Vom Stamm weggeschleudert, durch Ast erschlagen, unter Wurzelstock begraben: Solche Schlagzeilen häufen sich immer im Winterhalbjahr, wenn in den Wäldern Holzfällsaison ist. Beim jüngsten Forstunfall in Marbach LU wurde diesen Monat ein 55-Jähriger von einer Seilwinde eingeklemmt. Eine kurze Unaufmerksamkeit war es nur, die ihn das Leben kostete.

Laut Suva ereignen sich bei der Arbeit im Wald auf tausend Beschäftigte mehr als 300 Unfälle pro Jahr. Die Rettungsflugwacht fliegt in den Wintermonaten wöchentlich mehrere Einsätze, um Schwerverletzte aus dem Holz zu bergen. Die langjährige Statistik sagt: Von 25 Forstwarten verunfallt im Laufe seines Berufslebens einer tödlich, ein weiterer landet im Rollstuhl. Oder andersherum: Es gehört viel Glück dazu, mehrere Jahre im Wald ohne Blessuren zu überstehen.

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Othmar Wettmann, Bereichsleiter Holz bei der Suva, erklärt: «Die Forstarbeit an sich ist mit vielen Risiken behaftet, denn sie findet im Freien, bei jedem Wetter und oft in unwegsamem Gelände statt.» Unzählige Konstellationen könnten zu einem Unfall führen: Ausscherende und rollende Stämme, fallende Äste, zurückschnellende Wurzelstöcke. Ein weiteres Risiko bildet die Mechanisierung, denn Maschinen verzeihen keine Fehler. Es passieren Unfälle mit Motorsägen und Traktoren, mit Seilwinden und Seilkranen.

Stress und Zeitdruck

Natur und Maschinen sind jedoch nur ein Grund. Vor allem auch der knallharte Preisdruck führt in der Branche zu mehr Unfällen. Denn die Einhaltung von Sicherheitsregeln ist zeitraubend und damit ein Kostenfaktor. Zudem werden die Forstreviere immer grösser. Die mit der Betreuung überforderten Förster übersehen darin schnell einmal gefährliche Situationen. «Bereits 35-jährige Forstwarte fragen sich ob des Stresses, ob sie mit der Motorsäge an der Front weitermachen sollen», so François Fahrni von der Försterschule Lyss. Überdurchschnittlich viele steigen nach wenigen Jahren Waldarbeit aus.

«Es ist eine stete Gratwanderung, mindestens kostendeckend zu wirtschaften und dabei ohne Unfälle über die Runden zu kommen», berichtet Felix Lüscher. Er leitet den 9000 Hektaren umfassenden Betrieb der Korporation Schwyz. Viel Geld lässt sich auch im grössten privaten Forst der Schweiz nicht verdienen. Die Bewirtschaftung der zumeist steilen Gebirgswälder ist aufwendig, die Holzpreise decken gerade den Aufwand. Dies obwohl sie knapp wieder jenes Niveau erreicht haben, das sie vor rund zehn Jahren, vor dem Sturm Lothar, schon einmal hatten.

Und nun verschärft der schwache Euro den Preisdruck nochmals. Fest steht, dass die Schweizer Holzwirtschaft in diesem Jahr weniger exportieren kann. Dafür wird umso mehr günstiges ausländisches Holz importiert. «Unbestritten ist, dass der ökonomische Druck zugenommen hat», sagt Ernst Steiner, Leiter des Forstbetriebs der Region Zofingen.

Die Auswertung von Suva-Protokollen zeigt denn auch, dass bei den meisten Unfällen Stress und Zeitdruck eine zentrale Rolle spielen. In den Wäldern wird zu lang und häufig im Akkord gearbeitet. In 20 Prozent der Fälle werden - so das Ergebnis von 500 Kontrollen im letzten Jahr - grundlegende Sicherheitsregeln missachtet.

Eine neue Suva-Kampagne zielt nun darauf, die Zahl der Forstunfälle in den nächsten Jahren wenigstens um 25 Prozent zu senken. Zudem sollen Lernende künftig nicht häufiger verunfallen als ihre älteren Kollegen. «Die Prävention bewegt sich schon lange auf einem sehr hohen Niveau», betont jedoch Forstexperte Fahrni. Es existieren Sicherheitskonzepte, Checklisten und Verhaltensregeln. Doch was auf dem Papier akribisch aufgelistet ist, wird in der Praxis oft missachtet.

Dabei gäbe es durchaus erfolgreiche Rezepte. Noch 2001 zählte die Korporation Schwyz zu jenen Forstbetrieben, die wegen ihrer Unfallhäufigkeit der Suva die höchsten Prämien zahlen mussten. «Die Prämien konnten wir in den letzten zehn Jahren halbieren», verrät Lüscher. Was er bei der Versicherung einsparen konnte, schüttete er als Boni an seine 30 Mitarbeiter aus. Der finanzielle Anreiz bewirkt, dass die Sicherheitsregeln besser eingehalten werden. Doch die Arbeit im Forst bleibe heimtückisch, warnt Lüscher. «Routine kann gefährlich werden.»

Holzen um jeden Preis

Abgesehen vom menschlichen Leid geht auch volkswirtschaftlich die Rechnung längst nicht mehr auf. Die Suva zahlte 2009 rund 14 Millionen Franken Versicherungsleistungen an die Forstbetriebe aus. Doch damit war nur ein Teil des unfallbedingten Schadens gedeckt. Wettmann schätzt die gesamte Summe auf 50 bis 60 Millionen. Das entspricht rund 15 Prozent der in der Branche ausbezahlten Lohnsumme. Insgesamt verunfallten 2009 von 6034 Forstarbeitern 1836 während der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit.

Nicht mitgezählt sind in dieser Bilanz die Forstunfälle von Bauern, die ihren eigenen Wald bewirtschaften. Rund ein Viertel der Holzernte von 5,2 Millionen Kubikmetern stammt aus solchem privaten Holzschlag. Die Unfallquote dürfte in diesem Bereich, weil hier häufig Arbeitskräfte ohne professionelle Ausbildung im Einsatz sind, noch deutlich höher liegen.

Der Zusammenhang zwischen Leistungsdruck und Unfallhäufigkeit ist beim Blick auf die langjährige Statistik offensichtlich. Im Jahre 1990 - nach den Aufräumen des Vivian-Sturms - verunfallten 440 von 1000 Vollbeschäftigten im Wald. Diese traurige Rekordmarke konnte in den Folgejahren sukzessive gesenkt werden, auf 261 Unfälle im Jahre 2003.

Im Jahr 2004 schnellten die Unfallzahlen jedoch wieder auf 311 pro Tausend Beschäftigte hoch. Dies war kein Zufall: Die von Bund und Kantonen zur Beseitigung des Lothar-Sturms gesprochenen Beiträge liefen 2003 aus, und im Rahmen des neuen Finanzausgleichs wurden Subventionen gestrichen. Die Forstbetriebe mussten den Gürtel enger schnallen und bauten 2004 auf einen Schlag einen Fünftel ihres Personals ab.

Seither wird mit deutlich weniger Kräften immer mehr Holz geschlagen. Und der Tod holzt weiter mit.