Das US-Justizministerium hat die Ermittlungen im VW-Abgasskandal ausgeweitet. Nun findet sich auch Ex-Konzernchef Winterkorn unter den Angeklagten. Ihm droht eine lange Haftstrafe. Doch dafür müssten die Fahnder ihn erst einmal fassen.

Es ist die mit Abstand hochrangigste Anklage im «Dieselgate»-Verfahren: Das US-Justizministerium will nun auch den früheren VW-Konzernchef Martin Winterkorn wegen angeblicher Mittäterschaft beim Abgas-Skandal strafrechtlich belangen. Dem 70-Jährigen werden Betrug sowie Verschwörung zum Verstoss gegen Umweltgesetze und zur Täuschung der Behörden vorgeworfen. Das geht aus der Anklageschrift hervor, die das zuständige Bezirksgericht in Detroit (US-Bundesstaat Michigan) am Donnerstag (Ortszeit) veröffentlichte.

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«Wer versucht, die Vereinigten Staaten zu betrügen, wird einen hohen Preis bezahlen», verkündete US-Justizminister Jeff Sessions in Washington. Die Tatsache, dass kriminelle Straftaten auf der höchsten Ebene der VW-Konzernführung abgesegnet gewesen sein dürften, sei erschreckend, sagte der zuständige Staatsanwalt Matthew J. Schneider vom östlichen Bezirk Michigans.

Falscher Entscheid des Managements

Die US-Ermittler gehen davon aus, dass Winterkorn im Mai 2014 und Juli 2015 über die Abgasmanipulationen informiert wurde. Er habe dann mit anderen Führungskräften entschieden, die illegale Praxis fortzusetzen.

Martin Winterkorn

Martin Winterkorn soll im Mai 2014 und Juli 2015 über die Abgasmanipulationen informiert worden sein.

Quelle: Sean Gallup/Getty Images

Winterkorn ist der neunte ehemalige oder aktuelle VW-Mitarbeiter, gegen den die US-Behörden Strafanzeige in der «Dieselgate»-Affäre stellen. Justizkreisen zufolge wird er aber in Deutschland vermutet, von wo ihm vorerst keine Auslieferung drohen dürfte. Laut einem Gerichtssprecher ist Winterkorn nicht in Haft.

Es drohen bis zu 25 Jahre Haft

Der Ex-VW-Chef ist in vier Punkten angeklagt. Ihm drohen einem Gerichtssprecher zufolge bei einer Verurteilung bis zu 25 Jahre Haft und eine Geldstrafe von bis zu 275'000 Dollar. Dabei handele es sich um das Maximum laut Strafgesetzbuch.

Der Top-Manager war im September 2015 von seinem Amt zurückgetreten, kurz nachdem US-Behörden Abgasmanipulationen bei zahlreichen VW-Dieselautos aufgedeckt hatten. VW hatte nur mit einer «Defeat Device» genannten Manipulations-Software die Schadstoff-Grenzwerte eingehalten. In den USA waren rund 600'000 Fahrzeuge betroffen, weltweit etwa 11 Millionen. Winterkorn hatte trotz seines zügigen Rücktritts betont, sich keines Fehlverhaltens bewusst zu sein.

Martin Winterkorn: Zeugenaussage bei der Bundestags-Kommission zur Untersuchung des Volkswagen Diesel-Abgasskandals.

Martin Winterkorn: Zeugenaussage bei der Bundestags-Kommission zur Untersuchung des Diesel-Abgasskandals.

Quelle: Steffi Loos / Getty Images

Informationen erst jetzt öffentlich

VW erklärte, weiter vollumfänglich mit dem US-Justizministerium zu kooperieren. Allerdings sei es unangemessen, zu individuellen Verfahren Stellung zu nehmen, hiess es in einer Stellungnahme. Die Strafanzeige gegen Winterkorn in den USA wurde laut Staatsanwaltschaft bereits im März gestellt, die erweiterte Anklageschrift aber erst jetzt enthüllt und damit öffentlich gemacht.

Auf Konzernebene hatte VW bereits ein Schuldgeständnis gegenüber den US-Behörden abgegeben und hohe Strafen zahlen müssen. Für Vergleiche in Nordamerika wurden über 25 Milliarden Euro an Rechtskosten verbucht. In Europa wollen Anwälte ebenfalls Schadenersatz erstreiten.

Zwei VW-Mitarbeiter wurden bereits verurteilt

Die US-Justizbehörden hatten zuvor bereits Strafanzeigen gegen acht derzeitige und frühere Mitarbeiter des VW-Konzerns gestellt. Zwei von ihnen, der Ingenieur James Liang und der Manager Oliver Schmidt, wurden im August beziehungsweise im Dezember 2017 zu mehrjährigen Haftstrafen und hohen Geldbussen verurteilt. Es handelte sich um das gleiche Verfahren, das sich auch gegen Winterkorn richtet.

Der für die bisherigen Urteile zuständige Richter Sean Cox gilt als knallhart und ging in seinen Schuldsprüchen über die bei Deals mit den Angeklagten ausgehandelten Forderungen der Staatsanwälte hinaus.

Enorme Abwärtsspirale

Gegen den Ex-VW-Chef und andere Führungskräfte wird auch in Deutschland ermittelt. Zum einen wegen des Anfangsverdachts des Betrugs, zum anderen wegen Marktmanipulation. Anleger klagen wegen erlittener Kursverluste auf Schadenersatz in Milliardenhöhe, da die VW-Aktie nach Bekanntwerden des Skandals auf Talfahrt ging. Die Manager sollen die Finanzmärkte zu spät über die Affäre informiert haben. Der Konzern betont stets, dies rechtzeitig getan zu haben. Durch die Affäre wurde auch das Image von Dieselfahrzeugen schwer beschädigt.

Standen einst unangefochten an der VW-Spitze: Martin Winterkorn und Ferdinand Piëch.

Winterkorn hatte bis zu seinem Rücktritt im Herbst 2015 eine glänzende Karriere hingelegt. Zusammen mit dem früheren VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch stand er unangefochten an der Spitze des Autokonzerns - bis zum Ausbruch des Dieselskandals. Der frühere Audi-Chef Winterkorn war 2007 zum Konzernchef von Europas grösstem Autokonzern Volkswagen aufgestiegen.

Die Nachfolge Winterkorns trat im Herbst 2015 der damalige Porsche-Chef Matthias Müller an. Müller wiederum wurde erst vor kurzem von VW-Markenchef Herbert Diess an der Konzernspitze abgelöst. Damit verbunden war ein massiver Konzernumbau. Diess hat angekündigt, VW schlagkräftiger zu machen. Das Tempo für Innovationen solle erhöht, neue Akzente sollten gesetzt werden. Die Autobranche ist mitten in einem grundlegenden Wandel hin zu alternativen Antrieben, immer mehr Internet im Auto und autonomen Fahrzeugen.

(reuters/ccr)