Das Veröffentlichungsdatum wirkt so, als wolle die Julius Bär ihren neuen Verwaltungsratspräsidenten möglichst unbemerkt ankündigen: Freitagabend nach Börsenschluss teilte die Privatbank mit, dass Noel Quinn, Ex-Chef des Bankriesen HSBC, im April neuer Präsident werden soll. Keine Frage: Der gelernte Wirtschaftsprüfer, der in den späten 1980er-Jahren bei der HSBC angefangen und sich zum CEO hochgearbeitet hat, ist ein Vollblutbanker. Die HSBC ist zudem eine Macht in Asien, und die Region ist auch für die Julius Bär einer der wichtigsten Märkte.

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Dennoch wirft Quinns Nominierung Fragen auf. So hat der Brite bei der HSBC Karriere im Firmenkundengeschäft gemacht. Und das ist exakt der Bereich, von dem die Julius Bär die Finger lassen will – nach dem Desaster mit den Krediten an den kollabierten Signa-Konzern von René Benko. In seiner Zeit als CEO war Quinn zwar auch für das Private Banking des Bankgiganten zuständig. Doch vom Umsatz von stolzen 66 Milliarden Dollar macht das Geschäft mit den Reichen gerade einmal 11 Prozent aus. Bei Julius Bär sind es 100 Prozent.

Malus mangelnder Schweiz-Bezug 

Quinns Berufung erinnert ein wenig an jene von Ralph Hamers. Dieser kam 2020 von der niederländischen Grossbank ING, um UBS-Chef zu werden. Im Unterschied zur HSBC ist die ING im Private Banking eine Randgrösse. Dafür brachte Hamers Ideen und die Erfahrung mit, eine Grossorganisation agiler zu machen, und er pushte die UBS in Richtung mehr digitales Banking. Ausser einer grossen Banking-Erfahrung ist bei Quinn keine besondere Qualifikation zu erkennen, die Julius Bär im Private-Banking-Geschäft voranbringen könnte.

Ein weiterer Malus, der am Finanzplatz als Kritikpunkt kursiert, ist Quinns mangelnder Schweiz-Bezug. Deutsch spricht er nicht, dabei sind deutschsprachige Kunden eine Kernzielgruppe der Julius Bär. Wohlwollend betrachtet ergänzen sich beide Spitzenkräfte: Quinn ist ein erfahrener Bank-CEO, für Stefan Bollinger ist der Job bei Julius Bär sein erster als Chef. Dafür ist er Schweizer und erfahrener Private Banker, während Quinn wiederum in diesen beiden Punkten Defizite aufweist.

Nun muss sich zeigen, wie die beiden Topbanker miteinander klarkommen. Es war die Entscheidung des Verwaltungsrats unter Romeo Lacher, nach dem Benko-Desaster zuerst einen neuen CEO zu installieren und dann den Posten des Verwaltungsratspräsidenten neu zu besetzen. Diese Reihenfolge hat den Nachteil, dass der neue Präsident nun einen CEO vorfindet, den er sich nicht aussuchen konnte. Hinzu kommt: Quinn tritt seinen Posten erst Anfang Mai an. Bollinger will aber schon Anfang Juni seine neue Strategie verkünden. Daher wird der oberste Stratege der Bank – der Verwaltungsratspräsident – bei der Ausarbeitung der neuen Strategie kaum mitwirken können.

Das neue Führungs-Setup birgt also einige Spannungspunkte. Sie müssen nicht aufbrechen, doch dass bei der Julius Bär die erhoffte Ruhe einkehrt, ist längst nicht ausgemacht.