Die Geschichte des Gene Simmons alias Chaim Witz alias Eugene Klein beginnt mit dem, was er selbst seit Neuestem wahrscheinlich einen Diebstahl nennen würde. Darum wird es in dieser kleinen Geschichte gehen: um Diebstahl und Anmassung.

Im Jahr 1955 wanderte eine Frau mit ihrem sechsjährigen Jungen nach New York aus. Die Mutter und der Vater stammten aus ungarisch-jüdischen Familien, sie waren dem Holocaust entkommen und hatten sich irgendwann scheiden lassen. Die Mutter wollte in den USA noch einmal neu anfangen.

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Gestreckte Zunge als Markenzeichen

Niemand konnte damals auch nur ahnen, dass der Junge mal in aller Welt berühmt sein wird, als Bassist eine Rockband mit dem Namen Kiss. Auch seine Zunge wird die Welt noch kennenlernen. Sie wird zu seinem Markenzeichen werden, es wird Tausende Fotos von Gene Simmons geben, auf denen er die Zunge herausstreckt. Sie ist so lang, dass irgendwann Gerüchte auftauchten, er habe sich die Zunge eines Kalbs implantieren lassen, die vielleicht gar nicht richtig in seinen Mund passte.

Als der Junge noch ein Junge war, änderte er zum ersten Mal den Namen, auf den er seit seiner Geburt gehört hatte. Er hiess nun nicht mehr Chaim, es klang in seiner neuen Heimat zu sehr nach «Shame», Schande. Er wurde deshalb Eugene, Eugene Klein.

Der Name stammt von US-Schauspielerin

Als der Junge kein Junge mehr war, änderte er seinen Namen zum zweiten Mal. Er hatte mit einem Gitarristen eine Rockband gegründet, Kiss, deren Mitglieder ihre Gesichter dick schminkten und bizarre Kostüme aus Leder und Nieten trugen. Aus Eugene Klein wurde Gene Simmons. Es ist ein Künstlername, geliehen von einer englischen Schauspielerin, die Jean Simmons hiess.

Dieser Teil der Geschichte, die Geschichte des Kunstprodukts Gene Simmons muss nun vielleicht umgeschrieben werden. Grund ist eine Posse, in der natürlich Simmons die Hauptrolle spielt. Es geht im Grunde um die Frage, ob es Diebstahl sein kann, ein weltweit etabliertes Handzeichen zu benutzen. Denn aus dem jungen Gene Simmons, der jahrzehntelang den grossen Unangepassten gegeben hat und als Zeichen seiner Unangepasstheit immer und überall seine grosse, lange Zunge herausstreckte, ist inzwischen ein ziemlich fülliger Mann Ende 60 geworden, der etwas getan hat, das zugleich bizarr und ziemlich angepasst ist.

Das Zeichen soll nur ihm gehören

Simmons behauptet nun, er sei der Schöpfer eines Handzeichens, das weltweit als Rockergruss bekannt ist. Er will, dass dieses Zeichen, das Fans seit Jahrzehnten benutzen, vor allem auf Konzerten, ihm gehört. Er will offenbar sogar mitverdienen, wenn jemand den Gruss – Zeigefinger, kleiner Finger und Daumen gespreizt, die beiden anderen Finger eingeklappt – kommerziell nutzt. Jedenfalls hat Simmons beim US-Patentamt in New York einen entsprechenden Antrag eingereicht, Nummer 87482739, auf dass ihm die Rechte an dieser Geste zugesprochen werden.

Man kann sich die Folgen ausmalen. Irgendein Nachwuchsrocker hat sein erstes Foto-Shooting für ein namhaftes Musikmagazin, post, tut ein bisschen auf verrucht, spreizt die Finger – und zack, flattert ihm ein unfreundliches Schreiben von Simmons’ Anwälten ins Haus, eine saftige Rechnung inklusive: «Geschützte Geste, plus Steuern».

Rockerfans sind aufgebracht

Als Simmons sich den Namen einer Schauspielerin anverwandelte, war er nicht so pingelig. Man tritt ihm nicht zu nahe, wenn man erwähnt, dass er seine beste Zeit als Künstler lange hinter sich hat. Durch die Sache mit dem Patentamt hat er nicht unbedingt neue Fans gewonnen.

Seit der «Hollywood-Reporter» darüber berichtet hat, schimpfen Rockfans rund um den Globus über Simmons’ Anmassung (Vorsicht, manche Blogs enthalten ‹explicit lyrics›) und weisen auf Menschen, Künstler und Plattencover hin, die Simmons wie einen armseligen Hochstapler aussehen lassen.

Schon John Lennon machte das Handzeichen

Da wäre zum Beispiel, sehr prominent, das Cover der Beatles-Single «Yellow Submarine/Eleanor Rigby» aus dem Jahr 1966. Da macht John Lennon den Gruss, den Simmons am 14. November 1974 erstmals «kommerziell benutzt» haben will. Steht so in seinem Antrag.

Gut möglich, dass Simmons sich schon bald wünscht, er hätte den Patentantrag nie gestellt. Seine Erfolgsaussichten sind wohl nicht sonderlich hoch. Und so eine Geschichte will man als Rockstar ja auch nicht unbedingt als Schluss in seinem Wikipedia-Eintrag stehen haben, dem Grabstein der Gegenwart.

Dieser Text erschien zuerst bei unserem Schwesterblatt «Die Welt» unter dem Namen «Das Rocker-Zeichen soll bald dem Kiss-Bassisten gehören».