Wer mit offenen Augen durch die Zürcher Bahnhofstrasse schlendert, stellt fest: So modisch und stilvoll gekleidet wie heute waren die Herren noch selten. Ob im gut geschnittenen Anzug mit adrettem Kurzmantel darüber oder im saloppen Blouson zu legeren Jeans – der heutige Mann weiss, was Mode ist.

Dieser Eindruck will nicht zur aktuellen Katerstimmung in der traditionellen Herrenbekleidungsbranche passen. Ausgerechnet an der Bahnhofstrasse und im angrenzenden Gebiet, wo die potenzielle Kundschaft gerne und oft flaniert, werfen immer mehr alteingesessene Geschäfte das Handtuch. Und diejenigen, die noch da sind, beklagen Umsatzeinbrüche. Der späte Herbsteinbruch und der starke Franken haben die Branche gebeutelt: Der Textildetaillistenverband Swiss Fashion Stores errechnete für den Monat September ein Minus von 18,2 Prozent.

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Tradition allein genügt nicht. Das traditionsreiche Herrenmodegeschäft Fein-Kaller an der unteren Bahnhofstrasse galt lange als die Adresse für gediegene Männerkleider. Hier wurden Männer diskret und geduldig beraten, bis sie chic ausgestattet waren. Tempi passati. Ende Juli dieses Jahres schloss das bekannte Geschäft seine Türen. Die Filialen in Basel, Luzern, Lugano und Locarno waren bereits einen Monat zuvor aufgelöst worden. CEO Thomas Fein, der das Unternehmen in vierter Generation führte, begründete die Schliessungen mit fehlendem Nachwuchs und mit der «Schwierigkeit, solch kleinere Geschäfte mit unterschiedlichen Marken im Angebot zu betreiben». Zudem habe sich der Standort an der unteren Bahnhofstrasse zunehmend zu einem Nachteil entwickelt: In den letzten Jahren verdrängten günstige Anbieter wie H&M, Vero Moda oder Mango in der Nachbarschaft die Traditionsläden. Im Frühjahr 2012 soll Zara Homes in die nun leer stehenden Räume an der Bahnhofstrasse 84 einziehen.

Nur ein paar Schritte weiter locken die Schaufenster des Flagship Store der Boutiquenkette Bernie’s mit edlen Kreationen bekannter Modeschöpfer. Im 350 Quadratmeter grossen Geschäft, dessen Miete jährlich 1,8 Millionen Franken kostet, werden muntere Betriebsamkeit und gesundes Selbstbewusstsein demonstriert. Doch der Eindruck täuscht: Schon seit Monaten hängt das Damoklesschwert über dem Unternehmen, das seit der Eröffnung seines ersten Geschäfts 1961 zu den festen Grössen der Zürcher Modeszene gehört. Vor sechs Jahren kaufte der italienische Modekonzern Mariella Burani (unter anderem René Lezard, Coccinelle, Mandarina Duck) die Fashion-Kette. Letztes Jahr ging das Unternehmen mit einer halben Milliarde Euro Schulden in Konkurs. Bernie’s wurde an die österreichische Firma Don Gil Textilhandel überschrieben, über die letzte Woche in Wien ebenfalls der Konkurs eröffnet wurde. Im Zürcher Headquarter ist man dennoch zuversichtlich: «Es sieht gut aus für Bernie’s. Wir sind mitten in intensiven Verhandlungen mit Interessenten für eine Übernahme, können aber derzeit keine genaueren Informationen machen», sagt Gertrud Arpagaus von Bernie’s.

Der Dritte im Bunde der Alteingesessenen ist die Kleiderboutique Dschingis. Sie wird im Frühjahr 2012 nach 44 Jahren aus dem Clipper-Haus im Zürcher Kreis 4 ins Engequartier ziehen. Besitzer Heinrich Grau (74) kann sich den stetig steigenden Mietzins im Stadtteil um den Hauptbahnhof nicht mehr leisten. Branchenkenner lästern, der Mietzins sei nicht der einzige Grund: Der Mann, der Legenden wie Roy Black oder Pepe Lienhard eingekleidet hat, sei mit seinem Angebot in der Vergangenheit stehen geblieben.

Mit der Zeit gehen. In der Schweiz wurden im Jahr 2010 für Textilien und Schuhe rund elf Milliarden Franken ausgegeben, ein Drittel davon für Männermode (siehe «Damenwahl» unter 'Downloads'). Für dieses Jahr werden rückläufige Zahlen prognostiziert, vor allem bei den Männern.

«Die aktuelle Wirtschaftslage und das Wetter tragen zur schwierigen Lage bei. Diesen Faktoren alles zuzuschieben, wäre falsch», sagt Urs Leuenberger, Unternehmensleiter von Herren Globus. Die Zeiten haben sich geändert. Bis vor ein paar Jahren war der Durchschnittsmann kaum an Mode interessiert – 90 Prozent der Kunden pflegten einen pragmatischen Zugang zum Kleiderkaufen und besuchten mit fixen Vorstellungen – «zwei paar graue Hosen, ein Pullover, sieben Hemden» – einmal im Jahr stets das gleiche Geschäft. Damals genügte es, ein paar Puppen ins Schaufenster zu stellen und die Regale zu füllen. Dieses Konzept hat ausgedient. Der Anteil dieser «pragmatischen Kunden» ist in den letzten Jahren von 90 auf 50 Prozent geschrumpft. Die andere Hälfte ist nicht nur modisch aufgeklärt, sondern sucht das Erlebnis, geht mit diffusen Vorstellungen ins Geschäft, will verführt und inspiriert werden.

Das veränderte Kundenverhalten verlangt nach neuen Konzepten. Beispiele dieser neuen Modewelt findet man in den Herren-Globus-Filialen oder in den kürzlich umgebauten Schild-Geschäften. Hier erwachen die Kleider zum Leben: Ein Hemd ist nicht nur ein Hemd, sondern eine Geschichte, ein Teil des persönlichen Lifestyles und des Selbstbewusstseins – und wird zusammen mit den passenden Accessoires, von den Schuhen über den Gürtel bis zum Parfum, angepriesen.

Diese neue Art der Präsentation benötigt viel Platz – Platz, der kleinen Geschäften fehlt. «Wer heute erfolgreich sein will, muss eine gewisse Fläche zur Verfügung haben», sagt Thomas Herbert, CEO der Firma Schild. Das traditionelle Unternehmen hat in den letzten Jahren seine Geschäfte umstrukturiert und setzt neu neben dem herkömmlichen klassischen Angebot auf den Casual Look. «Früher trugen die Männer in ihrer Freizeit meistens die abgenutzten Kleider aus, heute will man in den Mussestunden etwas darstellen. Marken wie Polo Ralph Lauren, Tommy Hilfiger oder Lacoste haben den Markt tüchtig aufgemischt und uns neue Absatzmärkte beschert», freut sich Herbert.

Ein weiterer wichtiger Faktor für den Erfolg orten sowohl Urs Leuenberger wie Thomas Herbert bei den Mehrwerten. Darunter verstehen sie ein gut geschultes Verkaufspersonal sowie besondere Dienstleistungen wie die Möglichkeit, Anzüge zu realistischen Preisen auf Mass schneidern zu lassen, oder Angebote wie Personal Shopping oder Stilberatungen.

Mit solchen Massnahmen will man Kunden ans eigene Geschäft binden und gegen die immer stärkere Konkurrenz der internationalen Brands kämpfen, die an teuren Lagen eröffnen. Dazu gehört der Konzern Hugo Boss, der Anfang Dezember, nach Basel und Zürich, in Genf das dritte markeneigene Geschäft eröffnet. Dies weniger, um den Umsatz zu steigern, sondern vielmehr zur Markenstärkung.

Dieser Trend und der Vormarsch der vertikalisierten Ketten wie Zara sind die grösste Konkurrenz für den traditionellen Herrenausstatter. Kampf um jeden Kunden ist angesagt. Denn das Überangebot in den Grossstädten ist riesig

Autorin: Monique Rijks