verteidigt ihre Exporte. Die Spezialisten der Credit Suisse First Boston lenkten als Erste den Blick darauf und schreiben dieser Staatengruppe eine Schlüsselrolle im Konjunkturzyklus zu. Da also ihre Währung gesunken ist, ebenso aber auch der Yen (ebenfalls um über 15 Prozent) und der Euro (um 8 Prozent), steht der Dollarwert hoch und allein über der Weltwirtschaft – die US-Handelsbilanz kommt nie ins Lot. Der Dollarkurs könnte einbrechen, sobald sich dies herumspricht und niemand mehr Geld in die USA zur Anlage schickt. Dann würden Amerikaner und Japaner im Gleichschritt an Importen aus Europa und Asien sparen, dann wäre die Deflation allgemein.

Ausserdem wird die japanische Deflation den USA als mögliches Szenario aus internen Gründen vorgehalten – zuerst der Börsenboom, dann der Crash, dann sinkende Preise und ein «verlorenes Jahrzehnt».

Doch glücklicherweise gibt es da ein paar Unterschiede. Zwei davon sind voll schwarzer Vorzeichen, nämlich das bereits grosse Handelsdefizit der USA und das Sparloch der Haushalte – diese können gar nicht mehr ausgeben. Das war im Japan der Neunzigerjahre beides umgekehrt: ein hoher Exportüberschuss und volle Haushaltskassen. Im Weiteren aber hat Amerika bessere Karten. Die Börsenblase betraf nur die Technikwerte, und auch die Landpreise überdrehten nicht wie in Japan. Das Bankensystem hat mehr Reserven für faule Kredite. Die Arbeitskräfte sind jung und reichlich, das Land hat eine sehr reagible Marktwirtschaft, und die Wirtschaftspolitiker sind flexibel. Ausserdem sparen die Japaner, weil ihre Vermögen von den Firmen und vom Staat verschleudert wurden. Die Firmen Japans haben sechsmal höhere Buchwerte, als sie an der Börse wert sind, denn sie schleppen riesige faule Investitionen mit sich und rentieren schlecht. Das Geld der Anleger ist verloren, nur wagt niemand die Bilanzen auszukehren, weder bei Banken noch bei der Industrie. Der Staat seinerseits hat mit den Ankurbelungen Hunderte von Brücken zwischen den Inseln gebaut, anstatt Produktives zu leisten. Die enormen Sparguthaben der Leute auf der Postbank werden praktisch nicht mehr verzinst und dienen dem Löcherstopfen beim Staat. Die Haushalte spüren dies und sparen noch mehr.

Die japanischen Politiker und mit ihnen die Leiter der Notenbank scheinen nicht auf der Höhe ihrer Aufgabe zu sein: Alles schlittert ungebremst weiter. In den USA traut man der Notenbank eine rationalere Haltung zu. Auch die Steuersenkungen könnten kurzfristig eine Stütze für die Konjunktur bieten. Ob allerdings die US-Politiker richtig schalten, wenn die internationale Wirtschaft aus dem Tritt gerät, bleibt offen. Der neue Finanzminister, Paul O’Neill, sieht solche Krisen nur als «grosses Medienfutter, aber für niemanden sonst von Bedeutung». Und Japan rät er zu besserer Politik, «um den Japanern zu einem höheren Lebensstandard zu verhelfen» – als ob die Japaner nicht längst mit den Amerikanern gleichgezogen hätten und vielleicht deshalb wenig ausgäben. Wenn überdies die neue Administration Bush junior einen ruppigen Kurs fährt – Russen im Dutzend ausweist, China und Europa wegen des Satellitenschirms brüskiert, der Welt die Sorge ums Klima aufkündigt –, dann gibt die Führungselite der Welt die Parole «Jeder für sich» aus. In Krisenlagen könnte dann schnell ein «Rette sich, wer kann» daraus werden. Das hatten wir schon einmal, in der echten Deflation der Dreissigerjahre.

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