2015 war bisher ein schwieriges Jahr für die Reisebranche. Was hat Tui Suisse am meisten auf Trab gehalten?
Martin Wittwer*: Das Jahr hatte viele prägende Ereignisse für uns. Wirtschaftlich gesehen hat uns die Aufhebung des Mindestkurses am meisten beschäftigt.

Können Sie das noch etwas ausführen?
Mitten in der Buchungssaison im Januar wurden die Rahmenbedingungen über Nacht komplett verändert. Der Schritt der Nationalbank hat uns überrascht. Wir mussten die Preise sofort um 15 Prozent senken, um konkurrenzfähig zu bleiben. Ansonsten wären die Kunden über die Grenze gegangen. Zusätzlich erlitten wir auf die zur Sicherung der Preise gehaltene Euro-Summe eine erhebliche Einbusse.

Was bedeutet das nun auf das ganze Jahr gesehen?
Wir haben Kosten gespart und – weil das Geschäft insgesamt wieder gut in Fahrt kam – haben wir einiges aufholen können. Geholfen hat uns wohl auch die Ankündigung von Kuoni, das Reisegeschäft zu veräussern. Wir sind zuversichtlich, dass wir erneut schwarze Zahlen schreiben werden.

Der Januar muss für Sie ein Wechselbad der Gefühle gewesen sein. Denn am Tag vor dem SNB-Entscheid hat Kuoni den Ausstieg aus dem Veranstaltergeschäft bekanntgegeben. Wie haben Sie das erlebt?
Grundsätzlich hat mich der Entscheid von Kuoni nicht überrascht. Der Schritt war absehbar. Trotzdem konnte niemand erwarten, dass Kuoni mitten in der Buchungssaison einen so radikalen Schnitt vollziehen würde. Die Art und Weise des Ausstiegs war schon speziell und machte mich als ehemaligen Kuoni-Mitarbeiter auch etwas bestürzt.

Kuoni sah offenbar keine Möglichkeit mehr, im Veranstaltergeschäft Geld zu verdienen. Gab Ihnen das nicht auch zu denken?
Nein, weil die Situation von Kuoni mit der unsrigen nicht vergleichbar ist. Für uns war der Verkauf eher eine Bestätigung, dass unsere Strategie richtig ist. Kuoni hatte als Veranstalter Marktanteile verloren. Den Rewe-Konzern anerkennen wir als einen guten, professionellen Eigentümer.

Wo liegen denn die Unterschiede zu Kuoni?
Wir sind international aufgestellt und können von Skaleneffekten profitieren. Wir sind Teil des weltweit führenden integrierten Touristikkonzerns. Ganz wichtig ist deshalb der eigene Content mit den Tui-exklusiven Angeboten. Wir haben eigene Hotels, Schiffe und vieles mehr.

Aber war nicht auch der Aufstieg von Buchungsplattformen wie Expedia und Booking.com ein Grund für das Aufgeben von Kuoni?
Ich glaube nicht, dass das der Haupttreiber war. Alle klassischen Reiseunternehmen waren und sind durch die zunehmende Digitalisierung der Reisewelt gefordert. Auch wir.

Tui ist hier besser aufgestellt?
Tui beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem technologischen Wandel. Wir sind uns bewusst, dass unsere Hauptkonkurrenten internationale Buchungsplattformen wie Expedia und Booking.com sind.

Und wie wollen sie gegen diese Plattformen bestehen?
Als Tourismuskonzern muss man die Vorteile ausspielen, die man gegenüber diesen Plattformen hat. Die erste Trumpfkarte sind die eigenen Produkte wie Reisebüros, Kreuzfahrtschiffe, Hotels und Reiseagenturen an den Destinationen. Die zweite Trumpfkarte ist der persönliche Kontakt. Wir begleiten unsere Kunden: Ob bei der Buchung oder vor Ort, wenn sie es wünschen, können sie uns persönlich kontaktieren. Natürlich müssen wir technologische Vorteile der Plattformen aufholen, doch unsere Chancen stehen gut.

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Wo steht man in dieser Strategie?

Wir haben erkannt, wo wir hin wollen. Einige Massnahmen haben wir schon umgesetzt. Wir sind daran, die Grenzen zwischen On- und Offline aufzuheben und wir haben viel in digitale Reisebüros und ticketloses Reisen investiert. Mittlerweile bieten wir für Flüge und Hotels tagesaktuelle Preise. Rund 10’000 Hotels können ihre Preise jederzeit selbst anpassen. Der neue Verkaufspreis erscheint sekundenschell im Buchungssystem der Reisebüros oder im Internet.

Wie wird Tui Suisse in zehn Jahren aussehen? Gibt es dann noch Reisebüros?
Tui Suisse existiert als Unternehmender Tui Gruppe weiterhin. Ich bin überzeugt, dass es immer noch Reisebüros geben wird. Diese entwickeln sich zunehmend zu Kontaktpunkten für Kunden, die sich fachkundig informieren wollen. Die Reisebüros werden eine Kommunikations- und Verkaufsplattform nahe bei den Reisenden sein.

Abgesehen von der Digitalisierung. Was sind die nächsten Projekte von Tui Suisse?
Der Tourismus wächst weltweit. Die Reiseintensität in der Schweiz ist hoch und nimmt weiter zu. Unser Ziel ist es, von diesem Wachstum zu profitieren. Dabei sehen wir einen sehr starken Trend zu Reisen an die Fernziele. Diesen gilt es mit Produkten zu begleiten, sowohl mit Hotels wie Riu als auch mit Flugkapazitäten. Dank der Intensivierung der Zusammenarbeit mit dem Premium-Flugpartner  Edelweiss bieten wir deshalb schon in diesem Winter 50 Prozent mehr Flüge an. Vor allem für die Dominikanische Republik und Thailand erhoffen wir uns einen Wachstumsschub.

Ist es nicht ein ökologisches Unding, wenn man den Trend zu Langstreckenflügen auf diese Weise mitgeht?
Zuerst muss ich festhalten, dass der Tourismus auf eine nachhaltige Entwicklung angewiesen ist. Reisen in die Dominikanische Republik können wir zum Beispiel nur verkaufen, wenn die Strände schön und sauber sind. Die Reduktion des ökologischen Fussabdrucks ist uns ein sehr wichtiges Anliegen. Uns ist bewusst, dass touristische Aktivitäten auch natürliche Resourcen verbrauchen. Tui arbeitet deshalb mit Airlines zusammen, die ständig versuchen, die Pro-Kopf-Emissionen zu reduzieren. Doch wir alle können einen Beitrag leisten. Wir empfehlen unseren Kunden den CO2-Ausstoss ihrer Flüge freiwillig zu kompensieren.

Trotzdem sind solche Langstreckenreisen für die Umwelt problematisch.
Mobilität ist ein Bedürfnis der Menschen. Wenn unsere Kunden fliegen wollen, möchten wir diesen Wunsch bestmöglich erfüllen. Unsere Strategie ist nicht, das Angebot aufzustocken und darauf zu hoffen, dass wir mehr Plätze verkaufen können. Es geht uns auch nicht darum, künstlich die Flüge zu verbilligen. Tui will keinen Preiskrieg anzetteln. Was die Zahl der Langstreckenflüge ab der Schweiz betrifft werden nicht mehr Flüge stattfinden. Von den bisherigen Kapazitäten, die umverteilt werden, übernehmen wir lediglich einen grösseren Anteil.

Die Preise werden aber auch gesenkt.
Wir drehen nicht an der Preisschraube. Die tieferen Preise hängen vor allem mit dem Euro-Franken-Wechselkurs Franken zusammen. Somit werden Reisen automatisch günstiger. Würden wir mit günstigeren Preisen nicht nachziehen, würden die Schweizer ganz einfach im Euroland buchen. Die Reisenden haben das Signal erkannt. Schon jetzt spüren wir, dass wieder vermehrt in der Schweiz gebucht wird.

* Martin Wittwer ist Chef von Tui-Suisse.