Seit Jahren auf dem Podium, nun endlich an der Spitze: Geberit. So vertraut die Produkte des Sanitärkonzerns aus Jona jedem Schweizer aus dem Badezimmer sind, so aussergewöhnlich kommen seine Jahrespublikationen daher – und das nicht nur, weil man im Fall Geberit den Plural bemühen muss.
Hier tritt der Geschäftsbericht nicht als der übliche DIN-A4-Wälzer an, sondern zerteilt sich in mehrere Medien, die je nach Adressat spezifische Inhalte betonen. Das Paket umfasst eine bebilderte Chronik in Buchform für Kleinaktionäre oder folkloristisch Interessierte, einen kompakten Bericht zu den Ergebnissen für ganz Eilige und schliesslich den vollständigen Geschäftsbericht, der eigentlich als reines Online-Angebot angelegt ist, aber für Freunde des Papiers in einer schmucklosen Version ausgedruckt werden kann.
Attraktive Kacheloptik
Online finden sich aufgeräumte, übersichtlich gegliederte Themenseiten in einer attraktiven Kacheloptik, die auch Zahlenfetischisten diverse Werkzeuge an die Hand gibt, etwa einen Vergleich relevanter Margen und Kennziffern über die vergangenen zehn Jahre hinweg.
Eine umfangreiche Führungsstruktur stellt die wichtigen Köpfe des Unternehmens vor, und im Teil zur «sozialen Verantwortung» findet sich eine nüchterne Aufzählung der Firmeninitiativen – statt wolkig-inhaltsleerer Floskeln aus dem Ökosystem der Corporate Speech; Geberit versteht sich nicht nur auf das grosse Geschäft, sondern auch auf die vertrauenserweckende Darstellung. Und das Storytelling kommt im bilderreichen Chronikbüchlein auch nicht zu kurz.
Kein Archiv, dafür vorbildliche Bedienung
Doch was einem Kleinaktionär oder auch Journalisten genügt, reicht dem Finanzprofi nicht immer. Ein Wermutstropfen: Gewinnzahlen nach Segmenten oder Hintergründe für die guten Ergebnisse fehlten, genauso wie ein Archiv mit Quartalsberichten, bemängelt ZKB-Analyst Martin Hüsler.
Hingegen sei die Bedienung unterschiedlicher Zielgruppen mit je eigenen Angeboten vorbildlich, lobt der PR-Berater und Kommunikationsdozent Bernhard Schweizer, und Gestaltungsprofi Thomas Wolfram findet das Ganze, obwohl seit Jahren kaum verändert, immer noch das wohl konsequenteste (und vor allem ein funktionierendes) Konzept. Geberit ist Sieger des BILANZ-Geschäftsberichte-Ratings 2017 (siehe Bildergalerie oben).
Geschäftsberichte als Königsdisziplin
Geschäftsberichte sind die Schaufenster der Unternehmen – und gelten bei den Kommunikationsleitern nach wie vor als Königsdisziplin ihrer Profession. Nicht nur bieten sie einen – oft unterschätzten – riesigen Fundus an Informationen. Natürlich Zahlen zu den Geschäftsergebnissen, zum Betriebsvermögen, zu Chefgehältern und Boni, aber auch Näheres zu Produkten und Märkten: Wie verkauft sich was? Wer sind die Konkurrenten? Wie entwickeln sich die Absatzmärkte?
Und hinzu kommt eine Fülle unausgesprochener Informationen: Wie wichtig nehmen sich Verwaltungsratspräsident und CEO – füllen sie seitenweise Papier mit nichtssagenden Interviews, oder geben sie Raum für schnelle Informationen? Wer von beiden beansprucht das grössere Foto, wer greift sich die dankbareren Themen? Geschäftsberichte legen vieles vom Innenleben eines Unternehmens frei – bisweilen ungewollt.
Schaffen Vertrauen und Glaubwürdigkei
Gute Geschäftsberichte bauten Vertrauen und Glaubwürdigkeit beim Publikum auf, überzeugten durch Wahrheit, Klarheit und Nähe, sagt der Jurypräsident des Geschäftsberichte-Ratings, Hans-Peter Nehmer, zugleich Vorstandsmitglied des Schweizer HarbourClubs, der das Rating organisiert und die Kommunikationschefs der hiesigen Konzerne vereinigt.
Nehmer, im Hauptberuf Head of Communications der Allianz Suisse, formuliert damit die Ziele: Verständlichkeit, Transparenz und Wille zur Kommunikation mit Aktionären und anderen Stakeholdern – welche Fragen stellt die Umwelt uns als Unternehmen, und wie können wir sie wahrheitsgemäss und erschöpfend beantworten?
Grosse Fotostories und Grafiken
Bei der zweitplatzierten Clariant ist dieses Bemühen gut erkennbar. Drei Dimensionen namens «Performance, People, Planet» hat Clariant definiert und will wort- und bilderreich, mit grossen Fotostories und zahlreichen gelungenen Grafiken, aufzeigen, wie in diesen Dimensionen Mehrwert entstehen soll.
Professor Alexander Wagner vom Institut für Banking und Finance der Uni Zürich gefällt diese Idee eines «integrierten» Berichts. Allerdings breitet sich Clariant hierzu auf satten 244 Seiten aus; die Tendenz zum Übergewicht habe die Firma wohl aus dem realen Leben übernommen, spöttelt Michel Gerber, Präsident IR Club Schweiz. Zumal eines selbst in dieser Fülle fehlt: eine verständliche Erklärung der Produktwelten der Firma. Ihre Texter lieben Wortgirlanden wie «problem-solving» oder «innovative portfolio» oder auch «technology leader», aber wo Herr und Frau Schweizer im Alltag Clariant-Chemikalien begegnen und was diese genau bewirken, enthält die Firma dem Leser vor.
Vornehm zurückhaltendes Layout
Das wohltuende Gegenbeispiel punkto Klarheit liefert der Zahnimplantatehersteller Straumann. Bilder und Grafiken, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen – selbst Laien verstehen nach der Lektüre dieses Berichts, was Straumann herstellt, woran die Basler forschen und womit sie Geld verdienen –, und dies gewandet in ein vornehm zurückhaltendes Layout mit übersichtlicher Struktur und unaufdringlicher Typografie, lobt Thomas Wolfram. Und wäre in der Online-Version die inhaltliche Berichterstattung ausführlicher, dann könnte Straumann, die dieses Jahr Rang drei erreichte, den Kampf um die Krone noch enger gestalten.
In den zurückliegenden Jahren tummelten sich mehr oder weniger immer dieselben Firmen an der Spitze des Geschäftsberichte-Ratings. Dies, weil die drei Gewinner seit Jahren gute Arbeit machen und in zahlreichen Teildisziplinen Beispielhaftes vorlegen. Genau diese Summe an Einzelleistungen nimmt das Rating dank seiner Methodik massgeblich auf: Sie eliminiert nicht nur weitestgehend die Geschmackspräferenzen von Jurymitgliedern, es wird vor allem ein umfangreicher Kriterienkatalog geprüft und somit eine Liste von Einzelpunkten erarbeitet, die sich rechnerisch addieren.
Langer Weg zum Sieg
Drei Jurys sind an der aufwendigen Prozedur beteiligt. Zunächst beugt sich ein Gremium für das Value Reporting über die Geschäftsberichte. Geprüft werden alle im Börsenindex SPI kotierten Firmen plus die wichtigsten nicht kotierten, sodass das Rating 2017 genau 230 Firmen umfasst.
Value Reporting bedeutet letztlich das Bereitstellen von Informationen über die Pflichtangaben hinaus, die den Firmen von Börsen und Rechnungslegungsvorschriften auferlegt werden – hier wird also untersucht, wie insbesondere Investoren, aber auch Kunden, Kreditgeber, Ratingagenturen oder die allgemeine Öffentlichkeit mit Informationen versorgt werden (Strategie? Geschäftsgang? Produkte und Märkte? Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit? Markenführung? Boni-Regelungen?).
Die Jury unter Leitung von Alexander Wagner, unterstützt von seinen universitären Mitarbeitern Sascha Behnk und Roman Schneider sowie 30 qualifizierten Wirtschaftsstudenten, untersucht die gedruckten und online angebotenen Geschäftsberichte getrennt – eine Differenzierung, wie sie auch die zweite Jury unter Leitung von Jonas Voegeli, Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste, vornimmt. Sie wertet ebenfalls getrennt aus, führt aber die beiden Darreichungsformen Print und Online zu einem übergeordneten «Gesamteindruck» zusammen.
Die Designprofis untersuchen den optischen Auftritt der Firma: Passt er zu den Produkten, stimmen Botschaften mit Bildern und Layout überein? Ist die Benutzerführung im Internet anwenderfreundlich? Letztlich kann gelungene Gestaltung einen Spannungsbogen erzeugen – über das reine Vermitteln der Informationen hinaus.
Diskussion, Vorentscheidung, Diskussion
Die von diesen beiden Teiljurys erarbeiteten Ranglisten verschmelzen anschliessend rechnerisch zu einem Gesamtranking, von dem wiederum die besten zwölf vor der dritten, der Schlussjury, landen. Diese Jury bildet das breite Spektrum der Stakeholder ab: Neben jeweils zwei Abgesandten der beiden Vorjurys sind hier Kommunikatoren, Dozenten, Analysten, Experten für PR und Investor Relations, Online-Unternehmer und ein Journalist vertreten.
Sie diskutieren sämtliche Berichte von Grund auf neu und werfen ihre jeweiligen fachlichen Standpunkte ein – was etwa an inhaltlicher Klarheit einem Journalisten fehlen mag, kann dem Gestalter womöglich egal sein. So entsteht in mehreren Diskussionen, gefolgt von einer Vorausscheidung, nochmaliger Diskussion und geheimer Abstimmung, die Kür der drei Jahressieger.
Top und Flop zugleich
Doch dahinter gibt es eine breite zweite Reihe überzeugender Produkte. Der grösste Sprung nach vorn etwa gelang dem Wäschehersteller Calida, der neu Rang 65 belegt und sich damit um nicht weniger als 69 Plätze nach vorn gearbeitet hat.
Und insbesondere in den Teilbereichen laufen einige Firmen zu Hochform auf. Allen voran die Swisscom, deren Geschäftsbericht immer wieder als bester im Fach Value Reporting abschneidet. Dieser sorgte für hitzige Debatten in der Schlussjury: Während Analyst Hüsler und Wirtschaftswissenschaftler Behnk die Informationsdichte und den inhaltlichen Aufbau lobten, verwies Jürg Trösch, Mitinhaber und Partner des Kommunikationsdienstleisters Linkgroup, auf die uninspirierte gestalterische Umsetzung der Inhalte; wer zwar top ist in Mathematik, aber in Deutsch eine Niete, der kann eben nicht aufs Gymnasium – also nicht den Gesamtsieg beanspruchen.
Andererseits schaffte es der Beste der Design-Kategorie, das Jahreswerk der Hiag Immobilien, infolge inhaltlicher Schwäche nicht einmal in die Auswahl der gesamtbesten zwölf. Wäre die auf Diskretion versessene Hiag so mitteilsam wie die Swisscom und liesse sich der halbstaatliche Telefonkonzern von den Hiag-Designern in die Moderne helfen – die beiden Konzerne könnten in der Königsdisziplin der Unternehmenskommunikation neue Massstäbe setzen.
Das vollständige Geschäftsberichte-Rating 2017 finden Sie hier.