Der verheerendste Ölpreiseinbruch seit einer Generation erweist sich für Schiffseigentümer als milliardenschwerer Glücksfall. Nachdem die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) im Kampf um Marktanteile ihre Förderquote aufgegeben hat, sind Riesentanker mit einer Tragfähigkeit von bis zu zwei Millionen Barrel begehrt, um Rohöl aus dem Nahen Osten nach Asien und Nordamerika zu transportieren.

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Während die Ölpreise im vergangenen Jahr um etwa 35 Prozent fielen, schoss der Durchschnittsertrag dieser Schiffe auf 67'366 Dollar am Tag und erreichte nach Angaben des weltgrössten Schiffsmaklers Clarkson damit das höchste Niveau seit mindestens 2009.

Strategieänderung wenig wahrscheinlich

«Die Sterne stehen derzeit gut für uns», sagt Nikolas Tsakos, Chef von Tsakos Energy Navigation, in einem Gespräch im New Yorker Büro von Bloomberg. Der niedrige Ölpreis wird seiner Einschätzung nach in diesem Jahr wahrscheinlich die Nachfrage und das Frachtaufkommen in die Höhe treiben.

Tankeranalysten rechnen mit weiterhin hohen Tagesraten und verweisen auf dieselben Gründe wie pessimistische Ölprognostiker: Nichts deutet darauf hin, dass die OPEC ihre Marktstrategie über Bord werfen will; der Iran will seine Ölexporte nach der Aufhebung der Sanktionen hochfahren; und die Vereinigten Staaten haben jüngst die seit vier Jahrzehnten bestehende Obergrenze für Ölexporte aufheben. 

Profiteure der vollen Lager

Die Rohölvorräte an Land befinden sich bereits auf Rekordständen. Das bedeute, dass letztlich mehr Barrel auf Schiffen gelagert werden müssen, was die Gewinne steigert, erwartet Tsakos.

Die grössten Betreiber europäischer Tankschiff-Flotten sind Euronav aus dem belgischen Antwerpen, DHT Holdings, Frontline Management sowie Tsakos Energy aus Griechenland. Sie alle verzeichneten im vergangenen Jahr Kursgewinne, während die meisten Energieproduzenten Federn liessen. «Wir profitieren von dem für den Energiesektor herausfordernden Umfeld», erklärt Svein Moxnes Harfjeld, Co-Chef von DHT, in einer E-Mail. «Wir erwarten, dass 2016 ein einträgliches Jahr wird.»

Hohe Gewinnsteigerung für Transportfirmen

Im vergangenen Jahr dürften sich die Gewinne der Seetransportfirmen mehr als verdoppelt haben, zeigen von Bloomberg zusammengestellte Analystenschätzungen. Die hohen Tagesraten von 2015 würden zu einem zusätzlichen Umsatzerlös von mehr als 5 Milliarden Dollar führen, wenn die Sätze auf die gesamte Flotte angewandt würden.

Prognosen zufolge werden die Tagesraten 2016 zwar fallen, die Tankerschiffe dürften aber noch immer 46'400 Dollar am Tag einbringen, ergab der Median einer Umfrage von Bloomberg unter sechs Analysten. Clarkson zufolge wäre das aber noch immer das zweitbeste Jahr seit 2009.

Zusammenlaufen von positiven Faktoren

Neben hohen Frachtraten gibt es noch andere stützende Faktoren: Die niedrigen Ölpreise kurbeln den weltweiten Ölverbrauch an, der nach Angaben der Internationalen Energieagentur 2015 um 1,8 Millionen Barrel am Tag zulegte. Etwa 40 Prozent des weltweiten Rohöls werden verschifft. Zudem sorgen die niedrigeren Ölpreise für sinkende Treibstoffkosten, was die Gewinnmargen der Schiffe steigert.

«Ein Szenario, in dem der Rohölpreis das Jahr 2016 hindurch gedämpft bleibt, könnte zu einer deutlichen Steigerung der Tankergewinne führen, die im Ausmass mit den Jahren 2007 und 2008 vergleichbar ist», schrieb Tim Smith, leitender Analyst von Maritime Strategies International, in einem Bericht.

Auf Kosten des Ölmarkts

Anfang Oktober übertraf der Ertrag eines Supertankers der Grössenklasse VLCC erstmals seit 2008 die Marke von 100'000 Dollar am Tag, wie Daten von Bloomberg zeigen. Diese Supertanker sind durchschnittlich etwa 332 Meter lang, zeigen Daten von IHS.

Die Reederei Frontline erwartet auch künftig «feste Raten, gestützt von einem hohen Ölangebot», erklärte Unternehmenschef Robert Hvide Macleod in einer E-Mail auf Nachfrage von Bloomberg. Euronav lehnte eine Stellungnahme ab.

«Genau das, was sich negativ auf die Ölmärkte auswirkt, ist für den Tankermarkt positiv gewesen», sagt Analyst George Los von Charles R. Weber Co. in New York. «Wir haben einen vom Angebot getriebenen Schub am Tankermarkt erlebt, der auf Kosten des Ölmarkts ging.»

(bloomberg/jfr)