«Handelszeitung Online»: Economiesuisse, der wichtigste Wirtschaftsverband der Schweiz, bezichtigt die Detailhändler Coop und Migros, die Preise im Detailhandel künstlich hoch zu halten. Wie kommentieren Sie diesen Vorwurf?

Martin Schläpfer: Diese Kritik ist völlig haltlos. Wir begreifen auch nicht, weshalb der Dachverband der Schweizer Wirtschaft den Konflikt mit unserer Branche sucht, da er ja an der Banken- und Abzocker-Front derzeit voll gefordert ist.

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Wie sieht die Realität im Detailhandel folglich aus?

Der Wettbewerb spielt, wie dies renommierte Experten bestätigen. Dass Economiesuisse die Präsenz deutscher Harddiscounter als kaum relevant abtut, zeugt von wenig praktischen Branchenkenntnissen. Die Migros setzt sich vehement dafür ein, dass sie ausländische Markenartikel zu günstigeren Preisen einkaufen kann. Bei Verhandlungen mit den Lieferanten wird hart um bessere Preise gekämpft, was auch schon dazu geführt hat, dass die Migros aus Protest auf eine ganze Anzahl von Markenartikeln verzichtet hat. Zudem zeigt unser Engagement für die Zulassung von Parallelimporten patentgeschützter Güter, für die Einführung des Cassis de Dijon-Prinzips und für ein Agrarabkommen zwischen der Schweiz und der EU, dass wir uns auch auf politischer Ebene seit Jahren konsequent gegen Marktabschottungen und für tiefere Preise einsetzen.

Sie verweisen auf erfolgte Preissenkungen: Ist diesbezüglich der Spielraum wirklich schon ausgeschöpft?

Die erzielten Preissenkungen bei Markenartikeln über die letzten zwei Jahre sind erheblich, aber noch nicht genügend. Der Preisüberwacher attestierte dem Schweizer Detailhandel, dass er die Währungsgewinne weitergegeben hat. Die Migros senkte 2011 die Preise um durchschnittlich 4 Prozent, was deutlich über den Umfang der Währungsgewinne hinaus geht. Im laufenden Jahr senken wir die Preise um 2 Prozent. Der ehemalige Preisüberwacher Rudolf Strahm bestätigte kürzlich, dass die beiden Grossverteiler nicht schuld sind an den hohen Preisen.

Ein weiterer Vorwurf von Economiesuisse: Die beiden Grossverteiler hätten kein Interesse an tiefen Preisen für Markenprodukte, weil sonst die Eigenmarken konkurrenziert würden.

Der Vorwurf ist wie vieles in diesem Dossier konstruiert. Die Migros-Industrie ist primär im Lebensmittelsektor tätig – und setzt auf Schweizer Rohstoffe. Unser Geschäftsmodell ist die Schweiz und nicht der forcierte Import billiger ausländischer Nahrungsmittel.

Economiesuisse bezeichnete den Schweizer Detailhandel als «Wohlfühlkonkurrenz».

Auf diese Polemik gehen wir nicht im Detail ein. Es wäre dann noch zu diskutieren, wie es um die «Wohlfühlkonkurrenz» in gewissen der Economiesuisse angeschlossenen Branchen steht. Die Aussage widerspricht auch den Tatsachen: Der Schweizer Detailhandel ist hoch kompetitiv, wie BAK-Basel fundiert dargelegt hat – und auch der renommierte Schweizer Professor Thomas Straubhaar vom Hamburger Weltwirtschaftsinstitut stellte fest, dass der Wettbewerb in unserer Branche spielt.

Trotzdem wird im Ausland zweifelsohne mit härteren Bandagen gekämpft.

Man kann sich die Frage stellen, ob der ruinöse Preiskampf, der im deutschen Einzelhandel stattfindet, ökonomisch, ökologisch und sozial sinnvoll ist. Dass die «Geiz-ist-geil-Welle» neuerdings in Deutschland grössere Flurschäden anrichtet, beweisen die Pleiten der Billig-Drogerie Schlecker und einer bezüglich Hygiene mangelhaft arbeitenden Grossbäckerei, die Harddiscounter beliefert hat.

Sie hatten bereits angesprochen, dass Economiesuisse andere Branchen vergleichsweise mit Handschuhen anfasst – Stichwort Preisniveau in der Pharma-Industrie. Verfügen Sie über eine zu schlechte Lobby?

Nein, der Grund liegt wohl primär darin, dass die Pharma im Gegensatz zu uns Mitglied von Economiesuisse ist. Wir arbeiten mit dem Verband jedoch fallweise gut zusammen, weshalb uns das stillose Vorgehen schon etwas erstaunt hat. Als Genossenschaft vertreten wir nicht nur die Interessen des Unternehmens, sondern auch jene der Konsumentinnen und Konsumenten. Dass unsere Lobby nicht schlecht ist, zeigen unsere Erfolge beispielsweise bei den Parallelimporten, beim Cassis-de-Dijon-Prinzip oder beim Referendum gegen die Wiedereinführung der Buchpreisbindung, das auch von Economiesuisse unterstützt wurde.

Hängig ist die «Lex Nivea» gegen die Hochpreisinsel Schweiz, die von der SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo eingereicht worden ist. Economiesuisse lehnt diese mit der Argumentation, der Staat würde in wettbewerbliche Märkte eingreifen, ab. Ihre Stellung?

Die Migros unterstützt das Anliegen der Motion Birrer-Heimo vor allem aus Gründen einer liberalen Wirtschaftsordnung und setzt sich für eine konsumentenfreundliche Revision des Kartellgesetzes ein. Es geht nicht an, dass der Schweizer Detailhandel prominente Markenartikel internationaler Hersteller zu überhöhten Preisen in der Schweiz beziehen muss. Dass Economiesuisse wie schon beim Kampf um die Parallelimporte gegen den Preiswettbewerb ankämpft und nun auch hier partout eine Lösung verhindern will, zeigt, dass der Verband den ordnungspolitischen Kompass etwas verloren hat. Immerhin ist Economiesuisse ehrlich: Sie zeigt sich in ihrem Papier ja um das Wohl der Vertriebsgesellschaften besorgt. Das Geschäft der internationalen Grosskonzerne ist ihr also wichtiger, als die Probleme der unter der Frankenhausse leidenden Schweizer KMU, des Detailhandels und der Konsumentinnen und Konsumenten.