Spezieller Hochbetrieb herrscht in den Tankstellenshops zwar an Feiertagen, doch kauflustige Kunden gibt es eigentlich immer. In der Nähe der Zapfsäulen werden nicht bloss Noteinkäufe getätigt, um sich eiligst noch mit Dosenbier und Salzstengel für die Fernsehcouch einzudecken. «Immer mehr Leute kaufen hier wie im normalen Laden ein», sagt BP-Sprecherin Isabelle Thommen.

Laut einer Umfrage der Erdölvereinigung (EV) haben zwei Drittel aller Schweizer mindestens einmal schon an einer Tankstelle gepostet. In den meisten Fällen handelt es sich zwar um einen Gelegenheits- oder Noteinkauf. Aber jeder zehnte Schweizer tätigt heute in Tankstellenshops regelmässig grössere Einkäufe.

*Bis zu 2000 Artikel im Angebort*

Wohin die Entwicklung führt, demonstriert BP seit Ende September am Flughafen Zürich. Dort wurde eine erste Station nach einem futuristischen Konzept in Betrieb genommen. Der «bp connect-Shop» in Kloten ist rund um die Uhr offen. Er bietet nebst einem umfangreichen Sortiment an Lebensmitteln und Artikeln des täglichen Bedarfs eine Imbissecke mit kalten und warmen Mahlzeiten, einen Internet-Terminal sowie eine Stromtankstelle für Elektrofahrzeuge, die über Solarzellen auf dem Dach gespeist wird. Das Design wirkt wie die Kulisse für einen Science-Fiction-Film. BP will künftig alle neuen Tankstellen nach diesem Connect-Shop-Konzept ausstatten.

Als Trendsetter ist auch Coop mit seinen 85 Pronto-Läden an den OK-Tankstellen mit von der Partie. Hier finden Kunden rund 2000 Artikel ? von Kaugummi und Zigaretten bis zu ofenfrischem Brot, Fleisch- und Wurstwaren. In einem Pronto sind die Lebensmittel sogar so günstig wie in einem Einkaufscenter, was doch eher eine Ausnahme ist. Tendenziell liegt nämlich das Preisniveau in den Tankstellenshops über demjenigen des normalen Detailhandels.

Nebst den Grossverteilern Coop und Migros (mit Migrol) kämpfen heute sämtliche grossen Mineralölgesellschaften um den stetig wachsenden Kuchen. Ein Drittel der knapp 3600 Tankstellen in der Schweiz verfügt heute über Shops, von denen mehr als die Hälfte bereits grösser als 50 m2 sind. Vor allem die Zahl der grösseren Shops nahm innerhalb von drei Jahren von 481 auf 601 kräftig zu. Von Autozubehör und Kioskartikeln bis zu beinahe sämtlichen Produkten des täglichen Bedarfs ist hier alles zu finden. Eine kleine Kaffeebar mit diversen Sandwiches gehört fast überall zum Standard.

Die Tankstellenshops verzeichneten in den letzten Jahren jeweils ein Umsatzplus von 4 bis 6%. Sie lagen damit deutlich vor dem normalen Detailhandel. Die Betreiber erwarten trotz einer geringeren Wachstumsrate in diesem Jahr noch längst keine Sättigung. Alle investieren jedenfalls munter weiter. «Bis ins Jahr 2005 rechnen wir nochmals mit einer Verdoppelung», sagt Walter Eberle, Chef der Coop Mineralöl AG, die innert fünf Jahren den Umsatz mit den Tankstellenshops von 26 auf 153 Mio Fr. hochgeschraubt hat und jetzt jährlich weitere sieben bis acht Tankstellen-Prontos eröffnen will. Die Migrol und die Mineralölgesellschaften haben ähnliche Ausbaupläne. Insgesamt dürfte das Marktvolumen bei den Tankstellenshops 800 Mio Fr. betragen. Das ist mehr als ein Viertel des Treibstoffumsatzes (exklusive Steuern) von 3 Mrd Fr. Spätestens 2005 soll mit dem Verkauf in den Shops die Milliardengrenze geknackt werden.

*Shops generieren die Hälfte des Umsatzes*

Für manche Betreiber nimmt das ehemalige Zusatzgeschäft denselben Stellenwert ein wie der eigentliche Benzinverkauf. BP etwa generiert rund 50% des Umsatzes über die Shops. An guten Lagen kommen rund die Hälfte der Kunden einzig des Shoppings wegen.

Erfahrungen aus Deutschland, wo sich Tankstellenshops schon länger etabliert haben, bestätigen, dass es sich um ein klassisches Win-Win-Geschäft handelt: Überall wo die Zapfsäulen mit grossen und lukrativen Convenience-Shops bestückt sind, wird auch mehr Benzin getankt. Das bestätigen inzwischen auch die Schweizer Zahlen: Der Benzinabsatz liegt bei Tankstellen mit einem grösseren Shop bei 3,4 Mio l, was mehr als doppelt so viel ist wie der Durchschnitt sämtlicher Tankstellentypen, der bei 1,38 Mio l liegt. Der typische Convenience-Kunde ist der jüngere Autopendler. Er hasst Einschränkungen, möchte seine Freizeit nicht für lästige Pflichten opfern, weshalb er am liebsten alles auf seinem Arbeits- oder Heimweg erledigt, ohne dabei nach einem Parkplatz suchen und bezahlen zu müssen. «Zur Zielgruppe gehören aber nicht nur Automobilisten; je nach Lage bedienen wir auch Fussgänger aus angrenzenden Quartieren, die flexible Öffnungszeiten zu schätzen wissen», betont Shell-Sprecherin Claudia Hedrys.

Der Boom der Tankstellenshops hat seinen Grund nicht nur im Bedürfnis nach Convenience, er wird auch begünstigt durch die Liberalisierung. Die Rahmenbedingungen bestimmen das eidgenössische Arbeitsgesetz, die Ladenöffnungs- und Gastronomiegesetze, die kantonal und manchmal sogar kommunal geregelt sind. Die Situation bleibt im Detail kompliziert, und es gibt immer noch Restriktionen bezüglich Öffnungszeiten, Sortimente und Verkaufsflächen. Von Kanton zu Kanton, ja von Gemeinde zu Gemeinde gilt es, unterschiedliche Verordnungen zu beachten. «Föderalismus pur», kommentiert Rolf Hartl, Geschäftsführer der Erdölvereinigung.

Er beobachtet zwei Tendenzen: «Mit dem Argument der gleich langen Spiesse für den gesamten Detailhandel liberalisieren gewisse Kantone (ZH, TG, SH), andere (FR, GE, LU, UR) schränken die Tankstellenshops wieder ein.

Am verbreitetsten sind Öffnungszeiten von 6 bis 22 Uhr. 24-Stunden-Shops finden sich vor allem an den Autobahnen, wo die Bundesgesetze solche Ausnahmen erlauben. Dabei ist der Sortimentsverkauf in den Nachtstunden zumeist auf Kioskartikel und Autozubehör sowie auf Reiseverpflegung eingeschränkt.

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