Wie stark beschäftigt die Corona-Krise die Finanzmärkte?
Die Pandemie und insbesondere die Reaktionen von Staaten, Unternehmen und Menschen darauf bleibt der entscheidende Treiber für die Märkte. Die Reaktionsmuster können dabei allerdings vielschichtig sein, wie das Beispiel USA zeigt. Trotz neuen Rekorden bei der Zahl der Neuansteckungen zeigen die Börsen kaum Schwächen, der Nasdaq markierte zuletzt sogar einen neuen historischen Höchststand.
Das kann verschiedene Gründe haben: Eine Verzögerung des Aufschwungs könnte als Anlass gesehen werden, die monetären und fiskalischen Hilfspakete zu erhöhen oder zu verlängern. Gute Nachrichten bezüglich potenzieller Impfstoffe oder verbesserter Behandlungsmöglichkeiten sowie die bisher noch ausbleibende Erhöhung der Mortalität in den USA scheinen die Anleger ebenfalls positiv zu beeinflussen.
Wir gehen in unserem Kernszenario davon aus, dass es zu keinem erneuten globalen Lockdown in der Dimension des Frühjahrs kommen wird. Das Auftreten immer neuer lokaler Infektionsherde könnte das Konsumverhalten jedoch bis zur Einführung eines Impfstoffes noch länger negativ beeinflussen, ob mit oder ohne staatliche Reglementierungen.
Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Wir haben in den vergangenen Wochen dank den massiven Stimulus-Massnahmen durch die Fiskal- und Geldpolitik einen deutlichen Anstieg der Bewertungen gesehen.
Der SMI notiert auf einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 19 für das kommende Jahr, was in der historischen Betrachtung teuer ist. Zudem stehen wir am Beginn der Berichtssaison für das zweite Quartal, das für die Unternehmen sehr schwierig gewesen sein dürfte.
Dieser Mix aus hoher Bewertung einerseits und rückläufigen Quartalszahlen anderseits macht den Schweizer Aktienmarkt anfällig für Rückschläge und dürfte dementsprechend in den nächsten Wochen zu höherer Volatilität führen.
Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Die gute Nachricht ist, dass wir uns weiterhin in einem niedrigen Zinsumfeld bewegen mit negativer Rendite über die gesamte Zinsstrukturkurve. Die Schweizer Nationalbank wird auch zukünftig alles versuchen, den Euro zum Franken über 1,05 zu halten, und muss daher an ihrer expansiven Geldpolitik festhalten.
Im Vergleich hierzu ist eine zu erwartende Dividendenrendite von 3 Prozent überaus attraktiv, was dem Aktienmarkt Unterstützung geben dürfte. Sollte es keine zweite Welle der Corona-Pandemie geben, dürften wir im zweiten Quartal den Tiefpunkt in der Gewinnentwicklung gesehen haben.
Wenn wir daher von einer anhaltenden Normalisierung der Gewinndynamik ab der zweiten Hälfte des Jahres ausgehen, sind auf Sicht von zwölf Monaten die alten Höchststände im SMI um 11’000 Punkte durchaus vorstellbar.
Gold hat sich stark aufgewertet. Erwarten Sie weitere Preissteigerungen bei dem Edelmetall?
Stünden wir am Anfang eines normalen Konjunkturaufschwungs, hätte Gold derzeit keinen leichten Stand. Man mag aus den Aktienkursen grosse Zuversicht für die weitere wirtschaftliche Entwicklung ablesen, doch an den Anleihemärkten und eben auch am Goldmarkt drückt sich Skepsis aus.
Der Gleichlauf des Goldpreises insbesondere mit der Rendite zweijähriger US-Staatsanleihen seit Anfang 2018 ist frappierend. Allerdings sind die Renditen mit 0,16 Prozent schon auf Rekordtief und die Fed hat bisher nicht erkennen lassen, den Leitzins in negatives Territorium sinken zu lassen.
Von dieser Seite her wäre das weitere Aufwärtspotenzial also begrenzt. Gleichzeitig stellt ein immer grösserer Teil der Anleger angesichts aufgeblähter Zentralbankbilanzen und staatlicher Rekordverschuldung die Systemfrage, was die Nachfrage weiter stützen könnte.
Schweizer Immobilienfonds sind populär – und deshalb auch hoch bewertet. Wie attraktiv ist das Investment derzeit?
Wir denken, dass Immobilien für private wie auch institutionelle Anleger eine wichtige Option bleiben. Ausschüttungsrenditen zwischen 2 und 3 Prozent sind im Vergleich zu festverzinslichen Anlagen weiter attraktiv. Auch wenn die Preise historisch zwar tatsächlich hoch sind, ist der Spread zu Anleiherenditen weiterhin gross und bietet mittelfristig noch Spielraum für eine weitere Verengung.
Allerdings dürfte die Covid-19-Krise auch an den Immobilienmärkten langfristige strukturelle Veränderungen nach sich ziehen. Insbesondere Hotel- und Detailhandelsimmobilien, aber auch Büroimmobilien dürften in den kommenden Jahren einer Konsolidierung ausgesetzt sein.
Anleger sollten in Zukunft deutlich genauer hinschauen und diszipliniert auf folgende Auswahlkriterien achten: eine hohe, vor allem sektorale Diversifikation; einen relativ hohen Anteil an Wohn- und Logistikimmobilien bei einem geringeren Anteil im Bereich Einzelhandel. An Büroimmobilien schätzen wir die relativ langen Mietverträge.
Umfragen geben Joe Biden gute Chancen, anstelle von Donald Trump US-Präsident zu werden. Was würde ein Machtwechsel für die US-Wirtschaft und die Börsen bedeuten – und mit was für einer Entwicklung ist zu rechnen, falls Trump doch gewinnt?
Fangen wir von hinten an: Sollte Trump gewinnen, würde das aus Anlegersicht aufgrund der Kontinuität kurzfristig den geringsten Handlungsbedarf auslösen. Was eine zweite Amtsperiode mittelfristig aus den USA und dem internationalen Staatengefüge machen wird, das kann man sich angesichts der Sprunghaftigkeit des Präsidenten in Gänze gar nicht ausmalen.
Eine Wahl Bidens wäre für die Börsen vor allem dann von Bedeutung, wenn sich die Demokraten auch noch die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses sichern könnten, wofür ihnen derzeit noch der Senat fehlt.
Die erste Reaktion dürften Sorgen über Steuererhöhungen oder eine Wiedereinführung von Regulierungen insbesondere im Bereich Umwelt- und Arbeitnehmerschutz, aber auch im Gesundheitswesen sein.
Der Primat grossindustrieller Interessen für die Bundespolitik dürfte unter den Demokraten ein Stück weit zurückgehen. Im Umgang mit China erwarten wir keinen Richtungswechsel, der Streit könnte sich sogar als Folge einer kohärenteren Politik noch verschärfen.
Jede Krise bietet auch Chancen. Welche positiven Entwicklungen sehen Sie in der aktuellen Wirtschaftskrise?
Ich bin grundsätzlich skeptisch, Verhaltensweisen, die sich in einer Krise entwickelt haben, für längere Zeit fortzuschreiben. Dafür gibt es zu viele Gegenbeispiele. Dennoch wird diese Krise einige Spuren hinterlassen. Fangen wir mit einer offensichtlichen an:
– Die Coronavirus-Pandemie hat klar gezeigt, welche Länder Erfahrung mit solch einer Herausforderung hatten und welche nicht. Ich denke, der Westen wird nicht noch einmal so auf dem falschen Fuss erwischt werden wie diesmal. Das ist wichtig, da damit zu rechnen ist, dass uns Pandemien in Zukunft öfter beschäftigen werden.
– Bei aller Notwendigkeit zu internationaler Koordination – die diesmal sicherlich zu kurz kam – hat die Pandemie die Stärke föderaler Systeme gezeigt. Auch in Ländern, in denen das oberste Führungspersonal mit der Situation überfordert war, haben Bundesländer/-staaten, Städte, Gemeinden, aber auch Unternehmen Verantwortung übernommen.
– Die Pandemie hat viele Vorbehalte der Unternehmen in Bezug auf das Arbeiten von zu Hause aus beseitigen können. Die Digitalisierung der Arbeitswelt hat einen unerwarteten, aber nachhaltigen Schub erhalten.
Nicht zuletzt wurde auch die Sinnhaftigkeit vieler Geschäftsreisen durch die Pandemie infrage gestellt. In Summe ergibt sich hier ein grosses Kosteneinsparungspotenzial, auf das die Unternehmen sicherlich auch nach der Pandemie nicht verzichten wollen. Unsere Kostenstruktur wird sich jedenfalls langfristig verbessern.
Das Interview wurde schriftlich geführt.