Die Firmenhochzeit zwischen Pfizer und Allergan ist an Gigantomanie kaum zu übertreffen: Der 160 Milliarden Dollar schwere Deal ist die grösste Pharmafusion aller Zeiten. Attraktiv ist für den US-Konzern Pfizer zwar vor allem auch Allergans Sitz im steuerlich begünstigten Irland. Doch auch das Portfolio des ungleich kleineren europäischen Unternehmens kann sich sehen lassen. Schliesslich ist Allergan der Hersteller von Botox – einem der umsatzstärksten Medikamente weltweit.

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Das Nervengift, das ursprünglich zur Lösung von Muskelverkrampfungen wie etwa Schluckstörungen oder bestimmten Formen des Schielens eingesetzt wurde, zählt heute zu den wichtigsten Lifestyle-Medikamenten: Arzneien, die in erster Linie nicht der Behandlung schwerer Krankheiten dienen, sondern ihre Anwender dem Traum von der ewigen Jugend ein Stück näherbringen sollen.

Vier Gebiete gelten als Goldgruben

Weil sich immer mehr Menschen rund um den Globus möglichst bis ins hohe Alter fit und attraktiv fühlen wollen, boomt die Nachfrage nach solchen Arzneien aus dem Grenzbereich zwischen Medizin und Kosmetik rasant. Doch die Lifestyle-Medizin ist längst nicht das einzige Therapiegebiet, das schnelle Erfolge und hohe Renditen verspricht. Auch die zunehmend personalisierte Krebsmedizin, neuartige Hepatitis-C-Therapien und das lukrative Geschäft mit rezeptfreien Arzneien gelten als wahre Goldgruben in der umkämpften und renditehungrigen Branche.

Das beste Beispiel dafür ist die Therapie der Infektionskrankheit Hepatitis C. Die tückische Leberentzündung wird durch Viren verursacht, weltweit sind rund 170 Millionen Menschen infiziert. Bisher kamen bei der Standardtherapie mehrere Medikamente zum Einsatz, die allerdings nur etwa die Hälfte der Patienten wirklich heilen konnten und häufig wegen schwerer Nebenwirkungen abgesetzt werden mussten. Etwa dann, wenn die Patienten starke Depressionen oder gravierende Fälle von Blutarmut entwickelten.

US-Konzern gelang Therapie-Revolution

Doch 2013 gelang dem US-Konzern Gilead eine Therapie-Revolution. Das Unternehmen brachte unter den Markennamen «Sovaldi» eine Tablette und später mit «Harvoni» ein Kombi-Präparat auf den Markt, die allein oder zusammen mit anderen Wirkstoffen in 90 Prozent der Fälle eine Heilung versprechen – und zwar in deutlich kürzerer Zeit und mit geringeren Nebenwirkungen.

Gilead lässt sich den Welterfolg bis heute fürstlich vergüten: In Deutschland beispielsweise liegt der Preis für eine Sovaldi-Tablette bei rund 637 Euro, eine Harvoni-Pille kostet sogar über 795 Euro. Für eine Zwölf-Wochen-Therapie kommen auf diese Weise schnell über 50'000 Euro zusammen. Und das trotz der Herstellerrabatte, die die Kassen nach zähem Ringen mit Gilead in diesem Jahr für Deutschland durchsetzen konnten.

USA sind ein besonders lukrativer Markt

In den USA, wo die Hersteller das Gesundheitssystem noch ungenierter schröpfen können, sind die Beträge sogar noch höher. Sovaldi war nicht nur die bisher umsatzstärkste Neueinführung aller Zeiten. Ihr Erfinder Gilead ist mit einer Eigenkapitalrendite von knapp 80 Prozent das wohl profitabelste Unternehmen der Welt. Normal sind in der Pharmawelt 20 bis 40 Prozent – und damit steht die Arzneimittelindustrie bereits deutlich besser da als alle anderen Branchen.

Gileads Erfolg hat einen regelrechten Wettlauf unter den Anbietern neuartiger Hepatitis-C-Therapien ausgelöst und der Therapieklasse den grössten Umsatzsprung unter allen Forschungsbereichen der Pharmaindustrie beschert. Doch längst nicht jeder kann da mithalten: Der deutsche Familienkonzern Boehringer Ingelheim etwa stoppte trotz vielversprechender Resultate bereits 2014 alle Projekte auf dem Gebiet: Angesichts der raschen Fortschritte der Konkurrenz sehe man keinen wirklichen medizinischen Bedarf mehr für die weitere Forschung.

Krebsforschung als Königsgebiet

Einstellung der Forschung – das dürfte in der Krebsmedizin so schnell nicht passieren. Die Entwicklung von Wirkstoffen und Therapien gegen den Krebs in seinen vielen Formen gilt als die Königsdisziplin der Branche. In keinem anderen Therapiegebiet ist der Bedarf an neuen Medikamenten so hoch und gleichzeitig das Marktpotenzial angesichts der weltweit rasant wachsenden Fallzahlen so gewaltig.

Laut Prognose der WHO dürfte die Zahl der Krebserkrankungen im kommenden Jahrzehnt um 40 Prozent steigen. Bis 2025 könnten demnach weltweit 20 Millionen Menschen jährlich neu an Krebs erkranken. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete die Pharmaindustrie über 70 Milliarden Dollar allein durch Präparate zur Krebsbekämpfung.

Der grösste Wachstumsmarkt

Die Onkologie ist damit weiterhin der grösste Wachstumsmarkt der Branche. Auch unter den fünf grössten sogenannten Blockbustern des vergangenen Jahres – gemeint sind damit Arzneien, die weit über eine Milliarde Dollar Umsatz im Jahr erwirtschaften – belegen die Krebstherapeutika Revlimid und Opdivo mit weltweiten Umsätzen von 9,6 Milliarden Dollar beziehungsweise 8,1 Milliarden Dollar zwei der vorderen Plätze.

Vor allem der Ansatz vieler Firmen, mithilfe der Gentechnologie stärker personalisierte Präparate im Kampf gegen die heimtückische Krankheit zu entwickeln, schürt die Hoffnung auf Therapiedurchbrüche. Und das lässt auch die Kassen der Konzerne klingeln: US-Mediziner errechneten unlängst, dass eine Krebsbehandlung in den USA im Durchschnitt 100'000 Dollar kostet.

Die Argumente der Pharmaindustrie

Die Industrie begründet die hohen Preise für neue Medikamente gern mit dem enormen Aufwand und dem hohen Risiko, das mit der Erforschung der komplizierten Therapien und Arzneien einhergeht: Von der Idee bis zum marktreifen Medikament vergehen in der Regel zehn bis 15 Jahre. In der Summe bedeutet das Kosten von rund eineinhalb Milliarden Euro.

Oft genug scheitern selbst hoffnungsvolle Ansätze im Verlauf der klinischen Tests und Zulassungsverfahren. Nur mithilfe der hohen Preise bei der Markteinführung sei es daher überhaupt möglich, die hohen Kosten für die Entwicklung wieder einzuspielen, bevor der Patentschutz ende, lautete das Standardargument in der Branche.

Es regt sich Widerstand gegen die Preise

Dennoch regt sich Widerstand gegen die Preispolitik der Konzerne: Als beim weltweit grössten Kongress der Amerikanischen Krebsgesellschaft (ASCO) im Juni dieses Jahres zwei neue Mittel gegen Hautkrebs vorgestellt wurden, empörten sich Onkologen darüber, dass die Arznei 4000 Mal so teuer sein sollte wie die gleiche Menge an Gold, und forderten ein Ende solcher «Mondpreise».

Das Kontrastprogramm dazu bildet die sogenannte OTC-Medizin. Gemeint sind damit Medikamente, die ohne Rezept – und damit auch ohne ärztlichen Rat – in Apotheken, Drogerien oder auch online erworben werden können: von der Schmerztablette über das Nasenspray bis zur Hustenpastille.

Rezeptfreie Arzneien boomen

Weltweit werden pro Jahr rund 100 Milliarden Euro mit den vergleichsweise günstigen OTC-Produkten umgesetzt. Tendenz steigend, denn die demografische Entwicklung und das zunehmende Übergewicht in den westlichen Gesellschaften bedeuten immer höhere Kosten für die Gesundheitssysteme. Aus Sicht der Krankenkassen ist es daher attraktiv, die Zahl der rezeptfrei verfügbaren Medikamente noch zu erhöhen. Die Selbstmedikation belastet vor allem die Geldbeutel der Patienten, nicht die der Kassen.

In Deutschland werden OTC-Arzneien seit 2004 für das Gros der gesetzlich Versicherten nicht mehr erstattet. Dennoch ist nach Angaben des Herstellerverbandes BAH im Schnitt jede zweite in deutschen Apotheken abgegebene Arznei ein OTC-Medikament. Für die Konzerne lohnt sich das Geschäft trotz der vergleichsweise niedrigen Renditen: In einer Branche, in der Fehlschläge in der Forschung zum Milliardenverlusten führen können, ist die OTC-Medizin eine Art Stabilitätsanker, der dauerhaft solide Erträge garantiert.

Grösse ist ein Vorteil

In dem Massengeschäft zählt vor allem die Grösse: In den vergangenen eineinhalb Jahren haben daher gleich mehrere Schwergewichte der Branche ihr OTC-Geschäft zusammengelegt. So konsolidierten die britische GSK und die Basler Novartis in einer Art Ringtausch ihre Geschäftsfelder, um auch im Fall der OTC-Medizin genug Schlagkraft zu entwickeln. Der Leverkusener Konzern Bayer wiederum bekam nach zähem Ringen im Mai den Zuschlag für die OTC-Sparte des US-Konzerns Merck und sicherte sich mit dem über zehn Milliarden Euro schweren Deal den Aufstieg zur weltweiten Nummer zwei der Branche in diesem Segment.

Pfizer und Allergan mischen bei fast allen dieser Goldgruben im Pharmasektor mit. Deutlich führend aber sind beide vor allem in der Lifestyle-Medizin: In den Laboren von Pfizer wurde einst – wenn auch nur zufällig – mit Viagra das wohl bekannteste Mittel gegen Potenzstörungen entdeckt. Die aus Marketinggründen markant blau gefärbte Pille bringt dem Konzern bis heute gut 1,7 Milliarden Dollar Umsatz pro Jahr ein, dabei ist der Patentschutz schon vor zwei Jahren abgelaufen, und damit sind längst billigere Nachahmerpräparate auf dem Markt.

Botox findet neue Anwendungen

Allergan wiederum bemüht sich bei dem Faltenkiller Botox nach Kräften darum, immer neue Therapiegebiete zu erschliessen – zum Beispiel den Einsatz des Nervengifts bei Migräneattacken – um auf diese Weise den Patentschutz noch zu verlängern.

Doch längst nicht jede Lifestyle-Medizin hält, was sie verspricht. Das musste zuletzt das US-Pharmaunternehmen Sprout erfahren. Dieses hatte zwar im Oktober mit viel Werbegetöse eine rosafarbene Lustpille für die Frau als Pendant zu Viagra unter dem Markennamen Addyi eingeführt. Bisher allerdings ist das Mittel zur Steigerung der weiblichen Libido hinter den hochgesteckten Erwartungen zurückgeblieben: Gerade einmal 227 Mal sei das Mittel in den ersten drei Wochen verschrieben worden, räumte das Unternehmen kürzlich kleinlaut ein.

Viaga-Debüt war bescheidener

Zum Vergleich: Der Konzerngigant Pfizer brachte es – auch dank seiner riesigen Vertriebsabteilung – bei der Markteinführung von Viagra im Jahr 1998 im gleichen Zeitraum auf 600'000 Verschreibungen. Welterfolge feiert Pfizer auch mit dem Cholesterinsenker Lipitor. Das Medikament, für das Pfizer sich ein ganzes Arsenal an Marketingtricks einfallen liess, war bis zum Ablauf des Patentschutzes im Jahr 2012 mit einem bis dahin erwirtschafteten Umsatz von 125 Milliarden Dollar das bestverkaufte Medikament aller Zeiten.

Die Arznei bringt dem US-Konzern bis heute noch gut zwei Milliarden Dollar jährlich ein – und spielt als Goldgrube der Pharmaindustrie damit bis heute in einer ganz eigenen Liga.

Dieser Artikel ist zuerst in unserer Schwester-Publikation «Die Welt» erschienen unter dem Titel «Vier Gründe, weshalb Pharma-Riesen so reich sind».