Die Fachwelt staunt und mit ihr René Braginsky. «Mit einem solchen Echo habe ich nie gerechnet.» Der Financier hat im Laufe von über 20 Jahren ohne viel Aufsehen eine Sammlung von hebräischen Manuskripten und gedruckten Büchern zusammengetragen. Diese wurde letztes Jahr erstmals öffentlich in der Bibliotheca Rosenthaliana in Amsterdam gezeigt - und «Eine Reise durch jüdische Welten», so der Titel der Ausstellung, löste ein Feuerwerk der Verblüffung und Begeisterung aus. Die Sammlung Braginsky, die dieses Jahr in New York und in Jerusalem gezeigt wird, entpuppte sich als wahre Schatzkiste, als eine Bibliothek mit historisch, künstlerisch und kulturell exquisiten Perlen, die so nicht bekannt waren. Die «New York Times», das «Wall Street Journal» und die «Neue Zürcher Zeitung» schrieben Elogen.

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Keine schlaflosen Nächte

Braginsky sitzt in seinem Zürcher Büro und spricht über seine Bücher- und Handschriftensammlung. An den Wänden hängen Bilder von Jawlensky, Chagall, Picasso, Liebermann, Yves Klein und Keith Haring. Die Ausführungen wirken zu Beginn des Gesprächs zurückhaltend - weder schwelgerisch, noch kunsthistorisch hochgeschliffen.

Braginsky, dessen Vermögen gemäss «Bilanz» auf 450 Mio Fr. geschätzt wird, will nicht im Rampenlicht stehen. Bescheidenheit und Zurückhaltung prägen seine Persönlichkeit. «Ich bin kein leidenschaftlicher Sammler», sagt er von sich. «Wenn ich ein Manuskript in einer Auktion nicht ersteigern kann oder mir der Preis für ein Buch zu hoch ist, dann kriege ich keine schlaflosen Nächte.»

Der Investor, der vor knapp zehn Jahren in die Schlagzeilen geriet, weil er Sulzer übernehmen wollte, vertraut auch in der Kunst auf seinen klaren Verstand, die messerscharfe Analyse und das Bauchgefühl. «Ich bin ein visueller und ästhetischer Mensch. Mir muss ein Werk gefallen und zusagen. Dann schlage ich zu.» Braginsky schnippt mit den Fingern, als ob er einen Kauf besiegle. Plötzlich blitzt in Braginsky der Banker auf. Schnelles Zugreifen ohne langes Zögern - Intuition eben. Manchmal versuchten Kunsthändler oder Antiquare, mit einer Vielzahl von Adjektiven die Bedeutung und den inneren Wert eines Manuskripts zu unterstreichen. Davon lasse er sich jedoch nicht beeindrucken.

Geschichten, die berühren

Und dann folgt der Satz, in dem die Leidenschaft, die der Sammler zu kontrollieren versucht, unverblümt zum Ausbruch kommt: «Wenn ich ein drei- oder vierhundertjähriges Manuskript oder einen Ehevertrag in den Händen halte, dann ist die Faszination schon viel grösser als bei einer Aktie, die auch ein Stück Papier ist.» Der Damm ist gebrochen. Die Bücher und die Schriftrollen, in denen Lebensgeschichten erzählt und illustriert werden, berühren Braginsky. Nebst den Eheverträgen und Gebeten kommen auch die Schrecken von Kriegen, Pogromen und der Inquisition ungeschminkt zum Ausdruck. «Das sind Aufzeichnungen über Menschen, die Verfolgung und Qualen häufig nicht überlebt haben.» Diese Episoden und Kapitel der jüdischen Geschichte, die sich durch die Jahrhunderte ziehen, gehören auch zu Braginskys Tradition und Familiengeschichte.

«Mir ist durch das Sammeln klar geworden, dass es sich um eine sinnvolle Ausgabe von glücklich verdientem Geld handelt.» Sinnvoll heisst für Braginsky, die fragilen Unikate für die Nachwelt zu erhalten, zu restaurieren und zu dokumentieren.

Auslöser des systematischen Sammelns war Braginskys Sohn David. Zu dessen Bar Mitzwa (Religionsmündigkeit) 1992 suchte der Vater eine Birkat Hamason, ein Tischgebet. Da er keine passende Ausgabe fand, liess er eine Faksimile-Ausgabe eines alten Manuskripts anfertigen. Dieses ebnete den Weg zu den alten jüdischen Schriften und Hochzeitsurkunden, die ihn immer mehr zu faszinieren begannen.

Der wahre materielle wie immaterielle Wert seiner Sammlung wurde ihm erst viel später bewusst. Im Zusammenhang mit der geplanten Ausstellung in Amsterdam und dem Katalog liess er die Werke wissenschaftlich aufarbeiten. Jedes Sammlungsstück ist fein säuberlich dokumentiert und wird auch über einen Internetauftritt der Wissenschaft zur Verfügung gestellt. Braginsky nimmt eine Schachtel aus dem Archivschrank, legt das Manuskript auf den Tisch und erzählt dessen Geschichte. Er blättert in den Büchern, schraubt einen Spazierstock auf, in dem eine Schriftrolle verborgen ist, und sagt immer wieder: «Schauen Sie» oder «unglaublich».

Mäzen und Förderer

Geld zu haben und so viel zu verdienen ist für Braginsky keine Selbstverständlichkeit. Er spricht von Glück und Privileg, aber auch von der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Mit seiner Judaica-Sammlung leistet er einen Beitrag - im Verhältnis zu seinen anderen Engagements aber einen kleineren. Braginsky ist abseits aller Öffentlichkeit ein grosser Mäzen. Die Familienstiftung unterstützt soziale, schulische und kulturelle Projekte. Darüber hinaus ist er zusammen mit seiner Frau Susanne Braginsky-Roth ein wichtiger Förderer der jüdischen Gemeinschaft in der Schweiz geworden. So bereitet Braginsky das Geldausgeben Befriedigung.