Bundesrat Hans-Rudolf Merz bringt den automatischen Informationsaustausch ins Spiel und will einen EU-Marktzugang aushandeln. Was halten Sie davon?
Thomas Borer: Ich halte es für falsch, dass von Regierungsseite die Türe zum automatischen Informationsaustausch einen Spalt geöffnet wird. Warum sollten die EU-Länder denn jetzt noch auf Verhandlungen über eine Abgeltungssteuer eintreten, wenn wir schon Kapitulationsüberlegungen machen?
Bringt der automatische Informationsaustausch den EU-Ländern finanziell wirklich mehr als eine Abgeltungssteuer?
Borer: Der Informationsaustausch ist innerhalb der meisten EU-Länder Tatsache. Ich wage aber die These, dass damit sehr viel Bürokratie und Leerlauf verbunden ist und wenig Steuergelder fliessen.
Kann der automatische Informationsaustausch noch abgewendet werden?
Borer: Im Moment besteht die Chance nach wie vor. Doch je länger wir zuwarten, desto grösser wird die Gefahr, dass wir uns nicht mehr gegen den automatischen Informationsaustausch wehren können.
Welche Folgen hätte der automatische Informationsaustausch für den Schweizer Finanzplatz?
Borer: Es wäre ein Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Finanzplätzen ausserhalb Europas. Daher müssten wir mit allen Mitteln versuchen, dass der automatische Informationsaustausch global durchgesetzt wird. Wir müssten uns der Allianz unserer früheren Gegner anschliessen. Wenn weltweit gleich lange Spiesse gelten, ist der Finanzplatz Schweiz, gestützt auf seine Solidität, Tradition und Professionalität, weiterhin wettbewerbsfähig. Sonst werden Gelder die Schweiz verlassen.
Wie viele Gelder würden dann abfliessen?
Borer: Das kann ich nicht beurteilen. Wir werden aber im Bankgeschäft nie mehr diese hohen Gewinn-Margen sehen. Einem Schwarzgeldkunden können Sie eine viel höhere Kommission abverlangen als einem weissen. Ein Kunde, der sein Geld im Heimatland versteuert, will vor allem eine gute Performance sehen. Aber die Schweiz ist anpassungsfähig. Wir haben ausgezeichnet ausgebildete Bankfachleute. Ich glaube nicht, dass dies der Untergang des Schweizer Finanzplatzes wäre.
Was muss die Schweizer Politik jetzt tun?
Borer: Das bereits in der Schweiz liegende Schwarzgeld muss mit Steueramnestien in den wesentlichen Ländern anonym in weisses umgewandelt werden. Deutschland würde mit einer vernünftigen Steueramnestie zum Beispiel auf einen Schlag 20 bis 30 Mrd Fr. erhalten. Zweitens muss sichergestellt werden, dass kein neues Schwarzgeld mehr in die Schweiz fliesst. Dies gelingt entweder durch eine Abgeltungssteuer oder durch Zusagen der Banken, dass sie keine hinterzogenen Gelder mehr entgegennehmen. Drittens müsste im Gegenzug von den EU-Ländern der freie Marktzugang zugesichert werden. Dieses Konzept wird von mir und anderen seit Jahren vorgeschlagen. Jetzt müssen wir es vorschlagen. Wir haben keine Zeit mehr. Es drängt!
Warum haben wir die Entwicklungen verschlafen?
Borer: Seit über zehn Jahren war klar, dass der Druck auf den Finanzplatz erheblich zunehmen wird. Aber die Verantwortlichen haben keine Prävention und kein adäquates Krisenmanagement gemacht. Wenn wir Schweizer ein Problem haben, gründen wir eine Kommission, bestehend aus ausgezeichneten Fachleuten, die seriös und lange arbeiten. Aber jetzt brauchen wir keine Kommissionen mehr. Wir müssen handeln und auf höchster Ebene diplomatische Gespräche führen.
Liechtenstein ist früh in die Offensive gegangen. Ein Vorbild für die Schweiz?
Borer: Liechtenstein ist in einer noch viel schwächeren Position als die Schweiz. Aber die Regierung hat die Zeichen der Zeit erkannt und ist rechtzeitig zu Verhandlungen geschritten. Sie hat erkannt, dass es besser ist, Friedensverhandlungen zu führen als eine Kapitulationsurkunde zu unterzeichnen.
Wird das Bankgeheimnis im Inland fallen?
Borer: Dafür würde es wohl eine Volksabstimmung brauchen. Ich glaube, die meisten Schweizer wollen das Bankgeheimnis im Inland beibehalten. Wir sind eher konserva- tiv und wollen nicht, dass der Staat jederzeit Einblick in unsere Konti hat. In der Schweiz sind die Steuern ja noch erträglich, daher wird weniger hinterzogen.