Beate Uhse ist ganz hinten in der Eingangshalle zu finden. Ein Ölbild von der Frau, die Millionen Frauen und Männern in der jungen Bundesrepublik zu mehr Lebensfreude verhalf, hängt schmucklos an einer Wand der Firmenzentrale.
Einige Meter davor steht Gerard Cok auf einer kleinen Bühne. Der Mann mit der akkurat gekämmten Frisur erzählt auf Deutsch, aber mit dem typisch holländischen Akzent, dass er mit Beate Uhse sehr zufrieden ist. Er spricht zu den Aktionären, denn es ist der Tag der Hauptversammlung.
Cok ist über seine Consipio Holding größter Aktionär und Aufsichtsratschef. Ohne den Geschäftsmann, der einen holländischen Pass hat und in Belgien lebt, läuft nichts bei dem Erotikhändler.
Alles begann mit einem Eros-Center
Gerard Cok will die 180 anwesenden Aktionäre für sich einnehmen. Er beteuert, dass es sein Sohn Erwin in dem Unternehmen nicht leicht haben wird. Der Filius war vor einigen Wochen zum Vorstandsmitglied bei Beate Uhse aufgestiegen. «In der Familie schaue ich noch genauer hin», sagt sein demnächst 65-jähriger Vater.
Der gelernte Bankkaufmann Gerard Cok hat als junger Mann in Antwerpen ein Eros Center gebaut, seine ersten Geschäfte waren Sexläden. Früh setze er seinen Sohn in den Firmen ein, bei Beate Uhse arbeitet Erwin Cok schon seit fast zwei Jahrzehnten. Gerard Coks Tochter Miranda beschäftigt sich mit dem Immobiliengeschäft der Familie.
«Noch ist die Sprache Deutsch, aber bald wird sie Holländisch sein», flüstert ein Aktionär in der zweiten Reihe. So richtig interessiert ihn die Hauptversammlung allerdings nicht, auf den Aktienkurs schaut er schon lange nicht mehr: Bei umgerechnet knapp 25 Euro stand der Kurs nach dem Börsengang im Jahr 1999, heute ist die Erotik-Aktie weniger als einen Euro wert.
Trotzdem sieht der Mann irgendwie zufrieden aus. Das könnte an jenen 30 Euro liegen, die jeder Hauptversammlungsbesucher als Gutschein bekommen hat, einlösbar im Sexshop gleich hier im Firmengebäude. Seine Tüte steht schon neben dem Stuhl.
1962: Der erste Sexshop der Welt
Familie Cok hat Beate Uhse zur Familiensache gemacht. Mit ihrem Einfluss könnten die Coks aus dem Flensburger Unternehmen ein holländisches machen und den Firmensitz in ihre Heimat verlegen. Logistik und Lager für den Groß- und Einzelhandel sind dort längst in Almere und Walsoorden angesiedelt.
Vor wenigen Wochen hat der Vorstand die Firmenzentrale, die von den Flensburgern wegen der Bauform «Sexeck» genannt wird, an einen Möbelhändler verkauft. Die restlichen rund 40 Beschäftigten arbeiten künftig als Untermieter.
Der Widerstand gegen die Tatsache, dass mit Beate Uhse womöglich bald ein Teil der deutschen Wirtschaftswundergeschichte entwurzelt wird, hält sich in Grenzen. Dabei hat die bundesweit bekannte Gründerin mit dem «Fachgeschäft für Ehehygiene» 1962 den ersten Sexshop der Welt eröffnet.
Die Marke hat hierzulande einen Bekanntheitsgrad, von dem selbst viele Dax-Konzerne nur träumen können. Beate Uhse, die im Jahr 2001 verstorben ist, ist Trägerin des Bundesverdienstkreuzes am Bande und Ehrenbürgerin der Stadt Flensburg.
Seltsames Firmen-Geflecht
Doch die Vergangenheit interessiert nicht mehr. Knapp eineinhalb Jahrzehnte nach dem Börsengang und einem kurzen Höhenflug ist die Beate Uhse AG ein Geflecht aus persönlichen Interessen geworden. Doch das kümmert auf der Hauptversammlung niemanden. Wenn die Vorstände Erwin Cok und Serge van der Hooft – die beiden kennen sich seit Kinderjahren – den Aktionären das Ende des Umsatzschwunds und Gewinne versprechen, ernten sie Applaus.
Außer der Familie Cok dürfte kaum jemand in der Lage sein, die Geschäfte der Aktiengesellschaft mit Dutzenden anderen Firmen zu durchschauen. Zwischen Cok und der Beate Uhse AG wandern Firmen hin und her. Einige Beispiele: Die gut verdienende Tochtergesellschaft namens Kondomeriet in Norwegen wird kurzerhand an Coks Consipio Holding verkauft.
Ein anderer Unternehmensteil, TMC genannt, der mit Filmrechten für Pornos handelt, wird mit Krediten gepäppelt. Cok kontrolliert über mehrere Gesellschaften das Geschäft von TMC mit Video-Rechten. Wieder eine andere Firma, Devitrade, diesmal im Eigentum von Erwin Cok, stellt Beate Uhse Rechnungen über Managementleistungen aus.
Eine weitere Familienfirma von Cok, Bocca mit Namen, verfügt über Tausende Adressen potenzieller Kunden in Polen und reicht sie über Lizenzzahlungen und ein halbes Dutzend Geschäftsabschlüsse an Beate-Uhse-Firmen weiter. «Diesen Deal hätte Beate Uhse niemals gemacht», sagt ein Finanzfachmann dazu. Er kennt das Unternehmen wie kaum ein anderer.
Die Sparkasse ist zweigrößter Anteilseigner
Selbst professionelle Aktionärsschützer haben bei Beate Uhse den roten Faden verloren. Steffen Kraus von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz fragt an dem Vormittag nach Immobiliengeschäften innerhalb der Aktiengesellschaft – und bekommt nur ausweichende Antworten.
Viele Anteilseigentümer sind anscheinend schon zufrieden, dass es Beate Uhse überhaupt noch gibt: Vor drei oder vier Jahren stand der Konzern vor der Pleite, nur ein ausgeprägtes Interesse der örtlichen Sparkasse und die Geduld der UniCredit Bank verhinderten das Ende. «Die Banken hätten uns kaputt gehen lassen können», sagt ein früherer Vorstand.
Nach Coks Consipio Holding ist der Sparkassen- und Giroverband Schleswig-Holstein über eine Gesellschaft namens Venus Hyggelig zweitgrößter Aktionär, auch UniCredit ist noch beteiligt. Seither hat Vorstandschef van der Hooft das Unternehmen im Umsatz und in der Belegschaft auf die Hälfte verkleinert. Rund 700 Angestellte stehen noch auf den Gehaltslisten, halb so viele wie vor fünf Jahren. Van der Hooft ist in der Nachbarschaft von Gerard Cok aufgewachsen, er nennt ihn einen väterlichen Freund.
Eine 20-Meter-Yacht und ein millionenschwerer Steuervergleich
Doch dieser Freund verrät wenig über sich selbst. Höchstens sagt Gerard Cok etwas zu seinem Yachthafen Port Napoléon am Mittelmeer und zur «Second Love», seiner 20-Meter-Segelyacht. «Meine erste Liebe ist die Familie, meine zweite Liebe ist das Segeln», erklärt er den Namen.
Wie groß sein Firmenreich sei? Der Anteil bei Beate Uhse mache vielleicht zehn Prozent seiner Geschäfte aus, antwortet er darauf. Dass seine Firma vor vielen Jahren einmal von Steuerbehörden durchsucht und später ein millionenschwerer Vergleich geschlossen wurde, bestätigt Cok dann aber schon.
Bei Beate Uhse will Cok den Aufsichtsrat, den er gerade von sechs auf drei Mitglieder verkleinert hat, «vielleicht noch drei Jahre». Ein Rechtssitz in den Niederlanden sei derzeit nicht geplant.
«Für die Zukunft ist das schwierig zu sagen. Deutschland ist ein wichtiges Land für Beate Uhse», sagt Cok. Doch ist das wirklich so? Im Ausland kennt niemand diesen Firmennamen: Das Unternehmen heisst Pabo in den Niederlanden oder Christine le Duc in Frankreich.
Der Stiefsohn hat Interesse an der Marke «Beate Uhse»
Dirk Rotermund, der Stiefsohn von Beate Uhse, schaut sich das Treiben aus der Nachbarschaft in Flensburg an. Dem bald 70-Jährigen und seiner Familie gehört die Firma Orion, einer der schärfsten Konkurrenten von Beate Uhse. Rotermund hatte nie etwas mit dem Unternehmen seiner Stiefmutter zu tun, doch jetzt möchte er das ändern.
«Den Firmennamen Beate Uhse würde ich schon gern haben», sagt Rotermund. Er denkt, dass das Management die Lust am deutschen Markt verloren hat. Orion hingegen kommt mit seinen 150 Sexläden laut eigener Aussage gut zurecht und wird in Deutschland nicht kleiner, sondern größer.
Die Miete müsse stimmen, und das Geschäft müsse das richtige Sortiment anbieten, erklärt Rotermund, der die Firmenleitung an seine Tochter Maike übergeben hat, sein Erfolgsrezept.
«Frauen wollen Führung»
Doch ein Verkauf innerhalb der früheren Erbengemeinschaft ist unwahrscheinlich. Familiär gibt es keine Verbindungen mehr. Stattdessen werden sich die Talente der neuen Eigentümer im Unternehmen widerspiegeln: Vorstand Erwin Cok hat sich gerade ein neues Logo für Beate Uhse ausgedacht, dünne rote Striche malen den Namen der Firmengründerin, in der Mitte steht ein Herz.
Frauen sollen Kundinnen werden, das ist die Absicht dahinter. «Frauen wollen Führung», erklärt Erwin Cok die Ergebnisse seiner Marktforschung. Doch ob diese Strategie bei der inzwischen recht aufgeklärten Frau des 21. Jahrhundert funktioniert, darf bezweifelt werden.
Dieser Artikel ist zunächst in unserer Schwester-Publikation «Die Welt» erschienen.