Aus unterschiedlichen Himmelsrichtungen, an verschiedenen Tagen sind sie auf die Cayman Islands geflogen, Heimat des grössten Banken-Offshorezentrums. Am Montag, dem 12. März 2001, trifft sich im «Hyatt Regency» ein Teil des Kaders der Zürcher Privatbank Vontobel. Mit von der hochkarätigen Partie sind Jörg Fischer, Verwaltungsratsdelegierter der Vontobel Holding, VR-Präsident der Bank Vontobel, Präsident der SWX Swiss Exchange, Hans-Peter Bachmann, Spartenleiter Corporate Finance und stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsleitung der Bank Vontobel, und Walter Kaeser, Finanzchef der Vontobel-Gruppe und damit ebenfalls Geschäftsleitungsmitglied.
Das Stelldichein ist in Routine erstarrt: Zweimal jährlich findet man sich auf der Hauptinsel der britischen Kronkolonie ein, um den Pflichten eines VR-Mitglieds der auf Cayman domizilierten Vontobel-Töchter Genüge zu tun. Diesmal kommt das Trio nicht dazu, die Annehmlichkeiten des besten Hauses am Platze zu geniessen. Am frühen Montagnachmittag kommt per Fax der Marschbefehl aus der 8412 Kilometer weit entfernten Vontobel-Zentrale: Rückflug am Dienstagnachmittag, Plätze erster Klasse sind reserviert, Einfindung Mittwoch, 14. März, morgens 10.00 Uhr am Zürcher Sitz der Wirtschaftsprüfungsfirma Ernst & Young, Zweck: Präsentation der Bücherrevision der Corporate Finance.
Nun wird bei Vontobel, ebenso wie bei anderen Banken, jedes Jahr eine Sparte einer zusätzlichen Buchprüfung unterzogen. Das mag wohl mit ein Grund sein, weshalb sich das Kleeblatt «in bemerkenswerter Gelassenheit» auf den Rückflug machte, wie das einer von 16 Vontobel-Beschäftigten auf den Cayman-Inseln beobachtete. Nach der Landung in Zürich am frühen Mittwochmorgen fahren Bachmann und Kaeser nach Hause, um sich frisch zu machen, Fischer duscht in der Bank. «Wir haben uns gewundert, wie gut der drauf ist», erinnert sich ein Vontobel-Angestellter. Am Hauptsitz wird seit drei Tagen getuschelt, dass wegen Bachmann und Fischer «etwas im Busch ist».
Um 10.00 Uhr präsentiert ein Vertreter von Ernst & Young das Resultat der Bücherrevision. Anwesend neben Fischer, Bachmann und Kaeser sind der von der Bank bestellte Untersuchungsausschuss, bestückt mit den Vontobel-Verwaltungsräten Hans-Caspar von der Crone, Hans Geiger und Peter Wagner. Zugegen im Weiteren: Hans-Dieter Vontobel, VR-Präsident der Vontobel Holding. Der Vertreter der dritten Gründergeneration gab vor Jahresfrist das Präsidium der Bank Vontobel an Jörg Fischer ab, womit dieser auch hochoffiziell die Weihen als Nachfolger des 57-jährigen, kinderlosen Vontobel empfing. Denn HDV, wie Vontobel intern genannt wird, möchte das Unternehmen langfristig von der Familie lösen.
An diesem Morgen allerdings ist von Nähe oder Vertrauen zwischen diesen beiden nichts zu spüren. Die Vorwürfe der Revisoren an das aus der Karibik zurückbeorderte Grüppchen sind happig: In der Corporate Finance wurden Kompetenzüberschreitungen und Verletzung von Buchführungsvorschriften geortet oder bei Verträgen Formfehler festgestellt. Am heftigsten zu diskutieren geben Millionen investitionen, die am üblichen Instanzenweg vorbei getätigt wurden und erst durch die Prüfung ans Tageslicht kamen. So haben die drei auf den Cayman Islands für eine halbe Million Franken ein zehn Meter langes Sportfischerboot erworben und einige Hunderttausend Franken in die Ausrüstung gesteckt. Ins grosse Tuch ging der Kauf eines Helikopters für gut fünf Millionen. Ja die Bank wäre um ein Haar Besitzerin eines Jets für den Preis von weit über zehn Millionen Franken geworden; der Kaufvertrag war bereits unterzeichnet.
Nach der Auslegeordnung müssen Bachmann, Fischer und Kaeser einzeln zu den Vorwürfen Stellung beziehen. Fischers Argumentation, man müsse den Kunden und Besuchern, aber auch den eigenen Angestellten etwas bieten, verfängt nicht. Bei Bachmann dreht sich das Gespräch vor allem um Heli und Jet. Er führt für das Geschäft Renditeaspekte an, gemäss Kalkulation würden zwei Drittel der Flugkapazitäten weiterverkauft.
Nach einer vierstündigen Marathonsitzung setzt sich um 14.00 Uhr der Verwaltungsrat am Sitz der Vontobel Holding zusammen. Erst jetzt stossen auch die Mitglieder Tony Reis und Wolfhard Graetz dazu. Beide wissen zwar um den Audit-Bericht, haben aber nichts mitbekommen vom sich anbahnenden Eklat. Nach zweistündiger Beratung werden Fischer, Bachmann und Kaeser hereingebeten. Hans-Dieter Vontobel ringt kurz um Fassung. Dann eröffnet er dem Trio, der Untersuchungsausschuss habe den Antrag auf Entlassung der drei involvierten Personen gestellt. Der VR habe diesem Ansinnen zugestimmt. Ihre Arbeitsverträge würden auf September gekündigt, sie seien mit sofortiger Wirkung freigestellt.
Gegen 17.00 Uhr an diesem Mittwochnachmittag findet sich ein «völlig perplexes Häufchen» am Sitz der Bank ein, so ein Vontobel-Angestellter. Kaeser kann sein Büro nicht mehr aufschliessen – das Schloss wurde ausgewechselt. Fischer und Bachmann gehen nach kurzer Zeit. Am Donnerstag räumen sie ihre Büros unter Aufsicht von Sicherheitsleuten.
Am 15. März 2001, einen Tag nach den Rauswürfen, ist eine Pressekonferenz anberaumt. Doch nun werden als Hauptgrund für die Kündigungen nicht mehr die Verfehlungen in der Corporate Finance, sondern das E-Banking-Projekt You ins Feld geführt. Die Bestattung dieses einstigen Prestigeobjekts war bereits zwei Wochen zuvor gemeldet worden, ohne dass von Pflichtverletzungen die Rede war. Nun erfährt die Öffentlichkeit, dass mit You nicht nur 151, sondern 251 Millionen Franken in den Sand gesetzt worden sind – wohlgemerkt innert nicht einmal einem Jahr! An den Pranger gestellt sind der Finanzchef Kaeser sowie die beiden exekutiven Vertreter der Vontobel-Gruppe im Verwaltungsrat von You – Hans-Peter Bachmann und Jörg Fischer –, die ihre Pflichten ungenügend wahrgenommen hätten.
Erstaunlich auch der Auftritt des sonst besonnenen Hans-Dieter Vontobel. Der Vertreter der dritten Gründergeneration meinte, sichtlich betroffen: «Vertrauen verspielt man, wenn man nicht zu Fehlern steht, wenn man unaufrichtig handelt, wenn man andere hintergeht und wenn man gar lügt.» Hans-Dieter Vontobel ging mit seinen ehemaligen Topleuten derart hart ins Gericht, wie man sich das in dieser Branche nicht gewohnt ist. «Ich verstehe nicht, weshalb Vontobel derart unnachgiebig reagiert hat», zeigt sich der geschasste Walter Kaeser auch drei Wochen nach diesen Ereignissen noch bass erstaunt.
In der Tat hatte niemand mit einer solchen Dynamik gerechnet. Aus einem Anfangsverdacht war fiebrig eine heisse Spur gesucht worden. Die Sache habe sich hochgeschaukelt, erzählen Insider. Auf Fragen indes, was die Verfehlungen genau waren, bekommen Involvierte die Antwort: Das muss die eidgenössische Bankenkommission klären. Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Wie konnte etwa ein Mann wie Bachmann zu einer so wichtigen Drehscheibe werden?
Bachmann arbeitete nach der Matur als Exportmanager. Er verkauft Geräte für Farbspritz- und Beschichtungstechnik. 1986 holt er sich in Lausanne den MBA und versucht sich im Jahr darauf beim Managementberatungs-Unternehmen SCG St. Gallen Consulting Group (die Firma wurde im letzten Herbst von Mercer geschluckt). «Bachmann war nicht der klassische Berater. Zudem hat bei uns die Chemie nicht gestimmt», blickt Leonhard Fopp, damals Partner bei SCG und heute Vice President bei Mercer Management Consulting, zurück.
Kein Wunder, denn Bachmann träumt von einer Karriere in der Bankenbranche. Und ist seinem Wunsch ein grosses Stück näher gerückt, als er 1987 bei Vontobel einen Arbeitsvertrag unterzeichnet. Der 29-Jährige fängt als Stabschef Börsenhandel an – bei Vontobel ist das ein Edelassistent –, arbeitet sich durch mehrere Abteilungen und erlernt so das Banking von Grund auf.
1989 heuert Jörg Fischer bei Vontobel an. Der einstige SKA-Börsenchef steht auch bei seinem neuen Arbeitgeber dem Wertschriftenhandel vor. Fischer und Bachmann, obwohl grundverschieden im Charakter, finden schnell zusammen. Bachmann wird die rechte Hand Fischers. Als «eine unglaubliche Symbiose im Finanzgeschäft» bezeichnet ein einstiger Vontobel-Mann das ungleiche Tandem.
Karge Zeiten für Vontobel. Der Crash von 1987 wirkt sich bei dem immer noch stark im Börsenhandel verankerten Institut verheerend aus. Anfang der Neunzigerjahre führt der Golfkrieg zu einbrechenden Kursen und Umsätzen. Der Fall der Courtagen-Konvention (Absprachen der Banken bei Wertschriftenhandels-Gebühren) lässt die Einnahmen auf einen Bruchteil der einstigen Grösse zusammenfallen. Dazu gesellen sich hausgemachte Probleme. Im Brokerage sind keine Lorbeeren mehr zu holen, im Privatebanking lässt der grosse Durchbruch auf sich warten, Langeweile im Investmentbanking, und vom Kreditgeschäft will HDV nichts wissen.
So diversifiziert die Privatbank ins Beratungsgeschäft. Bei Vontobel EC Consulting stehen zeitweise 200 Namen auf der Lohnliste. Ein Kapitalvernichter par excellence – die Gewinnschwelle wird nie erreicht, die Firma 1993 abgestossen. Oskar Holenweger kommt als GL-Vorsitzender die undankbare Aufgabe zu, aufzuräumen. Das Institut gewinnt ab 1994 wieder Tritt. Auch in der Vermögensverwaltung fliessen neue Gelder in die Bank, allerdings nicht im erhofften Ausmass.
1995 übernimmt Fischer den Vorsitz der Geschäftsleitung. Sogleich wird Bachmann zum Chef der Corporate Finance gekührt und erhält Einsitz in die Geschäftsleitung. Nur hat sich in der Corporate Finance zwischen 1989 und 1995 kaum noch etwas geregt, ja zeitweise wurde die Sparte auf zwei Köpfe heruntergefahren, eine Folge der auf Sparflamme laufenden Märkte. Kaum hat Bachmann die Leitung übernommen, setzen die Weltbörsen zur Dauerhausse an.
Hans-Peter Bachmann interessiert sich für Computertechnologie und Internet. Der junge Investmentbanker erkennt frühzeitig den Technologietrend an der Börse. In Amerika beobachtet Bachmann, wie spezialisierte Finanzboutiquen sich gegen gestandene Geldhäuser zu behaupten wissen. In der Schweiz zieht Bachmann diesen Ansatz konsequent durch und richtete die Aktivitäten auf Technologiewerte sowie Life-Sciences aus. Gleichzeitig wird das Research mit guten Leuten aufgestockt und auf diese Spezialgebiete justiert. Was heute nach einer Me-too-Strategie tönt, galt damals als revolutionär.
Innert kürzester Zeit schafft sich Vontobel einen erstklassigen Namen. Als ab 1996 die zweite Welle an Publikumsöffnungen in der Schweiz ins Rollen kommt, hat sich die geschäftstüchtige Privatbank zur ernst zu nehmenden Konkurrentin der Grossbanken entwickelt.
Ein einträgliches Geschäft. Die Banken kassieren bei einem IPO eine Kommission von 4,5 bis 6,5 Prozent des Emissionsvolumens. Bei grossen Publikumsöffnungen werden damit schnell bis zwei Dutzend Millionen in die Kassen gespült. Vontobel hat sich mit Erfolg am oberen Ende der Preisspanne positioniert. Daneben winken weitere Gewinne, beispielsweise mit jenen Titeln, welche die Emissionsbank zugeteilt erhält. Diese muss sie bei einem Überschiessen der Aktienkurse abstossen, um den Markt zu beruhigen, wie das Vontobel bei Think Tools praktiziert hat; wenn man Papiere zu 270 Franken pro Stück in den Büchern hält und der Kurs am ersten Tag auf 1050 Franken explodiert, lassen sich einige Millionen zusätzlich verdienen.
Bachmanns Leute sind fleissig am Akquirieren. Seit 1997 haben sie 44 Firmen an die Börse gebracht, davon 19 IPOs als Lead- und 25 als Co-Manager. Kaum ein Going-public in der Schweiz, aber auch am Neuen Markt in Frankfurt, bei dem nicht der Name Vontobel auftaucht. Die Dominanz kam nicht von ungefähr. «Bei denen stimmte alles, Konzept, Erfahrung, Know-how, Finanzierung, Präsentation», erinnert sich der Finanzchef einer Firma, die vor zwei Jahren an die Börse ging.
Ein gewichtiger Grund für den Erfolg ist in der Person von Hans-Peter Bachmann zu suchen. Guter Motivator, Schnelldenker, kühler Analyst, so wird er von Kunden beschrieben. Vor allem aber ist er ein Spitzenverkäufer: Wenn es darum geht, Kunden hereinzuholen, zieht Bachmann alle Register – auch die nicht so wohltönenden. Beispiel Think Tools: Als sich das Softwarehaus zu einem IPO entschliesst, kommt es zu einer Konkurrenzpräsentation, Vontobel unterliegt der CS Group. Die CS arbeitete ein Konzept aus für den Gang an den Neuen Markt in Frankfurt.
Doch Bachmann gibt nicht auf. Think-Tools-Gründer Albrecht von Müller ist mit einem eigenen Workshop am Weltwirtschaftsforum engagiert. Also reist auch Bachmann Ende Januar 2000 nach Davos und versucht, von Müller ein neues Konzept zu verkaufen. Dieser zeigt sich beeindruckt von der Dynamik des Vontobel-Manns. Bachmanns Methode: Er verkauft dem Think-Tools-Gründer ein konkretes Konzept und verspricht Tempo. Geholfen hat sicher auch, dass WEF-Gründer Klaus Schwab im VR von Vontobel ist. Wenige Tage später meldete Think Tools, dass sie in sieben Wochen an den New Market in Zürich gehen werde. Lead-Manager: Vontobel. Die CS-Leute waren stocksauer.
Sieben Wochen sind kurz für die Vorbereitung eines Going-public. Zumal diese Sparte bei Vontobel nur gerade eine Hand voll Leute beschäftigt. Es reichen vier IPO-Manager sowie nochmals so viele administrative Helfer. Steht ein IPO an, werden für die Präsentation, im Branchenjargon Beauty-Contest genannt, Spezialisten zusammengezogen. Erfolgt der Zuschlag, wird ein Projektteam von 20 bis 30 Leuten auf die Beine gestellt, davon stammt ein nur kleiner Teil aus der Bank. So kam es, dass die vier IPO-Spezialisten in guten Jahren pro Kopf einen Gewinn von gegen zwei Dutzend Millionen Franken erwirtschaftet haben.
Das Investmentbanking, also primär Corporate Finance und Brokerage, steuerte laut Schätzungen von Bankanalysten zeitweise zwei Drittel an die Vontobel-Erträge bei. Denn die Erfolge im IPO-Geschäft, kombiniert mit der Belebung der Kapitalmärkte, haben auf die ganze Bank ausgestrahlt. Ja sogar im etwas steif gewordenen Privatebanking kehrte neues Leben ein, denn es war ein offenes Geheimnis, dass man als Vontobel-Kunde Titel aus Emissionen zugeteilt bekam. In der Vontobel-Gruppe haben sich seit Mitte der Neunzigerjahre die verwalteten Vermögen mehr als verdreifacht, das Eigenkapital stieg um 170 Prozent und der Gewinn um das Siebenfache.
Was der einst angeschlagenen Bank neuen Schub verlieh, bedeutete aber auch einen Kulturschock. Das Trüppchen der Investmentbanker trat arrogant auf. Im Privatebanking sind Zurückhaltung, Takt, Kundenbetreuung Trumpf. Im Investmentbanking zählen Schnelligkeit, Verkaufstalent. «Wir haben ihn Cowboy genannt: zuerst schiessen, dann denken», meint ein ehemaliger Vontobel-Mann. Bachmann brach auch locker eiserne Regeln: Er stürmte aus Sitzungen, wenn sein Handy klingelte. Oder erschien gar nicht erst zu denselben, weil er schnell mal nach New York fliegen musste. Auch Hans Vontobel, dem Vater von HDV, der mit über 80 Jahren noch fast jeden Tag mit dem Tram ins Büro an die Bahnhofstrasse 3 geht, war das Treiben der Investmentbanker nicht geheuer.
In der Bank waren latent Spannungen vorhanden zwischen den beiden Lagern, doch es kam nie zum offenen Streit. Nicht zuletzt weil Jörg Fischer als GL-Vorsitzender Bachmann protegierte. Doch als Fischer das Präsidium der Bank übernahm, war Bachmann isoliert, denn er war weniger nahe an seinem CEO. Dazu gesellte sich der Kurssturz an den Wachstumsmärkten, der jungen Unternehmen die Lust auf ein IPO nahm. Nun kamen in der Öffentlichkeit auch Diskussionen auf, ob die Emissionsbanken für die Abstürze der Börsenneulinge mitverantwortlich seien. Vontobel geriet ebenfalls unter Beschuss: Bei den ein IPO begleitenden Bankstudien gaben sich die Analysten jeweils grosszügig in ihren Umsatz- und Ertragsschätzungen. Das Resultat: Fiktion und Wirklichkeit klafften oft weit auseinander. Das könnte noch ein böses Nachspiel haben. «Es ist mir aufgefallen, dass einige IPOs von Vontobel nicht glücklich verlaufen sind», meint Johann-Christoph Rudin. Doch der Geschäftsführer der Schutzgemeinschaft der Investoren Schweiz (SIS), die gerade gegen die konkursite Miracle zu Felde zieht, möchte auch auf diese Vorkommnisse einen näheren Blick werfen.
Vor Jahresfrist hat Vontobel grünes Licht erteilt für das Projekt You, eine E-Bank auf der grünen Wiese. Die Idee hat Bachmann zusammen mit ID Media, Spezialist aus Berlin, entwickelt. Er sah nicht nur das nächste IPO am Horizont, sondern auch eine Möglichkeit, seinen Aktionsradius auszubauen. Mit You versuchte Bachmann quasi seine eigene Bank zu schaffen und seine Machtposition in neue Sphären zu treiben. Als das You-Projekt zeitlich aus dem Ruder lief und Generalunternehmer PricewaterhouseCoopers signalisierte, dass sie die garantierten Leistungen zum abgemachten Preis nicht erfüllen könne, drohte erstes Unheil. Und als die Refinanzierung durch den Fall der Technologiebörse Nasdaq immer unwahrscheinlicher wurde, war Bachmann endgültig entzaubert. Plötzlich sah man nicht mehr die Millionen, die er brachte, sondern nur noch, was er kostete und was für ein Risiko seine Hauruck-Methoden bedeuteten. Aus einem «Asset» wurde eine «Liability».
Allerdings hielten Fischer und Bachmann die Probleme nicht unter Verschluss. Brisantes berichtet ein Exponent aus dem inneren Kreis von You: «Der You-VR hat jederzeit gewusst, wie es um das Projekt steht.»
Letztlich ist Hans-Peter Bachmann also nicht über You, sondern über seine eigenen Beine gestrauchelt. «Der hat völlig den Boden unter den Füssen verloren», lässt sich ein Vontobel-Kadermann vernehmen. Von anderen wird immer wieder die Geschichte des Ikarus angeführt. Geblendet von seinen eigenen Erfolgen, hat Bachmann wohl vergessen, dass er nicht für ein amerikanisches Haus, sondern für eine Privatbank mit zwinglianischem Weltbild arbeitet. Wer in einer Firma, die sich nicht einmal eigene Autos leistet, Boot, Heli und Jet kauft, müsste sich unter normalen Umständen über die Konsequenzen im Klaren sein.
Fischer, Bachmann und Kaeser fallen weich; jeder von ihnen hält Vontobel-Aktien im Wert von knapp 30 Millionen Franken. Gefallen sind auch die Aktienkurse von Vontobel, wenn auch nicht weich. Die Ereignisse, aber auch die Heftigkeit der Reaktion von Hans-Dieter Vontobel hat dem Institut schwere Imageschäden zugefügt. In den letzten Wochen lösten sich rund zwei Milliarden Franken der Börsenkapitalisierung in Luft auf. Auch die von Bachmann 1997 aufgezogene Beteiligungsgesellschaft Private Equity erlitt einen schweren Vertrauensverlust.
Nun kehrt Vontobel die Scherben zusammen. Als erste Massnahme wurden die Corporate Finance mit dem Brokerage zusammengelegt. Für die Branche ist das ein klares Signal: Vontobel zieht sich aus dem IPO-Geschäft etwas zurück. «Möglicherweise gibt es leichte Modifikationen, doch wir halten an der Corporate Finance fest», erläutert Franz Brunner, Leiter Corporate Communication der Vontobel Holding. Branchenkenner allerdings meinen, dass Vontobel ihre dominante Marktstellung bei der dritten Going-public-Welle nicht mehr werde halten können.
Ist die IPO-Euphorie bei Vontobel wirklich verpufft? Im Internet wird unverändert auf Schönwetter gemacht. «Ist mein Unternehmen börsenfähig?», lockt die Corporate Finance auf der Homepage. In die elektronische Liste flugs ein paar Firmendaten eingegeben, und das System meldet: «Auf Grund der Unternehmensgrösse könnte ein Börsengang möglich sein.» Da staunt der Laie. Denn die Kennzahlen stammen von Day Interactive – und deren Aktien sind seit dem Börsengang um über 90 Prozent abgestürzt.
Nachschrift: Vontobel hat Day an die Börse gebracht.
Das Stelldichein ist in Routine erstarrt: Zweimal jährlich findet man sich auf der Hauptinsel der britischen Kronkolonie ein, um den Pflichten eines VR-Mitglieds der auf Cayman domizilierten Vontobel-Töchter Genüge zu tun. Diesmal kommt das Trio nicht dazu, die Annehmlichkeiten des besten Hauses am Platze zu geniessen. Am frühen Montagnachmittag kommt per Fax der Marschbefehl aus der 8412 Kilometer weit entfernten Vontobel-Zentrale: Rückflug am Dienstagnachmittag, Plätze erster Klasse sind reserviert, Einfindung Mittwoch, 14. März, morgens 10.00 Uhr am Zürcher Sitz der Wirtschaftsprüfungsfirma Ernst & Young, Zweck: Präsentation der Bücherrevision der Corporate Finance.
Nun wird bei Vontobel, ebenso wie bei anderen Banken, jedes Jahr eine Sparte einer zusätzlichen Buchprüfung unterzogen. Das mag wohl mit ein Grund sein, weshalb sich das Kleeblatt «in bemerkenswerter Gelassenheit» auf den Rückflug machte, wie das einer von 16 Vontobel-Beschäftigten auf den Cayman-Inseln beobachtete. Nach der Landung in Zürich am frühen Mittwochmorgen fahren Bachmann und Kaeser nach Hause, um sich frisch zu machen, Fischer duscht in der Bank. «Wir haben uns gewundert, wie gut der drauf ist», erinnert sich ein Vontobel-Angestellter. Am Hauptsitz wird seit drei Tagen getuschelt, dass wegen Bachmann und Fischer «etwas im Busch ist».
Um 10.00 Uhr präsentiert ein Vertreter von Ernst & Young das Resultat der Bücherrevision. Anwesend neben Fischer, Bachmann und Kaeser sind der von der Bank bestellte Untersuchungsausschuss, bestückt mit den Vontobel-Verwaltungsräten Hans-Caspar von der Crone, Hans Geiger und Peter Wagner. Zugegen im Weiteren: Hans-Dieter Vontobel, VR-Präsident der Vontobel Holding. Der Vertreter der dritten Gründergeneration gab vor Jahresfrist das Präsidium der Bank Vontobel an Jörg Fischer ab, womit dieser auch hochoffiziell die Weihen als Nachfolger des 57-jährigen, kinderlosen Vontobel empfing. Denn HDV, wie Vontobel intern genannt wird, möchte das Unternehmen langfristig von der Familie lösen.
An diesem Morgen allerdings ist von Nähe oder Vertrauen zwischen diesen beiden nichts zu spüren. Die Vorwürfe der Revisoren an das aus der Karibik zurückbeorderte Grüppchen sind happig: In der Corporate Finance wurden Kompetenzüberschreitungen und Verletzung von Buchführungsvorschriften geortet oder bei Verträgen Formfehler festgestellt. Am heftigsten zu diskutieren geben Millionen investitionen, die am üblichen Instanzenweg vorbei getätigt wurden und erst durch die Prüfung ans Tageslicht kamen. So haben die drei auf den Cayman Islands für eine halbe Million Franken ein zehn Meter langes Sportfischerboot erworben und einige Hunderttausend Franken in die Ausrüstung gesteckt. Ins grosse Tuch ging der Kauf eines Helikopters für gut fünf Millionen. Ja die Bank wäre um ein Haar Besitzerin eines Jets für den Preis von weit über zehn Millionen Franken geworden; der Kaufvertrag war bereits unterzeichnet.
Nach der Auslegeordnung müssen Bachmann, Fischer und Kaeser einzeln zu den Vorwürfen Stellung beziehen. Fischers Argumentation, man müsse den Kunden und Besuchern, aber auch den eigenen Angestellten etwas bieten, verfängt nicht. Bei Bachmann dreht sich das Gespräch vor allem um Heli und Jet. Er führt für das Geschäft Renditeaspekte an, gemäss Kalkulation würden zwei Drittel der Flugkapazitäten weiterverkauft.
Nach einer vierstündigen Marathonsitzung setzt sich um 14.00 Uhr der Verwaltungsrat am Sitz der Vontobel Holding zusammen. Erst jetzt stossen auch die Mitglieder Tony Reis und Wolfhard Graetz dazu. Beide wissen zwar um den Audit-Bericht, haben aber nichts mitbekommen vom sich anbahnenden Eklat. Nach zweistündiger Beratung werden Fischer, Bachmann und Kaeser hereingebeten. Hans-Dieter Vontobel ringt kurz um Fassung. Dann eröffnet er dem Trio, der Untersuchungsausschuss habe den Antrag auf Entlassung der drei involvierten Personen gestellt. Der VR habe diesem Ansinnen zugestimmt. Ihre Arbeitsverträge würden auf September gekündigt, sie seien mit sofortiger Wirkung freigestellt.
Gegen 17.00 Uhr an diesem Mittwochnachmittag findet sich ein «völlig perplexes Häufchen» am Sitz der Bank ein, so ein Vontobel-Angestellter. Kaeser kann sein Büro nicht mehr aufschliessen – das Schloss wurde ausgewechselt. Fischer und Bachmann gehen nach kurzer Zeit. Am Donnerstag räumen sie ihre Büros unter Aufsicht von Sicherheitsleuten.
Am 15. März 2001, einen Tag nach den Rauswürfen, ist eine Pressekonferenz anberaumt. Doch nun werden als Hauptgrund für die Kündigungen nicht mehr die Verfehlungen in der Corporate Finance, sondern das E-Banking-Projekt You ins Feld geführt. Die Bestattung dieses einstigen Prestigeobjekts war bereits zwei Wochen zuvor gemeldet worden, ohne dass von Pflichtverletzungen die Rede war. Nun erfährt die Öffentlichkeit, dass mit You nicht nur 151, sondern 251 Millionen Franken in den Sand gesetzt worden sind – wohlgemerkt innert nicht einmal einem Jahr! An den Pranger gestellt sind der Finanzchef Kaeser sowie die beiden exekutiven Vertreter der Vontobel-Gruppe im Verwaltungsrat von You – Hans-Peter Bachmann und Jörg Fischer –, die ihre Pflichten ungenügend wahrgenommen hätten.
Erstaunlich auch der Auftritt des sonst besonnenen Hans-Dieter Vontobel. Der Vertreter der dritten Gründergeneration meinte, sichtlich betroffen: «Vertrauen verspielt man, wenn man nicht zu Fehlern steht, wenn man unaufrichtig handelt, wenn man andere hintergeht und wenn man gar lügt.» Hans-Dieter Vontobel ging mit seinen ehemaligen Topleuten derart hart ins Gericht, wie man sich das in dieser Branche nicht gewohnt ist. «Ich verstehe nicht, weshalb Vontobel derart unnachgiebig reagiert hat», zeigt sich der geschasste Walter Kaeser auch drei Wochen nach diesen Ereignissen noch bass erstaunt.
In der Tat hatte niemand mit einer solchen Dynamik gerechnet. Aus einem Anfangsverdacht war fiebrig eine heisse Spur gesucht worden. Die Sache habe sich hochgeschaukelt, erzählen Insider. Auf Fragen indes, was die Verfehlungen genau waren, bekommen Involvierte die Antwort: Das muss die eidgenössische Bankenkommission klären. Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Wie konnte etwa ein Mann wie Bachmann zu einer so wichtigen Drehscheibe werden?
Bachmann arbeitete nach der Matur als Exportmanager. Er verkauft Geräte für Farbspritz- und Beschichtungstechnik. 1986 holt er sich in Lausanne den MBA und versucht sich im Jahr darauf beim Managementberatungs-Unternehmen SCG St. Gallen Consulting Group (die Firma wurde im letzten Herbst von Mercer geschluckt). «Bachmann war nicht der klassische Berater. Zudem hat bei uns die Chemie nicht gestimmt», blickt Leonhard Fopp, damals Partner bei SCG und heute Vice President bei Mercer Management Consulting, zurück.
Kein Wunder, denn Bachmann träumt von einer Karriere in der Bankenbranche. Und ist seinem Wunsch ein grosses Stück näher gerückt, als er 1987 bei Vontobel einen Arbeitsvertrag unterzeichnet. Der 29-Jährige fängt als Stabschef Börsenhandel an – bei Vontobel ist das ein Edelassistent –, arbeitet sich durch mehrere Abteilungen und erlernt so das Banking von Grund auf.
1989 heuert Jörg Fischer bei Vontobel an. Der einstige SKA-Börsenchef steht auch bei seinem neuen Arbeitgeber dem Wertschriftenhandel vor. Fischer und Bachmann, obwohl grundverschieden im Charakter, finden schnell zusammen. Bachmann wird die rechte Hand Fischers. Als «eine unglaubliche Symbiose im Finanzgeschäft» bezeichnet ein einstiger Vontobel-Mann das ungleiche Tandem.
Karge Zeiten für Vontobel. Der Crash von 1987 wirkt sich bei dem immer noch stark im Börsenhandel verankerten Institut verheerend aus. Anfang der Neunzigerjahre führt der Golfkrieg zu einbrechenden Kursen und Umsätzen. Der Fall der Courtagen-Konvention (Absprachen der Banken bei Wertschriftenhandels-Gebühren) lässt die Einnahmen auf einen Bruchteil der einstigen Grösse zusammenfallen. Dazu gesellen sich hausgemachte Probleme. Im Brokerage sind keine Lorbeeren mehr zu holen, im Privatebanking lässt der grosse Durchbruch auf sich warten, Langeweile im Investmentbanking, und vom Kreditgeschäft will HDV nichts wissen.
So diversifiziert die Privatbank ins Beratungsgeschäft. Bei Vontobel EC Consulting stehen zeitweise 200 Namen auf der Lohnliste. Ein Kapitalvernichter par excellence – die Gewinnschwelle wird nie erreicht, die Firma 1993 abgestossen. Oskar Holenweger kommt als GL-Vorsitzender die undankbare Aufgabe zu, aufzuräumen. Das Institut gewinnt ab 1994 wieder Tritt. Auch in der Vermögensverwaltung fliessen neue Gelder in die Bank, allerdings nicht im erhofften Ausmass.
1995 übernimmt Fischer den Vorsitz der Geschäftsleitung. Sogleich wird Bachmann zum Chef der Corporate Finance gekührt und erhält Einsitz in die Geschäftsleitung. Nur hat sich in der Corporate Finance zwischen 1989 und 1995 kaum noch etwas geregt, ja zeitweise wurde die Sparte auf zwei Köpfe heruntergefahren, eine Folge der auf Sparflamme laufenden Märkte. Kaum hat Bachmann die Leitung übernommen, setzen die Weltbörsen zur Dauerhausse an.
Hans-Peter Bachmann interessiert sich für Computertechnologie und Internet. Der junge Investmentbanker erkennt frühzeitig den Technologietrend an der Börse. In Amerika beobachtet Bachmann, wie spezialisierte Finanzboutiquen sich gegen gestandene Geldhäuser zu behaupten wissen. In der Schweiz zieht Bachmann diesen Ansatz konsequent durch und richtete die Aktivitäten auf Technologiewerte sowie Life-Sciences aus. Gleichzeitig wird das Research mit guten Leuten aufgestockt und auf diese Spezialgebiete justiert. Was heute nach einer Me-too-Strategie tönt, galt damals als revolutionär.
Innert kürzester Zeit schafft sich Vontobel einen erstklassigen Namen. Als ab 1996 die zweite Welle an Publikumsöffnungen in der Schweiz ins Rollen kommt, hat sich die geschäftstüchtige Privatbank zur ernst zu nehmenden Konkurrentin der Grossbanken entwickelt.
Ein einträgliches Geschäft. Die Banken kassieren bei einem IPO eine Kommission von 4,5 bis 6,5 Prozent des Emissionsvolumens. Bei grossen Publikumsöffnungen werden damit schnell bis zwei Dutzend Millionen in die Kassen gespült. Vontobel hat sich mit Erfolg am oberen Ende der Preisspanne positioniert. Daneben winken weitere Gewinne, beispielsweise mit jenen Titeln, welche die Emissionsbank zugeteilt erhält. Diese muss sie bei einem Überschiessen der Aktienkurse abstossen, um den Markt zu beruhigen, wie das Vontobel bei Think Tools praktiziert hat; wenn man Papiere zu 270 Franken pro Stück in den Büchern hält und der Kurs am ersten Tag auf 1050 Franken explodiert, lassen sich einige Millionen zusätzlich verdienen.
Bachmanns Leute sind fleissig am Akquirieren. Seit 1997 haben sie 44 Firmen an die Börse gebracht, davon 19 IPOs als Lead- und 25 als Co-Manager. Kaum ein Going-public in der Schweiz, aber auch am Neuen Markt in Frankfurt, bei dem nicht der Name Vontobel auftaucht. Die Dominanz kam nicht von ungefähr. «Bei denen stimmte alles, Konzept, Erfahrung, Know-how, Finanzierung, Präsentation», erinnert sich der Finanzchef einer Firma, die vor zwei Jahren an die Börse ging.
Ein gewichtiger Grund für den Erfolg ist in der Person von Hans-Peter Bachmann zu suchen. Guter Motivator, Schnelldenker, kühler Analyst, so wird er von Kunden beschrieben. Vor allem aber ist er ein Spitzenverkäufer: Wenn es darum geht, Kunden hereinzuholen, zieht Bachmann alle Register – auch die nicht so wohltönenden. Beispiel Think Tools: Als sich das Softwarehaus zu einem IPO entschliesst, kommt es zu einer Konkurrenzpräsentation, Vontobel unterliegt der CS Group. Die CS arbeitete ein Konzept aus für den Gang an den Neuen Markt in Frankfurt.
Doch Bachmann gibt nicht auf. Think-Tools-Gründer Albrecht von Müller ist mit einem eigenen Workshop am Weltwirtschaftsforum engagiert. Also reist auch Bachmann Ende Januar 2000 nach Davos und versucht, von Müller ein neues Konzept zu verkaufen. Dieser zeigt sich beeindruckt von der Dynamik des Vontobel-Manns. Bachmanns Methode: Er verkauft dem Think-Tools-Gründer ein konkretes Konzept und verspricht Tempo. Geholfen hat sicher auch, dass WEF-Gründer Klaus Schwab im VR von Vontobel ist. Wenige Tage später meldete Think Tools, dass sie in sieben Wochen an den New Market in Zürich gehen werde. Lead-Manager: Vontobel. Die CS-Leute waren stocksauer.
Sieben Wochen sind kurz für die Vorbereitung eines Going-public. Zumal diese Sparte bei Vontobel nur gerade eine Hand voll Leute beschäftigt. Es reichen vier IPO-Manager sowie nochmals so viele administrative Helfer. Steht ein IPO an, werden für die Präsentation, im Branchenjargon Beauty-Contest genannt, Spezialisten zusammengezogen. Erfolgt der Zuschlag, wird ein Projektteam von 20 bis 30 Leuten auf die Beine gestellt, davon stammt ein nur kleiner Teil aus der Bank. So kam es, dass die vier IPO-Spezialisten in guten Jahren pro Kopf einen Gewinn von gegen zwei Dutzend Millionen Franken erwirtschaftet haben.
Das Investmentbanking, also primär Corporate Finance und Brokerage, steuerte laut Schätzungen von Bankanalysten zeitweise zwei Drittel an die Vontobel-Erträge bei. Denn die Erfolge im IPO-Geschäft, kombiniert mit der Belebung der Kapitalmärkte, haben auf die ganze Bank ausgestrahlt. Ja sogar im etwas steif gewordenen Privatebanking kehrte neues Leben ein, denn es war ein offenes Geheimnis, dass man als Vontobel-Kunde Titel aus Emissionen zugeteilt bekam. In der Vontobel-Gruppe haben sich seit Mitte der Neunzigerjahre die verwalteten Vermögen mehr als verdreifacht, das Eigenkapital stieg um 170 Prozent und der Gewinn um das Siebenfache.
Was der einst angeschlagenen Bank neuen Schub verlieh, bedeutete aber auch einen Kulturschock. Das Trüppchen der Investmentbanker trat arrogant auf. Im Privatebanking sind Zurückhaltung, Takt, Kundenbetreuung Trumpf. Im Investmentbanking zählen Schnelligkeit, Verkaufstalent. «Wir haben ihn Cowboy genannt: zuerst schiessen, dann denken», meint ein ehemaliger Vontobel-Mann. Bachmann brach auch locker eiserne Regeln: Er stürmte aus Sitzungen, wenn sein Handy klingelte. Oder erschien gar nicht erst zu denselben, weil er schnell mal nach New York fliegen musste. Auch Hans Vontobel, dem Vater von HDV, der mit über 80 Jahren noch fast jeden Tag mit dem Tram ins Büro an die Bahnhofstrasse 3 geht, war das Treiben der Investmentbanker nicht geheuer.
In der Bank waren latent Spannungen vorhanden zwischen den beiden Lagern, doch es kam nie zum offenen Streit. Nicht zuletzt weil Jörg Fischer als GL-Vorsitzender Bachmann protegierte. Doch als Fischer das Präsidium der Bank übernahm, war Bachmann isoliert, denn er war weniger nahe an seinem CEO. Dazu gesellte sich der Kurssturz an den Wachstumsmärkten, der jungen Unternehmen die Lust auf ein IPO nahm. Nun kamen in der Öffentlichkeit auch Diskussionen auf, ob die Emissionsbanken für die Abstürze der Börsenneulinge mitverantwortlich seien. Vontobel geriet ebenfalls unter Beschuss: Bei den ein IPO begleitenden Bankstudien gaben sich die Analysten jeweils grosszügig in ihren Umsatz- und Ertragsschätzungen. Das Resultat: Fiktion und Wirklichkeit klafften oft weit auseinander. Das könnte noch ein böses Nachspiel haben. «Es ist mir aufgefallen, dass einige IPOs von Vontobel nicht glücklich verlaufen sind», meint Johann-Christoph Rudin. Doch der Geschäftsführer der Schutzgemeinschaft der Investoren Schweiz (SIS), die gerade gegen die konkursite Miracle zu Felde zieht, möchte auch auf diese Vorkommnisse einen näheren Blick werfen.
Vor Jahresfrist hat Vontobel grünes Licht erteilt für das Projekt You, eine E-Bank auf der grünen Wiese. Die Idee hat Bachmann zusammen mit ID Media, Spezialist aus Berlin, entwickelt. Er sah nicht nur das nächste IPO am Horizont, sondern auch eine Möglichkeit, seinen Aktionsradius auszubauen. Mit You versuchte Bachmann quasi seine eigene Bank zu schaffen und seine Machtposition in neue Sphären zu treiben. Als das You-Projekt zeitlich aus dem Ruder lief und Generalunternehmer PricewaterhouseCoopers signalisierte, dass sie die garantierten Leistungen zum abgemachten Preis nicht erfüllen könne, drohte erstes Unheil. Und als die Refinanzierung durch den Fall der Technologiebörse Nasdaq immer unwahrscheinlicher wurde, war Bachmann endgültig entzaubert. Plötzlich sah man nicht mehr die Millionen, die er brachte, sondern nur noch, was er kostete und was für ein Risiko seine Hauruck-Methoden bedeuteten. Aus einem «Asset» wurde eine «Liability».
Allerdings hielten Fischer und Bachmann die Probleme nicht unter Verschluss. Brisantes berichtet ein Exponent aus dem inneren Kreis von You: «Der You-VR hat jederzeit gewusst, wie es um das Projekt steht.»
Letztlich ist Hans-Peter Bachmann also nicht über You, sondern über seine eigenen Beine gestrauchelt. «Der hat völlig den Boden unter den Füssen verloren», lässt sich ein Vontobel-Kadermann vernehmen. Von anderen wird immer wieder die Geschichte des Ikarus angeführt. Geblendet von seinen eigenen Erfolgen, hat Bachmann wohl vergessen, dass er nicht für ein amerikanisches Haus, sondern für eine Privatbank mit zwinglianischem Weltbild arbeitet. Wer in einer Firma, die sich nicht einmal eigene Autos leistet, Boot, Heli und Jet kauft, müsste sich unter normalen Umständen über die Konsequenzen im Klaren sein.
Fischer, Bachmann und Kaeser fallen weich; jeder von ihnen hält Vontobel-Aktien im Wert von knapp 30 Millionen Franken. Gefallen sind auch die Aktienkurse von Vontobel, wenn auch nicht weich. Die Ereignisse, aber auch die Heftigkeit der Reaktion von Hans-Dieter Vontobel hat dem Institut schwere Imageschäden zugefügt. In den letzten Wochen lösten sich rund zwei Milliarden Franken der Börsenkapitalisierung in Luft auf. Auch die von Bachmann 1997 aufgezogene Beteiligungsgesellschaft Private Equity erlitt einen schweren Vertrauensverlust.
Nun kehrt Vontobel die Scherben zusammen. Als erste Massnahme wurden die Corporate Finance mit dem Brokerage zusammengelegt. Für die Branche ist das ein klares Signal: Vontobel zieht sich aus dem IPO-Geschäft etwas zurück. «Möglicherweise gibt es leichte Modifikationen, doch wir halten an der Corporate Finance fest», erläutert Franz Brunner, Leiter Corporate Communication der Vontobel Holding. Branchenkenner allerdings meinen, dass Vontobel ihre dominante Marktstellung bei der dritten Going-public-Welle nicht mehr werde halten können.
Ist die IPO-Euphorie bei Vontobel wirklich verpufft? Im Internet wird unverändert auf Schönwetter gemacht. «Ist mein Unternehmen börsenfähig?», lockt die Corporate Finance auf der Homepage. In die elektronische Liste flugs ein paar Firmendaten eingegeben, und das System meldet: «Auf Grund der Unternehmensgrösse könnte ein Börsengang möglich sein.» Da staunt der Laie. Denn die Kennzahlen stammen von Day Interactive – und deren Aktien sind seit dem Börsengang um über 90 Prozent abgestürzt.
Nachschrift: Vontobel hat Day an die Börse gebracht.
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