Das Dach Europas macht durchaus ehrfürchtig ob der Gewalt und Schönheit der Natur. Die Wucht des Mont Blanc, des höchsten Bergs der Alpen, ist in den Hochsavoyen stets zu spüren. Und genau dort, im französischen Alpen-Städtchen Passy, betreibt der Sportartikelhändler Decathlon eine seiner Design-Werkstätten für seine Produkte. 

Im sogenannten Mountain Store tüfteln Designer und Produktingenieurinnen an neuen Zelten, Wanderschuhen oder Rucksäcken. Im Hinterkopf haben sie stets die Eindrücke vom Naturspektakel vor der Haustür. So ist ihre Arbeit am Decathlon-Standort für Bergsport ein integraler Bestandteil der Nachhaltigkeitsoffensive des französischen Herstellers und Händlers von Sportartikeln. Sein Engagement für umweltbewusstes Wirtschaften hat das Unternehmen vor Ort in Passy den Medien präsentiert, um dort exemplarisch das ökologische Wirken in den insgesamt neun, über ganz Frankreich verteilten Decathlon-Kreativwerkstätten aufzuzeigen. 

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Erfolgsrezept tiefe Preise

Die Main-Message: Decathlon hat sein grünes Gewissen entdeckt – und meint es ernst damit. Dabei ist einer der weltweit führenden Sportartikelhändler eher bekannt für sein Niedrigpreiskonzept à la Aldi und Lidl. Das Erfolgsrezept sind viele Eigenmarken sowie Masse, Masse und nochmals Masse. Die «Ikea des Sports», wie der französische Retailer oft genannt wird, baut auf Einsteigerlinien, bei denen der Konkurrenz die Spucke wegbleibt, und setzt dann mit tauglicheren Artikeln nach, bei denen Preis und Leistung stimmen. Das inoffizielle Decathlon-Motto «Sport für alle» geniesst bei den Franzosen oberste Priorität.

Nun hat Decathlon konkrete Umweltziele gegen aussen kommuniziert. Bis 2026 soll der CO₂-Ausstoss um 20 Prozent gegenüber dem Richtjahr 2021 verringert werden, als Daten zum Umwelteinfluss des Unternehmens erstmals detailliert erhoben worden sind. Der absolute Zielwert: Emissionen von 9,2 Millionen Tonnen CO₂ für das ganze Jahr. 

Anschliessend wird sich Decathlon ambitioniertere Umweltziele setzen, publiziert werden diese zu einem späteren Zeitpunkt. Den Antrieb für das Engagement umschreibt Raffaele Duby, Nachhaltigkeitsverantwortlicher bei der Decathlon-Gruppe, so: «Wir möchten den Sport mit der Umwelt kompatibel machen, indem wir die planetaren Grenzen respektieren. Schliesslich sind wir als Sportlerinnen und Sportler sehr naturverbunden.»

Kritik an Decathlon von Schweizer NGO

Seine riesige Produktpalette lässt Decathlon von externen Produktionsstätten fertigen, wie es in der Modebranche generell Usus ist. Laut einem Firmencheck aus dem Jahr 2019 von Public Eye werden rund zwei Drittel aller Artikel in Asien hergestellt. Decathlon verfügt über ein internes Kontrollprogramm, um die Arbeitsbedingungen bei den Zulieferern zu überprüfen. «Decathlon stellt sicher, dass alle menschlichen Belange auf jeder Ebene der Produktions- und Fertigungskette für die Angestellten und Nutzer sowie für die Lieferanten und Anbieter berücksichtigt werden», schreibt das Unternehmen im aktuellsten Nachhaltigkeitsreport für 2021. In jenem Jahr hat es auch seinen Code of Conduct und das Kontrollsystem überarbeitet. Bis 2026 sollen 90 Prozent der wichtigsten Produktionsstätten mindestens das mittlere Level des fünfstufigen Audit-Rankings erreichen. 2021 lag der Wert bei 78 Prozent.

Das Engagement von Decathlon sorgt beim Schweizer NGO Public Eye trotzdem für Misstrauen. Zwar werde die Zahlung von Mindestlöhnen beziehungsweise Tariflöhnen über das Kontrollprogramm überwacht. «Jedoch liegen die Mindestlöhne, wie wir wissen, häufig weit unter der Existenzsicherungsschwelle. Wir fordern Decathlon deshalb auf, seine Einkaufspreise endlich so anzupassen, dass den Arbeiterinnen und Arbeitern bei den Zulieferern ein Lohn zum Leben bezahlt werden kann», führt Public-Eye-Sprecher Oliver Classen aus.

Decathlon nimmt zu den Vorwürfen folgendermassen Stellung: «Die Mitarbeiter des Lieferanten erhalten mindestens den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn beziehungsweise den ortsüblichen Lohn – je nachdem, welcher höher ist – und die gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen, einschliesslich Urlaub und Freistellung, Sozialversicherung und gesetzliche Abfindungen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Werden Arbeitnehmer nach ihrer Leistung bezahlt (Akkordarbeit), muss ihr Lohn dennoch dem gesetzlichen Mindestlohnstandard entsprechen. Die Löhne werden vertragsgemäss, pünktlich und mindestens monatlich gezahlt. Es gibt keine disziplinarischen Abzüge vom Lohn. Die Zulieferer vergüten alle Überstunden mit einem Zuschlag.»

Vorteil dank Eigenmarken   

Um das CO₂-Reduktionsziel bis 2026 zu erreichen, baut Decathlon einerseits auf klassische Einsparprogramme: Bis 2026 soll der gesamte Strombedarf aus erneuerbaren Energiequellen stammen. CO₂-intensive Transporte via Flugzeug werden durch nachhaltigere Logistiklösungen ersetzt. Und mittels finanziellen Anreizmodellen werden Mitarbeitende dazu animiert, selbst umweltbewusster zu leben, indem sie etwa mit dem Velo zur Arbeit fahren anstatt mit dem Auto.

Anderseits sieht der Sportfachhandelsriese den grossen Brocken, um den Fussabdruck zu verringern, in der eigenen Produktpalette. Im Gegensatz zu den zwei grössten Schweizer Konkurrenten, Ochsner Sport und SportXX, bauen die Franzosen vor allem auf Eigenmarken. Rund vier Fünftel des Umsatzes erzielt Decathlon mit seinen 65 eigenen Brands. Damit verfügt das Unternehmen über einen besonders starken Hebel, um den Umwelteinfluss seiner vertriebenen Produkte zu verkleinern. Dazu kommt, dass die Produktion der Verkaufsware den Hauptanteil des CO₂-Budgets von Decathlon ausmacht, nämlich gut 85 Prozent. 

Zentrale Rolle von recyceltem Polyester

Ebenfalls bis 2026 strebt Decathlon an, dass alle eigenen Produkte Resultat der sogenannten Ecodesign-Strategie sind. «Ecodesign» ist ein 2017 ins Leben gerufenes Label, das für nachhaltigere Produkte und Herstellungsprozesse steht. Dafür definiert Decathlon für jedes Produkt einzelne Kriterien. Ein Polyester-Sportshirt muss laut Label beispielsweise mindestens zu 60 Prozent aus recyceltem Material bestehen.

Laut dem Strategiepapier zur ökologischen Transformation soll Polyester bis 2026 dann zu 100 Prozent aus nachhaltigen Quellen kommen. Die Chemiefaser spielt eine zentrale Rolle auf dem Weg zur grünen Sportmode, weil sie aufgrund ihrer Eigenschaften Bestandteil der meisten Sportkleider ist. Recycelter Polyester kann etwa aus PET-Flaschen gewonnen werden.

Dieses Polyestergarn kauft Decathlon bei Partnerfirmen weltweit ein. Den Gehalt des recycelten Materials kontrolliert das Unternehmen über Herkunftsnachweise. Ein Grossteil der Importe stammt aus Asien, was von Umweltverbänden kritisiert wird. Der Vorwurf: Die Zulieferer könnten Neumaterial einfach als «recyceltes» Polyester ausweisen. In Deutschland hat der TÜF Süd eine Analysemethode entwickelt, um den Gehalt von recyceltem PET in Sportartikeln zu bestimmen. Resultat: In drei von zehn überprüften Decathlon-Produkten waren keine Spuren von PET-Flaschen zu finden.

Der Sportartikelhändler ging dem nach und teilte gegenüber dem ZDF mit, dass das recycelte Material in den drei beanstandeten Produkten aus Alttextilien stamme. Herkunftsnachweise bestätigten laut dem Bericht die Stellungnahme von Decathlon.  

Auch für andere Materialien hat der grüner werden wollende Sportfachhändler Umweltziele definiert. Baumwolle etwa soll ebenfalls bis 2026 zu 100 Prozent aus nachhaltigen Quellen stammen. Und beim Färben der Textilien treibt Decathlon die Spinnfärbung-Methode voran. Beim auch «Dope Dyed» genannten Vorgehen werden die Farbpigmente bereits bei der Herstellung des Garns hinzugefügt, um so wasserintensive Farbbäder zu vermeiden. 

Es ist nun Aufgabe der Produktentwicklungsabteilung, ökologischere Prozesse und Materialien beim Kreieren neuer Artikel zu integrieren. Decathlon geht dabei sehr zahlengetrieben vor. Die Designerinnen und Produktingenieure kennen die CO₂-Verbesserungen ihrer neuen Ecodesign-Neuheiten sehr genau – und tragen diese Info gerne nach aussen. 30 Prozent Anteil von recycelter Baumwolle in einem T-Shirt? 20 Prozent weniger CO₂. T-Shirt zu 100 Prozent aus recyceltem statt neuem Polyester? 5 Prozent weniger CO₂. «Eco-Design ist vollkommen in unseren Designprozess integriert», sagt dazu Marc Peyregne, oberster Verantwortlicher für das Ecodesign-Programm.

Kein Rütteln am Motto «Sport für alle»

Aktuell trägt rund ein Viertel aller Decathlon-Artikel das Ecodesign-Label. Das entspricht einer Vervierfachung innerhalb der letzten zwei Jahre. Und eine weitere Vervierfachung in ungefähr der gleichen Zeitspanne braucht es, damit Decathlon sein Ecodesign-Ziel erreicht. Dafür müssen sich die Franzosen durchaus strecken. Denn ein neues Produkt braucht eine längere Vorlaufzeit, bis es effektiv ins Sortiment aufgenommen wird. Der künftig geltende Produktkatalog wird rund zehn Monate im Voraus festgelegt.

Nicht gerüttelt wird bei der Öko-Transformation am Leitbild «Sport für alle». Weshalb die Decathlon-Verantwortlichen stets betonen, dass die Preise durch den Fokus auf nachhaltige Produktionsweisen nicht steigen werden. Gleiches gelte für den Qualitätsanspruch, wie Eco-Design-Chef Peyregne sagt: «Wir machen keine Abstriche, was die Wertigkeit unserer Produkte angeht. Ein Ecodesign-Produkt ist nur dann gut, wenn es viel und lange genutzt werden kann.»

Generell will Decathlon bezüglich Qualität unbedingt den unschönen Vorwurf vermeiden, bloss Händler von billiger Wegwerfware zu sein, indem das Unternehmen dem ziemlich aktiv entgegenwirkt. So gewährt es bei vielen Artikeln eine grosszügige Garantielaufzeit. Zudem betreibt Decathlon in seinen Filialen eine Reparaturwerkstatt, die beschädigte Produkte wieder auf Vordermann bringt. Und seit einiger Zeit verkaufen die Franzosen in ihren Läden auch bereits gebrauchte Sportartikel zu vergünstigten Preisen und betreiben ein Mietangebot unter anderem für Skis, Fahrräder und Paddleboards.

Indem Decathlon bei den Trends «Secondhand» und «Mieten statt kaufen» aufspringt, wird der Retailer auch immer mehr Dienstleister, und zwar – passend zur Nachhaltigkeitsoffensive – einer mit grünerem Gewissen.

Der Artikel wurde nachträglich um eine Stellungnahme von Decathlon zu den Vorwürfen von Public Eye betreffend Löhnen bei den Produktionsstätten ergänzt.

Decathlon – der französische Sporthandelriese

Der heutige französische Milliardär Michel Leclercq gründete Decathlon 1976 im Dorf Englos in Nordfrankreich. Über die Jahre ist das Unternehmen zu einem der grössten Sportartikelhändler der Welt aufgestiegen. Die Firmengruppe beschäftigt über 100’000 Mitarbeitende in 60 Ländern und betreibt in diesen rund 1750 Filialen. Im Jahr 2021 erwirtschaftete das Unternehmen einen globalen Umsatz von 13,8 Milliarden Euro, was 1,6 Milliarden mehr sind als die vom Schweizer Weltmarktführer Intersport generierten Erlöse. Laut Forbes halten Gründer Leclercq und seine direkten Familienangehörigen rund 40 Prozent an Decathlon. Mehrheitseigentümer ist die französische Warenhauskette Auchan, die wiederum der mit Leclercq verwandten Familie Mulliez gehört. Der Familienpatron und Auchan-Gründer Gérard Mulliez ist ein Neffe des Decathlon-Erfinders.

In der Schweiz ist Decathlon seit 2017 präsent. Gestartet mit einem Online-Angebot und einer Filiale in Neuenburg, übernahm das Unternehmen im Sommer 2018 eine Mehrheitsbeteiligung an Athleticum. Decathlon betreibt hierzulande – auch dank umgerüsteter Athleticum-Filialen – zurzeit 27 Geschäfte und beschäftigt rund 1000 Mitarbeitende. Umsatzzahlen und Angaben zum Marktanteil gibt das Unternehmen für die Schweiz nicht gesondert bekannt. Es ist hinter dem Leader Ochsner Sport und SportXX von der Migros die Nummer drei des hiesigen Sportfachmarkts.