Ein Lieferauftrag brachte den Stein ins Rollen. Als Daniel Nicollier, Inhaber einer Landmaschinenfirma, 1994 einen Rasenmäher auf die Golf-Übungswiese (die sogenannte Driving Range) in Affoltern am Albis lieferte, nutzte er die Gelegenheit und spielte zum Plausch ein paar Bälle ab der Matte. Da wars um ihn geschehen! Golf wurde zu Nicolliers Lebensinhalt.

Jeden Tag auf der Driving Range

Das ist allerdings bloss eine milde Umschreibung der Situation. Der kleine weisse Ball bestimmte ab diesem ersten Kontakt jede Minute, jede Stunde, jeden Tag Nicolliers. Golf prägte seine Gedanken, den Tagesablauf, die Wochenenden. Um das Auge zu schulen, verfolgte Nicollier Samstag und Sonntag die Golfübertragungen am Fernsehen. Acht bis zwölf Stunden. Er las jedes Golfheft, jedes Buch, verschlang die Publikationen der Golfgurus Penick, Hogan, Nicklaus und stand 365 Tage im Jahr auf der Driving Range. Vor der Arbeit, über Mittag, am Abend. Bei Regen und Sturm. Um üben zu können, entfernte er gar den Schnee von der Matte. Einen vollen Winter lang spielte er nur mit Eisen 3.

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40 Golflehrer kennen gelernt

Um die Technik zu verbessern, nahm Nicollier Stunden bei Golflehrern, im Fachjargon Pros genannt. Nicht bei einem oder zwei, wie andere Golfbegeisterte, sondern bei über 40. Er buchte in den Ferien im Ausland und in der Schweiz Unterricht und eignete sich so ein breites Wissen über methodische Theorien und Übungsformen an. Nach jeweils rund zehn Stunden wechselte er bewusst den Pro.

Zu Hause in Aeugst am Albis richtete er sich seine eigene kleine Driving Range ein, in der Stube konnte er chippen, den vollen Swing (Schwung) hämmerte er in einen Vorhang. Sogar ins Schlafzimmer verfolgte ihn der kleine weisse Ball: Dort gabs ein Putting Green (Fläche, auf der das Einlochen geübt wird). «Ich war total gepickt», gibt der heute 52-Jährige zu, der nach kurzer Zeit Handicap 8.8 spielte. Sechseinhalb Jahre dauerte diese hochgradig golfverrückte Phase, in welcher Nicollier an 17 Turnieren im GC Verbier teilnahm, wo seine Familie ursprünglich herkommt. 14 davon beendete er als Sieger.

Dann kamen mentale Probleme

Trotzdem war Nicollier unzufrieden. Immer wieder versagte er in Turnieren, schob 50-cm-Putts neben das Loch. Zudem überkam ihn eine gewisse Hilflosigkeit, wie er diese bereits als aktiver Tennisspieler erlebt hatte. Denn eine Dekade lang, im Alter zwischen 29 und 39 Jahren, spielte er nämlich auf hohem Niveau Tennis, war R5 klassiert, obwohl er im Training mit deutlich besser klassierten R1-Spielern mithalten konnte. Die mangelnde Turniererfahrung wirkte sich mental negativ aus, eine Erkenntnis, die Nicollier im Golf wieder einholen sollte.

Körperlich und technisch hatte er nie Probleme, er war stets ein talentierter Athlet, einer, dem jede Bewegung leicht fällt. Deshalb wollte er auch Sportlehrer werden, doch dafür hätte er die Matura gebraucht. «Ich bin kein Schulbanktyp,» erklärt er, «deshalb habe ich eine Lehre als Landmaschinenmechaniker absolviert.» Eine Entscheidung, die ihm angesichts der Tatsache, dass sein Vater eine Firma für Landmaschinen betrieb, ziemlich leicht fiel.

«Sport war schon immer mein Leben», blickt Nicollier zurück, und belegt die Aussage mit diversen Fakten: Er war auf dem Sprung in das nationale Ski-B-Kader, ging primär in den Disziplinen Slalom und Riesenslalom an den Start. Auch das tat er mit Inbrunst. Aber: «Wir wurden damals völlig verheizt», kritisiert Nicollier. Die Nachwuchsfahrer, zu denen auch Daniels heutige Ehefrau Nelly zählte, wurden gnadenlos über eisige Pisten gehetzt und riskierten dabei neben Kopf und Kragen vor allem die Gesundheit. «Das waren raue Sitten damals», erinnert er sich. Diese hatten böse Konsequenzen: Nicollier erlitt Lähmungserscheinung in den Beinen und musste mit dem Skirennsport aufhören. Dabei hatte er zur Stärkung der Beinmuskulatur mit dem Velo trainiert und auch an Rennen teilgenommen. So ganz nebenbei holte er sich dort den Titel eines Zürcher Kantonalmeisters.

Mit 39 das Aus beim Tennissport

Es besteht kein Zweifel: Nicollier ist gesegnet mit sehr viel Talent für körperliche Betätigung. Dennoch stiess er immer wieder an Grenzen. Die Probleme, die ihn zur Aufgabe des Skisportes gezwungen hatten, tauchten auch beim Tennis wieder auf. Er bekam Rückenschmerzen und Lähmungserscheinungen; er musste den «weissen Sport» aufgeben, als er 39 Jahre alt war. Zugegeben, das ist ein Alter, in welchem man sportlich durchaus etwas kürzer treten kann, vor allem wenn man derart lange aktiv war wie Nicollier. Doch knapp vor 40 ging in seinem Leben unvermittelt und unerwartet der Golfstern auf. Wie ein Aszendent übernahm der kleine weisse Ball das Regime in seinem Leben, prägte seinen Tagesrhythmus, seine Gedanken. Sechseinhalb Jahre lang. Jeden Tag. Doch dann war plötzlich Schluss. «Von 100 auf null», wie es Nicollier umschreibt. Er erlitt eine totale Blockade der Schultermuskulatur, es gelang ihm kaum noch, sich zu bewegen, er musste drei Wochen lang das Bett hüten. Nicht einmal waschen oder anziehen konnte er sich.

Positive Folge einer Verletzung

Bereits rechnete Nicollier damit, nach dem Tennis- auch den Golfsport aufgeben zu müssen, denn die Verletzung verunmöglichte jeden Schwung. Irgendwann wollte er es aber doch wieder wissen. Er nahm einen Schläger, entspannte beim Rückschwung die Muskeln und überliess den Rest der Schwerkraft. «Das Ergebnis war unglaublich», erinnert er sich, «der Ball flog bis auf das Dach des Hauses meines Nachbarn, früher war ich jeweils nur bis zur Gartenhecke gekommen.»

In diesem Moment hatte der Patient eine Erleuchtung: Nur 5% eines Golfschwunges ist Aktion, der Rest ist Schwerkraft. «Dank» seiner Verletzung hatte Nicollier einen total anderen Schwung entdeckt.

Parallel zur neuen Technik, welche alle Gedanken an die Bewegung ausschalten soll, entwickelte Nicollier ein mentales Programm, das er mit dem Claim «Pokerface gegenüber dir selbst» umschreibt. «Du musst zwei Dinge beherzigen, um mental stark zu sein», behauptet Nocollier:

Entwickle ein arrogantes Selbstbewusstsein und

eine totale Gleichgültigkeit.

Die Verletzung, die zuerst ein negatives Erlebnis zu sein schien, entwickelte sich zunehmend positiv. Nicollier ist heute dem Golfgott dankbar für den gesundheitlichen Zwischenfall.

Den Beweis für die Tauglichkeit seiner neuen Spielweise und Einstellung erbrachte Nicollier beim ersten Turnier nach der Verletzung. Zwar konnte er die Golftasche (den Bag) noch nicht selber tragen, gleichwohl gewann er mit 73 Schlägen (Brutto) den Wettbewerb und auch gleich noch den weitesten Schlag (den Longest Drive). In Verbier schlug er das gesamte Teilnehmerfeld und wurde Walliser Meister (Brutto).

Zu alt, um Golflehrer zu werden

Seine Erfahrungen und Erfolge liessen langsam den Gedanken aufkeimen, dass man die Methode unter die Leute bringen sollte. Nicollier erkundigte sich bei der Golflehrerorganisation PGA, ob er eine Berechtigung für das Erteilen von Unterricht erhalten könne. Doch die PGA winkte ob des Berufswunsches von Nicollier ab: Er sei zu alt. Die oberste Limite für eine Ausbildung als Golflehrer (Pro) liege bei 35 Jahren – Nicollier hingegen war bereits 45. Er wollte aber unbedingt ein Zertifikat, um neben seiner Tätigkeit als Geschäftsleiter des Landmaschinenunternehmens in der Driving Range von Affoltern unterrichten zu können. Statt ein PGA-Diplom erstand Nicollier schliesslich ein Zertifikat bei einem englischen Verband (EGTF).

Die Tätigkeit des nicht mehr ganz blutjungen Hobby-Pros machte unter Golfern schnell die Runde. Auch René Bär, Betreiber der Driving Range Albis Golf in Wettswil, wurde aufmerksam auf Nicollier, nicht zuletzt deshalb, weil er mehrere seiner Gäste lobend über Nicollier reden hörte. Bär fragte den Neo-Pro deshalb an, ob er nicht in Wettswil arbeiten wolle. Und zwar vollzeitlich. So kam es, dass Nicollier die Firma, die er vor 17 Jahren von seinem Vater übernommen hatte und die in den besten Tagen mit neun Mitarbeitern über 3 Mio Fr. Umsatz erwirtschaftet hatte, verkaufte und im Juni 2003 im Albis Golf, Wettswil, eine Karriere als Pro begann. Seine Frau Nelly unterstützte ihn beim Neustart.

Erstaunlich ist zudem: Nicolliers Methode ist revolutionär, weil sie einen Link zwischen Technik und mentaler Befindlichkeit herstellt. In einem Crash-Kurs über zehn Lektionen verpasst einem der «Golf-Doktor» so etwas wie eine «Hirnwäsche». Er scheint ein intuitives Verständnis für mentale Probleme zu haben. Er setzt die Prioritäten total anders. Wer sich die Mühe macht, auf der Homepage des Lehrers die Gästeeintragungen zu lesen, wird feststellen, dass das alles ein wenig nach Magie klingt.

Wem das noch nicht als Bestätigung für den Erfolg der Methode von Nicollier genügt, muss die Ergebnisse der letzten Schweizer Meisterschaft der Longhitter (der Spieler mit den weitesten Abschlägen) konsultieren: Bei den Amateuren gewann Daniel Nicolliers Sohn Yves (315 m), und bei den Pros schwang Jann Schmid (317 m) obenauf. Beide nehmen bei Daniel Nicollier Unterricht.