Lange Jahre galt unter Parteien, Meinungsforschern und Journalisten die Gewissheit, dass Bundestagswahlen erst im letzten Moment entschieden werden. Schliesslich steigt nach Einschätzung der Demoskopen die Zahl derer, die sich erst sehr spät entscheiden. Doch einiges spricht dafür, dass bei der bevorstehenden Bundestagswahl vieles anders läuft, denn die Zahl der Briefwähler ist in den vergangenen Jahren dramatisch gestiegen.

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Schon bei der Bundestagswahl 2013 gaben immerhin 24,3 Prozent der Wähler ihre Stimme lange vor dem Wahltag ab - der Rekordwert lag dabei mit 35,3 Prozent in Bayern. Auch bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Mai stimmten 24,9 Prozent vor dem Wahltag ab. Das bedeutet auch, dass Wahlen bereits vorentschieden werden, bevor die Parteien überhaupt ihren klassischen Endspurt starten.

Zwei zeitliche Spitzen

Von einem «Paradigmenwechsel» spricht deshalb der Leiter des CDU-Wahlkampfteams conncet17, Conrad Clemens, bei einem Besuch in der Wahlkampfzentrale in Berlin. «Wir wollen diesmal in zwei Schüben Schwerpunkte setzen. Zum einen in den letzten zwei Wochen vor dem 24. September. Aber dann auch kurz vor dem 13. August – zur Briefwahl», sagte er.

«Viele Wähler haben längst abgestimmt, wenn die Parteien ihr Info-Material und ihre Plakate auf den Markt bringen.» Da die Union viele ältere Wähler hat, scheint ein Umdenken besonders wichtig zu sein. Denn 2013 lag die Zahl der Briefwähler mit 31,6 Prozent bei den über 70-Jährigen am höchsten, danach folgten die 60- bis 69-Jährigen mit immerhin 28,6 Prozent.

13. August ist ein wichtiges Datum

Andere Parteien sehen den Trend auf Anfrage ähnlich, auch wenn sich die SPD bedeckt hält. «Das Verhalten der Wähler hat sich verändert - sowohl die Zahl der Spät-Entscheider als auch die der Briefwähler steigt», sagt Michael Kellner, politischer Bundesgeschäftsführer der Grünen, zu Reuters. Die Konsequenz: «Es wird einen ersten Höhepunkt der Briefwahl-Kampagne Ende August geben.» Denn dann erreicht nach Ansicht von Wahlstrategen der Entscheidungsprozess vieler Briefwähler einen Höhepunkt.

Der 13. August gilt als wichtiges Datum, weil danach die ersten Bundesbürger ihre Wahlunterlagen erhalten und dann Briefwahl beantragen oder ihre Stimme in ersten geöffneten Wahllokalen abgeben können. Vergangenen Montag hatte der Bundeswahlleiter die Listen für die Wahl geschlossen, jetzt werden die Wahlunterlagen gedruckt und versandt. In allen Parteien wird deshalb damit gerechnet, dass die Briefwahl faktisch kommende Woche starten kann.

«Es ist offensichtlich, dass alle Parteien anders als früher schon jetzt in die Grossplakatierung einsteigen», sagt Linkspartei-Sprecher Hendrik Thalheim mit Blick auf die nun forcierte Mobilisierung der Parteien. «Der Wahlkampf wird bewusst um Briefwahlstimmen geführt.»

Haustürbesuche werden immer wichtiger

Von der FDP bis zur Linkspartei werden deshalb vor allem in den kommenden Wochen potenzielle Briefwähler informiert und mobilisiert - mit einem breiten Spektrum an Massnahmen. Denn zur frühen Plakatierung kommt der ebenso frühe Einsatz der direkten Ansprache durch Haustürbesuche bei Wählern - ein Instrument, was von allen Parteien als immer wichtiger eingeschätzt wird. Die CDU verweist auf eine bereits hohe Zahl dieser Haustürbesuche. Auch Linkspartei-Chef Bernd Riexinger will sich Ende kommender Woche daran beteiligen.

«Wir werden auf den Grossplakaten der ersten Welle sogenannte Störer mit dem Hinweis 'Jetzt Briefwahl beantragen' haben», sagt Grünen-Bundesgeschäftsführer Kellner. Ende August folge dann der grafisch abgesetzte Slogan «Briefwahl jetzt». Etwa die Grünen und die FDP wollen zudem massiv im Netz um Briefwähler werben. Immerhin lag der Anteil der Stimmen für die Liberalen bei den Briefwählern 2009 und 2013 jeweils über dem Gesamtergebnis der Partei.

In allen Parteien wird betont, dass man zudem statt blosser Aufklärung über das «Wie und Wann» der Briefwahlmöglichkeiten stärker auf Inhalte setze und Hinweise zur Briefwahl auch deutlicher mit der Werbung für die eigene Partei verbinden wolle.

Wählersympathien können sich kurzfristig ändern

Stellt sich die Frage, ob Parteien nicht auch einen Nachteil haben können, wenn sie diesmal einen Wahlkampf mit zwei zeitlichen Spitzen fahren. Denn das politische Klima könnte sich bis zum 24. September zumindest theoretisch noch ändern. Immer wieder hatte es in den vergangenen Wahlen mit Hochwasser oder internationalen Krisen Ereignisse gegeben, die die Wählersympathien noch einmal veränderten. Eine Partei, die heute schlecht dasteht, könnte also am 24. September viel besser abschneiden.

Grünen-Bundesgeschäftsfrüher Kellner winkt aber ab. «Solche Entscheidungen für eine Briefwahlstrategie werden nicht kurzfristig gefällt», sagte er auf die Frage, ob die Anstrengungen der Grünen angesichts einer Umfrageschwäche nicht kontraproduktiv seien. Im übrigen gebe es doch mit dem Diesel und den verseuchten Eiern derzeit Themen, die potenzielle Grünen-Wähler ansprächen.

(sda/ccr)