Vom 26. bis 28. März 2020 findet in Arosa der 43. Ärztekongress statt. Er richtet sich an Hausärzte. Es wird um neueste medizinische Errungenschaften wie Gentherapien gehen, um leicht Verdauliches wie Ernährung und um diffizilere Themen wie Weichteil- und Gelenksonografie. Als Aussteller figuriert die Crème de la Crème der Pharmaindustrie, von Bayer über Biomed bis zu Boehringer Ingelheim und Bristol Myers Squibb. Die Liste der Unterstützer zählt mehr als ein Dutzend Pharmafirmen – ein Multisponsoring, wie es sein sollte.
Der Ärztekongress vor alpiner Kulisse im einstigen Kurort ist vorbildlich – aber nicht die Regel. Wie eine Analyse von Daten aus dem Jahr 2018 durch die «Handelszeitung» zeigt, hat die Hälfte der in der Schweiz domizilierten Gesundheitsorganisationen nur einen Geldgeber aus der Industrie. Dazu zählen wichtige Ärzteorganisationen wie die International Liver Cancer Organisation (Leberkrebs) oder die European Academy Dermatology and Venereology (Haut- und Geschlechtskrankheiten).
Das ist problematisch, weil das Risiko besteht, dass die Interessen der Industrie zu stark in die ärztlichen Entscheidungen einfliessen können.
729 oder rund die Hälfte der in der Schweiz domizilierten Gesundheitsorganisationen hatten 2018 nur einen Spender aus der Industrie; drei Viertel hatten zwischen einem und drei Geldgebern. Bei 28 Organisationen stammten mindestens zwei Drittel der offengelegten Gelder und mindestens 100'000 Franken von einem Unternehmen. Möglich ist, dass diese Organisationen Zahlungen von Unternehmen erhielten, die sich dem Kodex noch nicht angeschlossen haben; doch das wäre Beweis dafür, dass die Transparenz bei den Pharma-Geldern noch fehlt.
Die Dominanz eines Geldgebers ist vor allem bei Ärzteorganisationen fragwürdig. Konfrontiert mit dem Zahlen schreibt die European Stroke Organisation (ESO) mit Hauptgeldgeber Boehringer Ingelheim: «Die ESO bekommt Gelder von der Industrie für Projekte, um die Versorgung bei Hirnschlag zu verbessern.» Excemed, bei der 100 Prozent der ausgewiesenen Gelder von der deutschen Merck kommen, reagierte nicht auf eine Anfrage.
Die im 2015 lancierte Transparenzinitiative des Branchenverbands Scienceindustries zeigt aber Fortschritte. 2018 legten die 59 Unternehmen, die sich dem sogenannten Pharmakooperationskodex angeschlossen haben, Zahlungen im Umfang von 181,4 Millionen Franken offen. Das sind 11,7 Prozent mehr als im Vorjahr oder 40,9 Millionen mehr als 2015. 90,1 Millionen gingen an Gesundheitsorganisationen, 9,5 Millionen an Ärzte und andere Gesundheitsfachleute. Wichtig: Umfangreiche Zahlungen gehen an internationale Organisationen. Sie werden zwar in der Schweiz offengelegt, weil die Organisationen ihren Sitz hier haben; sie haben aber mit dem Schweizer Markt nur am Rande zu tun.
Positiv: Immer mehr Pharmagelder sind individuell zuordenbar. 2018 waren über alle Firmen hinweg 78 Prozent der Zahlungen an Ärzte und andere Gesundheitsfachleute personifiziert, gegenüber 69 Prozent 2017; bei den Gesundheitsorganisationen stieg die Offenlegungsquote von 91 auf 94 Prozent.
Gut im Rennen liegen die beiden Basler Pharmakonzerne. Novartis legte 2018 alle Zahlungen an Gesundheitsorganisationen offen, bei Roche lag der Wert bei 96 Prozent. Beide Konzerne schliessen keine Verträge mehr ab mit Leistungserbringern, die sich der Transparenz verweigern.
Auffällig sind die teilweise erheblichen Sprünge bei Forschung und Entwicklung (F&E). Über alle Unternehmen hinweg stiegen die Zuwendungen in dieser Kategorie um 13,7 Millionen Franken, von 58,7 auf 72,4 Millionen. Explodiert sind die Zahlungen für F&E bei Amgen, und zwar von 1,2 auf 7,5 Millionen Franken. Die Zunahme hat mit zwei nachklinischen Studien im Bereich Herzkreislauferkrankungen zu tun, bei denen Schweizer Spitäler eine wichtige Rolle spielen. Auch bei Bristol Myers Squibb gibt es einen sprunghaften Anstieg; der amerikanische Immunonkologie-Pionier investierte im vergangenen Jahr 9,9 Millionen Franken in F&E, 50 Prozent mehr als im Vorjahr; bei Roche waren es 13 Millionen Franken respektive 45 Prozent mehr.
Das ist zunächst ein grosses Plus für die Patienten, die damit Zugang zu Therapien bekommen, die noch nicht zugelassen sind. Zudem zeigt es, dass das Schweizer Gesundheitswesen konkurrenzfähig ist, wenn es darum geht, anspruchsvolle klinische Studien durchzuführen. Amgen Schweiz schreibt dazu: «Die Tatsache, dass ein amerikanisches Unternehmen in klinische Studien investiert, ist nicht selbstverständlich», dieser «glückliche Zustand» sei unter anderem den exzellenten Bedingungen in der Schweiz, vor allem der hohen Versorgungsqualität des Schweizer Gesundheitswesens zu verdanken.
Doch der Anstieg bei F&E könnte auch weniger erfreuliche Gründe haben. Dann nämlich, wenn die Unternehmen die anonyme Form der Offenlegung bei F&E dazu nutzen würden, die Transparenz zu umgehen.
«Der Anstieg bei F&E ist uns auch aufgefallen», sagt Jürg Granwehr, Leiter Pharma beim Dachverband Scienceindustries, der für die Einhaltung der Pharmakodizes verantwortlich ist. «Investitionen in die Forschung erachten wir als erfreulich. Doch wir beobachten diese Ziffer, unbegründete Ausweichbewegungen sind zu vermeiden.» Recherchen hätten gezeigt, dass der Anstieg gerechtfertigt sei. «Wir haben uns mit vielen betroffenen Unternehmen in Verbindung gesetzt und jeweils eine plausible Erklärung für die Steigerung der F&E-Zuwendungen erhalten.» F&E als Vehikel dafür, die Transparenz zu umgehen – die Frage wird sich wieder stellen, sollte der Trend anhalten.
Wer bezahlt wen und wofür?
Recherche Sehen Sie selbst, welche Leistungen die Pharmaindustrie Ärzten, Spitälern und anderen Institutionen der Gesundheitsbranche zukommen liess: Auf www.pharmagelder.ch machen die Schweizer Medien des Ringier Axel Springer Research Network die Daten zugänglich und durchsuchbar. Die Daten zu Tausenden Einzelzahlungen stammen von 60 Pharmafirmen, die sie gemäss Pharma-Kooperations-Kodex des Verbands Scienceindustries offengelegt haben.
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