Das Tessin erfüllte wieder einmal alle Klischees. Als sich vergangene Woche Banker aus der ganzen Schweiz in Lugano zum Private Banking Day trafen, spiegelte sich die Sonne unter blauem Himmel auf dem See. Alle hatten den Weg in die Sonnenstube gefunden, die Genfer Banker waren im gecharterten Privatjet eingeflogen. Und irgendwann drehte auch noch die PC-7-Staffel der Armee ihre Runden über der Stadt.

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Doch kommerziell herrscht in Lugano alles andere als Sonnenschein. Die Stadt ist im kalten Entzug. Zusammen mit ihren italienischen Kunden gingen die Banken durch einen teuren Prozess der Versteuerung. Nun stehen sie da – ohne Bankgeheimnis und ohne den versprochenen Zugang zum italienischen Markt. Statt der Marktöffnung habe Italien protektionistische Massnahmen ergriffen, sagt der Tessiner Regierungsrat Christian Vitta.

Italien sicherte eine «Roadmap» zum Marktzugang zu

2015 sah alles noch besser aus. Zwar wusste man, dass das Bankgeheimnis Geschichte war und dass der automatische Informationsaustausch (AIA) bald auch das letzte Nummernkonto ans Licht bringen würde. Doch Italien signalisierte Entgegenkommen: Ein Offenlegungsprogramm ermöglichte es den letzten Steuersündern, ihre Gelder zu legalisieren. Und im Gegenzug zu einem vorteilhaften Abkommen über die Besteuerung von Grenzgängern sicherte Italien in einer «Roadmap» die Absicht zu, den Tessiner Banken Zugang zum italienischen Markt zu beschaffen.

Doch Anfang Jahr setzt Italien ein Gesetz in Kraft, in dem nichts von alledem steht. Wer keine Niederlassung in Italien hat, darf weiterhin weder Kunden aktiv betreuen noch vor Ort akquirieren. «Es geht einfach nicht vorwärts», sagt Marcel Rohner, der als UBP-Banker neu den Börsenbanken-Verband VAV präsidiert. «Italien zieht immer wieder den Stecker.»

Und die Aussichten sind zappenduster, denn Italien ist ohne Regierung. Noch immer ist unklar, ob oder wann Italien eine neue Regierung bekommt, oder ob es bis zu Neuwahlen von einem Expertengremium verwaltet werden wird. Dass Italien mal ohne Regierung dastehe, sei grundsätzlich nichts Neues, sagt UBS-Regionalchef Luca Pedrotti. Allerdings werde es schwierig, in den kommenden Jahren eine Einigung mit Italien zu finden.

Italien ist alles für Lugano. Der drittgrösste Schweizer Bankenplatz hinter Zürich und Genf ist so stark von einem Auslandmarkt abhängig wie kein anderer. Die Stadt ist faktisch ein Vorort in der Agglomeration von Mailand. In einer halben Stunde ist man mit dem Regionalzug in Como, eine Stunde hat der Zug nach Milano Centrale. Das prägt nicht nur das Banking, sondern die ganze Stadt. In der Leventina spielt man Eishockey, in Locarno machen Zürcher und Deutsche gerne Sommerferien. In Lugano aber herrscht urbane Italianità. Da flaniert man durch die teure Via Nassa zwischen Läden der Marken Louis Vuitton, Hermès und Gucci.

Italien so wichtig wie Deutschland

«Als Exportmarkt ist Italien für die Schweizer Banken fast so wichtig wie Deutschland», sagt VAV-Direktor Pascal Gentinetta. Und ein grosser Teil des italienischen Geldes liegt bei den Luganeser Banken. Viele von ihnen liessen sich lange Zeit damit, ihre Kunden zu einer Offenlegung zu bewegen. Bei den ersten beiden italienischen Amnestien von 2001 und 2003 wurde nur ein kleiner Teil des Schwarzgeldes gemeldet, obwohl die Strafsteuern mit 2 bis 4 Prozent tief waren.   

Erst 2009 kamen grössere Beträge, so Luca Soncini, der damals für die Gotthardbank und die PKB Privatbank arbeitete und heute Bankrat der Tessiner Kantonalbank ist. «Da haben so viele Leute mitgemacht wie nie zuvor.» Dann lief über mehrere Jahre nichts mehr. Ein letztes Programm folgte 2015 – und es war deutlich teurer. 10 bis 15 Prozent bezahlte, wer sein Schwarzgeld nun in einer «freiwilligen Offenlegung» deklarierte. Gemäss Aussagen mehrerer namhafter Banker waren zu dem Zeitpunkt noch 40 bis 50 Prozent der Assets im Tessin unversteuert. Wer nicht im AIA auffliegen wollte, musste nun bezahlen. Dadurch ging den Banken viel Geld verloren.

Insgesamt seien Amnestien und Steuerprogramme Vermögen auf Schweizer Banken im Wert von 185 Milliarden Franken legalisiert worden, hält eine Studie von BAK Economics fest. Schätzungsweise war die Hälfte davon nach Italien abgeflossen.

Zuletzt kamen vor allem Banken mit kleinen Kunden unter Druck. Ohne den Schwarzgeld-Vorteil lohnten sich die hohen Kontogebühren plötzlich nicht mehr. «Grosse Kunden hatten ein Interesse, ihr Geld auch nach der Offenlegung in der Schweiz zu lassen, weil sie die hiesige Qualität schätzen», sagt Claudio Beretta von Julius Bär. «Für uns als Privatbank war das positiv. Banken mit viel Affluent- und Retail-Kunden dagegen hatten Mühe.»

Ein Drittel der Jobs ging verloren

Die Krise wirkte sich auf die Angestellten aus und führte wie sonst nirgends zu einem Rückgang der Stellen (siehe Grafik). Während die Beschäftigung schweizweit stabil blieb, verlor das Tessin in den letzten zehn Jahren einen Drittel der Stellen. Jobs wurden gestrichen oder sie wanderten in die Zentralen der Banken nach Zürich und Genf ab. Entsprechend schwierig ist die Lage für die Entlassenen. «In Zürich haben wir auf jede Stelle, die gestrichen wird, drei Jobangebote», sagt Natalia Ferrara vom Bankpersonalverband. «In Lugano fehlen drei weitere.»

Die Branche befindet sich im perfekten Sturm. UBP-Banker Rohner fasste an der Bankertagung zusammen: «In den letzten zehn Jahren hat sich die Marge im Private Banking halbiert. Der Franken hat sich aufgewertet, die Zinsen sind bei null und das Bankgeheimnis ist Geschichte.» Und fast alle diese Effekte betreffen das Tessin überdurchschnittlich stark.

Hinzu kommen Sondereffekte: Die Schliessung von Aduno in Bedano nach der Übernahme durch SIX Group, Personalabbau bei Avaloq nach Verlust des Grosskunden BSI und der Stellenabbau bei EFG nach der Übernahme der BSI. Letzterer werde dieses Jahr noch einmal deutliche Spuren hinterlassen, sagt Ferrara. Für 2018 rechne EFG mit einem Abbau von 200 bis 220 Stellen. Und das meiste davon werde wohl im Tessin sein.

Im vergangenen Jahr habe man global 206 Stellen gestrichen, sagt EFG-Konzernchef Giorgio Pradelli. Wie viele es am Ende sein werden, könne er nicht sagen. Er verweist auf die «100 bis 150 Stellen pro Jahr über drei Jahre», welche die Bank zu Beginn des Abbauprozesses angekündigt hatte.

Bankpersonalverband gewinnt viele neue Mitglieder

Für den Bankpersonalverband bedeutet das viel Arbeit. Bis Ende 2017 stieg die Zahl der Mitglieder im Tessin innert zwei Jahren von 573 auf 947 an. Plötzlich waren die Säle in Lugano zu klein, um noch Versammlungen abzuhalten, erzählt Ferrara. Einmal kamen 700 Banker, als über die Situation bei der BSI informiert wurde.

Oft seien Menschen betroffen, die es auf dem Arbeitsmarkt schwer hätten. «Von den Entlassenen in diesem Jahr waren drei in meinem Alter», sagt die 35-Jährige. «Alle anderen waren älter als fünfzig.» Leute, die dreissig Jahre lang für die gleiche Bank gearbeitet haben und auch in der Krise loyal waren. Den Strukturwandel könne man nicht aufhalten, sagt Ferrara, aber man könne ihn mit Anstand umsetzen. Für sie heisst das: die Betroffenen auf den Arbeitsmarkt begleiten und ihnen früh eine Perspektive geben. Manchmal hat sie damit mehr Erfolg, manchmal weniger.

Ferrara hat ihren Job noch nicht lange. Die Geschäftsstelle wurde 2016 gegründet. Zuvor war die Freisinnige Staatsanwältin für Wirtschaftsdelikte. «Ich wollte mich um die Zukunft der Menschen kümmern und nicht mehr ständig in deren kriminellen Vergangenheit graben», begründet sie ihren Wechsel. Allzu bald wird ihr die Arbeit wohl nicht ausgehen.

UBS und Cornèr Banka profitierten

Nicht alle Banken sind im Krisenmodus. Wer breit aufgestellt ist, profitiert von der gut laufenden Binnenwirtschaft. UBS-Manager Pedrotti sagt, man habe in allen Bereichen Marktanteile gewinnen können. Noch zufriedener wirkt Cornèr-Chef Vittorio Cornaro, dessen Institut nicht nur im Private Banking, sondern auch im Kreditgeschäft, Online-Trading und Zahlkartengeschäft tätig ist. Man wachse in allen vier Sparten absolut, sagt er. Die Bank konnte nicht zuletzt von der Krise bei der EFG/BSI profitieren und Kunden übernehmen. Die Bank ist präsent.

Wer derzeit in Lugano unterwegs ist, sieht ihr Logo gefühlt auf jeder zweiten Plakatwand. Doch die meisten Banker sind ernüchtert. Viele fühlen sich nicht zuletzt von der Schweiz nördlich des Gotthards verraten. Für den Steuerstreit mit den USA opferte Bern das Bankgeheimnis. Frankreich und Deutschland waren grosse Themen, denn die Geschäfte liefen über Zürich und Genf. Die Probleme mit Italien aber gingen vergessen, so der nur leise ausgesprochene Vorwurf. Die «Roadmap» von 2015 war für die Tessiner Banker ein Hoffnungsschimmer. «Da hätte man viel energischer verhandeln müssen», sagt einer.

An Italien führt kein Weg vorbei. «Das Klumpenrisiko bestand, besteht und wird immer bestehen», sagt Banker und Uni-Dozent Soncini. Ohne Zugang zum Markt aber müssen sich die Banken auf die bestehende Kundschaft konzentrieren – und die altert. Oder wie es Bankier Yves Mirabaud an der Tagung formulierte: «Europäische Kunden sind wie eine Badewanne, die sich langsam leert und nur schwierig wieder gefüllt werden kann.»