Der Mann trägt verwaschene Jeans und ein aufgeknöpftes Karohemd. Er empfängt die Besucher in seinem kleinen Büro im sechsten Stock des Gebäudes 33. Überall stapelt sich Papier. Auf dem Fensterbrett stehen Fotos von Landschaften und der Familie.
Ian Clark ist seit einem Jahr Statthalter von Roche in den USA. Anderseits verkörpert er perfekt den Geist jener Pioniere, die 1976 den Grundstein zu Genentech gelegt haben. In einer gemieteten Holzbaracke im Niemandsland an der Bucht von San Francisco begann damals, was heute als das erfolgreichste Biotech-Unternehmen der Welt gilt. Aus der Baracke ist ein Campus der Superlative mit gut 10 000 Mitarbeitern geworden. Geblieben ist die Adresse: 1 DNA Way - Erbgutweg 1.
Das Zeitzonen-Problem
Der Mann mit den verwaschenen Jeans blickt zum Fenster hinaus. Gerade landet auf dem nahen Flughafen der Airbus der Swiss aus Zürich. Es ist 16.20 Uhr. Clark sitzt selber oft in dem Flieger mit der bunten Flower-Power-Bemalung, etwa einmal pro Monat. Seit der Basler Pharmariese Roche die amerikanische Tochter ganz übernommen und Clark eingesetzt hat, ist so manches anders geworden. «Wir reisen viel mehr als vorher, vor allem nach Basel», erzählt Clark der «Handelszeitung». «Die Leute haben Mühe mit dem vielen Reisen und den unterschiedlichen Zeitzonen. Das haben wir unterschätzt.»
Die Manager auf beiden Seiten des grossen Teichs versuchen zwar wenn immer möglich mit Videokonferenzen auszukommen. Aber so einfach ist das nicht. Wenn in der Schweiz die Sonne untergeht, geht sie an der US-Westküste gerade auf. «So bleiben uns nur ein bis zwei Stunden gemeinsamer Arbeitszeit», sagt Clark. Zudem lasse sich nicht alles aus der Ferne und in zwei Stunden regeln. Oft sei der persönliche Kontakt nötig. So sei letztes Jahr in der heissen Phase der Fusion selbst Severin Schwan, der Konzernchef von Roche, alle zwei Wochen nach San Francisco geflogen. «Wir fliegen offenbar oft genug, dass die Swiss einen direkten Flug eingeführt hat», witzelt Clark.
Dann wird er nachdenklich. Denn die Integration von Genentech in den Roche-Konzern brachte auch ganz andere, grössere Probleme mit sich. Viele Mitarbeiter fürchteten um den Geist des Unternehmens, das in den USA als Wegbereiter der gesamten Biotechbranche gilt. «Bisher ging es bei uns um Forschung und Patienten. Nun wird sich alles nur noch ums Geld drehen», sagte im März 2009 eine langjährige Mitarbeiterin. Clark zeigt Verständnis für die Ängste. «Bei Genentech standen immer Forschung, Patienten und Mitarbeiter im Zentrum. Es war aber auch klar, dass wir im Geschäft erfolgreich sein mussten. Das wussten die Leute. Als sie dann mehr und mehr mit Kollegen von Roche zu tun hatten, merkten sie, dass es auch bei Roche um Wissenschaft und Patienten geht. Es war also nicht so, dass man sich bei Genentech nie ums Geschäft gekümmert hätte und bei Roche nie um Wissenschaft und Patienten.»
Liebe auf den zweiten Blick
Und nun, über ein Jahr später, was sagt die gleiche Mitarbeiterin? Sie ist immer noch bei Genentech und voll des Lobes: «Roche hat bisher einen guten Job gemacht und sich bemüht, all das Spezielle an Genentech zu erhalten.» Ihre Befürchtungen seien unbegründet gewesen, sagt sie. Auch das Gespräch mit andern Mitarbeitern zeigt, dass aus der Zwangsheirat eine Liebe auf den zweiten Blick werden könnte. Die stolze amerikanische Braut ist daran, sich mit Roche anzufreunden.
Was das Vertrauen in den Bräutigam bestimmt stärkt: Die Marke Roche ist ganz vom amerikanischen Medikamentenmarkt verschwunden. Die Produkte kommen jetzt allesamt unter der Marke Genentech in den Handel. «Entscheide wie dieser zeigen, wie sorgfältig die Übernahme durchgeführt wurde», sagt Clark der «Handelszeitung». Roche habe bewiesen, das grosse Ganze zu sehen und rational zu entscheiden, nicht etwa emotional. Der Entscheid macht Sinn: Genentech ist in den USA viel bekannter als Roche.
Die Zufriedenheit der Mitarbeiter war 2009 zwar nicht mehr ganz so hoch wie in früheren Jahren, «aber verglichen mit andern Biotech-Unternehmen immer noch hervorragend», sagt Clark. Auch die Fluktuationsrate sei mit rund sechs Prozent im Rahmen geblieben.
Er will für immer bleiben
Der befürchtete Exodus von Spitzenkräften hat bisher nicht stattgefunden. Ein von Roche zugesagter Treuebonus, dessen zweite Hälfte im März 2010 ausbezahlt wurde, und die Rezession haben bestimmt geholfen. Aber allein dadurch lasse sich die Loyalität nicht erklären, ist Clark überzeugt. Da stecke mehr dahinter, eben das ausgezeichnete Arbeitsumfeld und das Wissen, etwas Gutes zu tun.
Das ist es auch, was Clark selber bei Genentech hält:«Ich glaube, wir bleiben für immer», sagt der gebürtige Engländer. Er lebt mit seiner Frau und drei Töchtern seit acht Jahren hier. Kalifornien ist seine grosse Liebe geworden. Ob es auch zwischen Roche und Genentech die grosse Liebe wird, ist offen. Denn «im Gegensatz zu früher fallen nun einige Entscheide in Basel», so Clark. «Damit müssen sich die Leute halt nun abfinden.»
Auch kulturell unterscheiden sich die Unternehmen gewaltig. Das beginnt bei Äusserlichkeiten wie der Kleidung. Ian Clark trägt selten etwas anderes als Jeans. Und niemals eine Krawatte. «Wir möchten nicht, dass man die Leute anhand der Kleidung unterscheidet. Besonders in Nordkalifornien und im Hightech-Umfeld werden die Menschen nach ihrer Leistung beurteilt und nicht nach dem, was sie anziehen.»
Auf die Frage nach seinem Geburtstag kommt Clark ins Stocken. Dann beginnt er zu lachen und nennt den Tag. Es ist exakt das Datum von heute im Jahr 1960: Er feiert tatsächlich seinen 50. Geburtstag. Das ist der Moment, sich zu verabschieden.
Zurück in der Schweiz. Am Flughafen Zürich wartet ein junger Mann aus Basel. Er hält eine Tafel mit der Aufschrift «Roche - Genentech» in die Höhe und mustert die ankommenden Fluggäste. Es ist 15.30 Uhr. Der Swiss-Flug LX 39 aus San Francisco ist soeben gelandet - pünktlich.