Gemütlich hat er es sich an diesem Samstagabend gemacht. Vor Tagen ist der Banker beruflich nach New York gejettet, und in seiner Agenda steht für die kommende Woche ein weiterer unaufschiebbarer Termin in der amerikanischen Metropole. Jetzt freut sich Marcel Ospel an diesem 29. September 2001 auf ein geruhsames Wochenende in seinem Privatdomizil im Basler Gellertpark.

Gegen 18 Uhr ist es mit der Gemütlichkeit im Hause Ospel vorbei. Der Chef der UBS, der grössten Bank des Landes, wird in einer dringlichen Angelegenheit ans Telefon gerufen. Am Draht ist ein befreundeter Basler, Andres Leuenberger, Vizepräsident bei Roche und vor allem Verwaltungsrat der Swissiar. Kaum hält Ospel den Hörer in der Hand, reicht Leuenberger diesen an Mario Corti weiter, Präsident und Konzernchef der nationalen Airline.

Der Airline-Präsident bittet den Bank-Präsidenten, umgehend auf den Klotener Balsberg zu kommen, es gebe vielleicht eine Lösung, wie die Swissair gerettet werden könne. Dazu aber brauche er die Unterstützung der Banken, auch der UBS. Ein schicksalshaftes Telefonat, das Mario Corti da getätigt hat. Der Präsident hatte offensichtlich keine andere Wahl, als den Bittgang zu den Banken anzutreten.

Schon den ganzen Tag über herrscht hektisches Treiben am Balsberg. Seit neun Uhr früh tagt der Swissair-Verwaltungsrat in einem Raum, vor dem Schutzleute stehen. Drinnen ringt eine stattliche Anzahl von Personen um das Überleben der Swissair. Neben den Verwaltungsräten ist unter anderen auch Swissair- Finanzchefin Jacqualyne Fouse anwesend, drei Fachleute der Wirtschaftsprüfungsfirma KPMG, André Dosé, der neue Chef «Swiss Air Lines», und Peter Widmer, Partner bei der Zürcher Advokatur Homburger Rechtsanwälte, der als externer Anwalt der Swissair fungiert. Allen im Raum ist klar, dass die nationale Airline faktisch illiquide ist, und an diesem Morgen wird auch klar, dass der Konzern für diesen Fall völlig unvorbereitet ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die SAirGroup mit über 500 Kreditgebern verbandelt ist.

Die zentrale Frage lautet nun, wie mit diesem Finanzdschungel und angesichts der leeren Kassen eine funktionstüchtige Schweizer Airline erhalten werden kann. Es wird diskutiert, ob eine Nachlassstundung eingeleitet werden könnte, ohne den Flugbetrieb der Swissair zu gefährden. Die Idee erweist sich schnell als undurchführbar. Auf eine Auffanggesellschaft, die in diesem Fall den Flugbetrieb übernehmen müsste, lassen sich aus rechtlichen Gründen keine Betriebskonzessionen übertragen.

Die Wirtschaftsprüfer der KPMG schlagen vor, mit dem Konzern sofort in den Nachlass zu gehen, um einen Schutz vor den Gläubigern zu bekommen. Doch in diesem Fall wären die Swissair und auch die 70-prozentige Tochter Crossair in den Strudel des Nachlasses gekommen und nicht mehr zu retten gewesen. Peter Widmer, der externe Jurist im Solde der Swissair, präsentiert das Modell «Swiss Air Lines», das eine Zusammenführung beider Schweizer Airlines unter dem Dach der Swissair vorsieht. Völlig unklar ist jedoch, was das kosten würde.

Bleibt der Weg, die Swissair zu verkaufen. Der Verwaltungsrat zieht sich zurück und berät diesen Vorschlag hinter verschlossenen Türen. Schliesslich ringt er sich dazu durch, einem Verkauf der Swissair zuzustimmen. Doch auch das wirft Fragen auf. Wer soll in Zeiten massiver Überkapazitäten in der Branche ein Interesse haben, in eine Airline zu investieren? Ein Statement von Finanzchefin Fouse ist auch nicht gerade ermutigend. Die Swissair, sagt sie, schiebe Altlasten in der Grössenordnung von zwei Milliarden Franken vor sich her. Investitionen in eine nahe dem Konkurs stehende Firma seien sinnlos.

Der Verwaltungsrat schaltet telefonisch den Bundesrat zu. Aus Bern kommt die Nachricht, dass die Regierung auf Grund des Luftfahrtgesetzes höchstens in der Lage wäre, ein Darlehen zu sprechen. Damit ist das Problem aber nicht gelöst.

Um 13.30 Uhr, nach der Mittagspause, geht die Sitzung in die entscheidende Runde. Es ist Lukas Mühlemann, Chef der Credit Suisse und Swissair-Verwaltungsrat, der den entscheidenden Wink gibt. Seine Bankspezialisten der Investmenttochter Credit Suisse First Boston (CSFB) hätten die Möglichkeit, Lösungsvorschläge zu präsentieren. Die Investmentbanker und der Anwalt Urs Schenker von der Anwaltskanzlei Baker & McKenzie sind seit elf Uhr vor Ort dabei, ihrerseits ein Konzept zur Rettung der festgefahrenen Situation auszuarbeiten. Improvisiert, direkt ab seinem Laptop, entwickelt Schenker nun sein Programm «Swissair: New Crossair». Folie um Folie projektiert der Jurist an die Wand, und bereits nach dem ersten Blatt wird klar, dass damit die Geschichte eine abrupte, für die meisten im Saal völlig überraschende Wendung nimmt. Verkauft werden soll nun nicht mehr die Swissair, sondern die Crossair:

«Investorengruppe kauft 70 Prozent von Crossair von SAirGroup», heisst es da, «Preis am Börsenkurs orientiert, cirka 250 Millionen Franken.» Und weiter:

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  • «Crossair kauft Marke Swissair,
  • Investorengruppe und Bankenkonsortium finanzieren Crossair Working Capital (cirka 650 Millionen Franken),
  • Crossair erhält Streckenkonzessionen für internationale Flüge,
  • SAirGroup, Swissair beantragen Nachlassstundung,
  • Swissair fliegt im Auftrag der Crossair.»

Diese Massnahmen sollen sofort in die Wege geleitet werden. Was hier vorgeschlagen wird, ist gewissermassen ein Reversed Takeover; die kleinere Crossair schluckt die verwertbaren Teile der Muttergesellschaft Swissair, der Rest wird in die Nachlassstundung geschickt.
Mittelfristig, in spätestens 30 Tagen, sollen, so das Schenker-Konzept, weitere Schritte vollzogen sein:

  • Crossair erhält Betriebsbewilligung und Konzessionen für internationalen Betrieb und wird zur nationalen Airline,
  • Crossair übernimmt Teil des Personals der Swissair zu Crossair-Konditionen,
  • Crossair least die Swissair-Flugzeuge von den Leasinggebern zu neuen Konditionen,
  • Swissair stellt Betrieb ein.

Es wird klar, dass die 70 Jahre alte Swissair in der bestehenden Form von der Bildfläche verschwinden soll. Die Crossair soll zur einzigen Schweizer Luftfahrtgesellschaft ausgebaut werden. In spätestens zwei Monaten sollen die dafür erforderlichen Schritte in die Wege geleitet werden. Es sind folgende:

  • Crossair erhöht ihr Kapital,
  • Crossair ändert seinen Namen in Swissair,
  • Investorengruppe macht öffentliches Angebot für Minderheitsaktionäre.

In spätestens einem halben Jahr soll die Crossair dann von der bis dahin in Liquidation befindlichen SAirGroup flugnahe Betriebe wie SR Technics und Swisscargo übernehmen. Das Ergebnis dieser Übung ist für die Crossair das folgende:

  • operative Airline mit zwei Brands (Crossair/Swissair),
  • europäisches und internationales Streckennetz,
  • neue, reduzierte Kostenstruktur,
  • keine Swissair-Altlasten.

Damit ist zur faktisch konkursiten alten Swissair ein sauberer Trennungsstrich gezogen. Die kranken Teile des somit faktisch aufgelösten Konzerns wie Swissair und die konzerneigene Leasinggesellschaft Flightlease werden in den Nachlass geschickt; die verwertbaren Stücke wie die Cateringtochter Gate Gourmet oder die Informatikfirma Atraxis sollen zu Gunsten der Gläubiger verkauft werden.

Nach zwei Stunden ist der Jurist mit seiner Präsentation zu Ende. Da das Schenker-Konzept auch eine Beteiligung des Bundes am Kapital der neuen Airline vorsieht, hängt sich Mario Corti sofort ans Telefon und schreckt in Bern Peter Siegenthaler auf. Dringend, lässt er den Chef der Eidgenössischen Finanzverwaltung wissen, müsse eine Delegation der Swissair einen Termin bei Regierungsvertretern bekommen – am nächsten Tag schon.

Nun wird es turbulent am Balsberg. Kurz nach 18 Uhr trifft der Crossair-Verwaltungsrat in der Swissair-Zentrale ein; Corti hat das Aufsichtsgremium angesichts des Ernstes der Lage nach Zürch beordert. Mit dessen Präsidenten, Moritz Suter, zieht er sich in sein Büro zurück. Der Crossair-Gründer bekommt zu sehen, was Schenker dem Swissair-Verwaltungsrat bereits präsentiert hat, und hat nur einen einzigen Einwand: Der Markenwechsel von Crossair zu Swissair, moniert er, sei derzeit nicht opportun.

Anschliessend soll das Konzept «New Crossair» auch dem Gesamtverwaltungsrat der Regional-Airline präsentiert werden. Doch bereits ist am Balsberg neuer Besuch eingetroffen. Inzwischen ist auch der von Corti in seinem Privatdomizil avisierte UBS-Chef Marcel Ospel nach Kloten gekommen und mit ihm unter anderen Alberto Togni, Vizepräsident des UBS-Verwatungsrates, sowie Peter Kurer, der oberste UBS-Jurist. Nun tritt Präsentator Schenker ein zweites Mal auf und setzt die Neuangekommenen über sein Konzept ins Bild.

Ein weiteres Mal zieht sich Swissair-Präsident Mario Corti in sein Büro zurück, diesmal sind neben Moritz Suter und Airline-Chef André Dosé auch die UBS-Banker mit von der Partie. Es entbrennt eine Diskussion um die Finanzierung dieses Konzepts. Corti erkundigt sich bei Ospel, ob dieser Plan finanzierbar sei. Der Banker bejaht, und Moritz Suter schlägt vor, auch die Kantonalbanken mit ins Boot zu holen. Dafür, entgegnet Ospel, reiche wohl die Zeit nicht. Suter appelliert an den Banker, für eine Finanzierung Hand zu bieten. Dies sei die letzte Chance, die schweizerische Luftfahrt zu retten.

In der Tat. Das von Corti favorisierte Projekt «Swiss Air Lines», die Zusammenführung beider Airlines unter dem Dach der Swissair, hat keine Chance mehr. Es wird nicht einmal mehr diskutiert. Und im Crossair-Verwaltungsrat hat sich die Haltung verfestigt, dass angesichts der desolaten finanziellen Verfassung der SAirGroup sich die Basler Regional-Airline mit aller Macht von der Swissair lösen müsse.

Nun sind die Parteien klar positioniert: Die UBS-Banker um den Basler Marcel Ospel befürworten eine Herauslösung der Crossair aus dem Swissair-Konzern, ebenso der Crossair-Verwaltungsrat. Mario Corti, der Swissair-Präsident, ist angesichts der Machtverhältnisse praktisch handlungsunfähig. Und auch Swissair-Anwalt Peter Widmer dringt mit seinem Argument, der Bertrieb einer Swissair im Konkurs könne nicht einfach auf die Crossair übertragen werden, nicht mehr durch.

Die UBS hat nun das Heft in die Hand genommen. Das wird Mario Corti und auch den anderen Beteiligten an diesem denkwürdigen Tag erst gegen 23 Uhr bewusst. Die UBS-Banker haben sich zur Beratung zurückgezogen, und nach rund 20 Minuten gelangen sie wohl vorbereitet wieder ins Plenum. Das Wort führt nun UBS-Hausjurist Peter Kurer. Der Mann tritt auf, als wäre er der neue Herr im Hause: selbstbewusst, bestimmend und schneidend in der Wortwahl. Handschriftlich, auf einem Blatt Papier, hat er einen Mehrpunktekatalog an Forderungen aufgestellt. Der ist praktisch identisch mit den Bedingungen, die tags darauf in das «Term Sheet Projekt Phoenix» einfliessen werden, das die Übernahme der Swissair durch die Crossair besiegeln wird.

Der Jurist ist brillant, zweifellos. Ein ausgewiesener Spezialist in Mergers & Acquisitions. Und bestens im Bild über die Eingeweide der Swissair. Bevor er im Juli des Jahres 2001 seine Stelle als oberster Hausjurist der UBS angetreten hat, war er über Jahre externer Berater der Swissair gewesen. Bereits während der Verhandlungen um das Fusionsprojekt Alcazar vor acht Jahren hat Kurer den damaligen Swissair-Verwaltungsrat juristisch beraten. Insbesondere Rainer E. Gut, dem damals starken Mann im Swissair-Rat und seinerzeit Chef der Credit Suisse, ist er in dieser Zeit mit Rat und Tat zur Seite gestanden.

Doch kann ein Mann so brillant sein, dass er innert nicht einmal einer halben Stunde auf einem Fetzen Papier einen Schlachtplan für eine derart schwierige finanzielle Transaktion entwerfen kann? Lässt sich mit ein paar Pinselstrichen und in wenigen Minuten eine Airline in eine andere überführen, ohne dass auch der hellste Kopf angesichts der Komplexität dieser Aufgabe zumindest Tage der Vorbereitung bedürfte? Einige fragen sich das nach dem ersten Auftritt des Peter Kurer. Und in einigen steigen Zweifel auf, ob diese handgeschriebenen Notizen wirklich in dieser Nacht kurz vor Mitternacht spontan entstanden oder nicht zumindest im Kopf des Juristen schon seit längerem formuliert gewesen seien. Wie dem auch sei, die erste Runde im Kampf der Juristen hat Kurer in diesen Nachtstunden des letzten Samstags im November für sich entschieden.

Es sind alles ehemalige Kollegen, denen Kurer nun den Meister gezeigt hat. Peter Widmer, Aushängeschild der Advokatur Homburger Rechtsanwälte, hat als externer Berater das Swissair-Mandat von Kurer übernommen, nachdem dieser wenige Monate zuvor von Homburger in die Dienste der UBS gewechselt hatte. Im Nebenamt ist Widmer zudem Präsident des Zürcher Fussballklubs Grasshoppers, wo der ehemalige CS-Chef und heutige Nestlé-Präsident Rainer E. Gut einige Millionen aus seiner Privatschatulle investiert hat. Auch für den ehemaligen Swissair-Verwaltungsrat Gut muss Kurers Sololauf an diesem Tag zumindest indirekt eine herbe Niederlage darstellen.

Es ist jedoch nicht nur Kurer, der nun auf der anderen Seite des Tisches sitzt. Auch die Anwaltskanzlei Baker & McKenzie, die im grossen Finale um die Swissair als Vertreterin der Credit Suisse fungiert, hat in früheren Zeiten lukrative Deals im Auftrag der SAirGroup abgewickelt: Sie ist in der Vergangenheit als juristischer Berater bei Akquisitionen in die flugverwandten Geschäfte Nuance, Duty Free und Gate Gourmet Pate gestanden. Im Jahre 1999 etwa haben beim komplexen Übernahmevertrag des US-Caterers Dobbs durch die Swissair-Tochter Gate Gourmet amerikanische Anwälte der Kanzlei juristischen Support geliefert.

Doch das ist alles Vergangenheit in dieser Nacht der langen Messer. Nun wird um die Finanzierung der neuen Airline gefeilscht. Es geht um die Frage, welche Bank wie viele Millionen einschiessen soll. UBS-Banker Ospel nimmt Kontakt zu seinem CS-Kollegen Lukas Mühlemann auf, der längst gegangen ist. Es kommt zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden Bankchefs. Mühlemann schlägt vor, die Finanzierung unter den beiden Banken zu gleichen Teilen aufzusplitten. Ospel opponiert und schlägt zurück. Er, Mühlemann, sei als Verwaltungsrat der Swissair nicht in einer Position der Stärke, um solches zu verlangen. Die UBS fordert ultimativ, dass die Bank mit 51 Prozent des Finanzierungspakets die Führung übernehmen müsse. Nun ist Mühlemann eingeschnappt und schiesst verbal zurück: Dann, sagt er, zahle seine Bank eben die ganze Tranche. In diesem Fall, entgegnet Ospel kühl, sei die UBS draussen.

Vor den erstaunten Augen der Anwesenden am Balsberg trommelt der Bankchef seine Truppe zusammen und bläst zum Rückzug. Es ist Moritz Suter, der Crossair-Chef, der sofort realisiert, dass damit der Auskauf seiner Crossair aus der moribunden Swissair auf der Kippe steht. Er bekniet den Basler Banker, zu bleiben, und weist in eindringlichen Worten darauf hin, dass die Einbindung beider Geldhäuser zwingend sei, wenn die neue Airline eine Chance haben soll, flügge zu werden. An den verhärteten Fronten zwischen den beiden Grossbankchefs ändert diese Intervention Suters vorerst nichts. Die Verhandlungen um die Millionen sind an einem toten Punkt, und die neue Airline scheint eine Bruchlandung zu machen, bevor sie überhaupt abheben kann. Denn allen Beteiligten ist klar, dass die Credit Suisse unmöglich das gesamte Kapital einschiessen kann. Zu sehr ist die Bank in der Öffentlichkeit mit dem Swissair-Verwaltungsratsmandat ihres Chefs verquickt, als dass sich ein solches Vorgehen mit Erfolg kommunizieren liesse.