Kurz vor der Automesse in Peking erfüllt China den westlichen Autobauern einen lange gehegten Wunsch: Die Regierung kündigte in dieser Woche an, dass der Zwang zur Ehe mit einer chinesischen Partnerfirma bis 2022 abgeschafft wird. Auch Importzölle sollen «deutlich» sinken. Unter dem Druck des Handelskonflikts mit den USA werden also die Karten für VW, Daimler & Co. auf ihrem wichtigsten Markt China neu gemischt.
Übernahmen, neue Fabriken, mehr Importe - mitten im Umbruch hin zu elektrischen, autonom fahrenden und vernetzten Autos öffnen sich neue Türen. «Das bringt mehr Freiheit auf dem Markt», sagt Max Zenglein, Industrieexperte vom Mercator Institute for China Studies (Merics) in Berlin. Er warnt zugleich vor Euphorie: «Trotz der Öffnung zieht die Kommunistische Partei die Zügel in der Wirtschaft stärker an.»
Auf der Messe, die am Mittwoch ihre Tore öffnet, zeigen die deutschen Hersteller, was in China gut geht: vor allem SUVs sowie Luxus- und Sportwagen. Die Spanne reicht vom neu aufgelegten Mini aus dem Hause BMW bis zur Studie eines Ultra-Luxus-Wagens von Daimler: Mercedes gibt einen Vorgeschmack auf den Edelwagen Maybach der Zukunft, passend dazu entwarfen die Designer eine Möbelkollektion. Elektroautos dagegen sind im Sortiment der deutschen Autobauer noch Mangelware - trotz staatlicher Anreize.
Neu China-Strategie erforderlich
Die jahrzehntelang gewachsenen Strukturen auf dem weltgrössten Automarkt werden sich zwar nicht über Nacht ändern. Doch nun ist für die ausländischen Autobauer die Zeit gekommen, ihre China-Strategie grundlegend zu überdenken. Bisher waren sie gezwungen, zusammen mit chinesischen Herstellern in zumeist 50:50-geteilten Gemeinschaftsunternehmen zu produzieren, denn so wollte China die eigene Industrie päppeln.
Um den Importzoll von 25 Prozent zu vermeiden, trieben die Ausländer den Ausbau der Werke vor Ort voran. So führte der VW-Konzern, der 2017 mit 4,18 Millionen Fahrzeugen 40 Prozent seines Absatzes in China erzielte, nur gut vier Prozent ein. Bei BMW war es etwa jeder dritte der knapp 600'000 verkauften Pkw - hier könnten niedrigere Zölle Geschäft und Gewinn einen Schub geben.
«Die Pferde nicht scheu machen»
Das Ende des Joint-Venture-Zwanges bezeichnet Stefan Bratzel, Chef des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach, als extreme Änderung. Zum einen könnten die Autobauer durch höhere Anteile an den Unternehmen auch höhere Gewinne einstreichen. Zum anderen könnten sie mit Kontrollmehrheiten die Produktion in Eigenregie ausbauen oder alleine neue Fabriken hochziehen.
Dass VW, Daimler und BMW unisono betonen, mit den bewährten Partnern zufrieden zu sein und nichts ändern zu wollen, wertet Bratzel als taktisches Manöver. «Sie wollen die Pferde nicht scheu machen und das gut laufende Geschäft jetzt nicht gefährden. Aber im Hintergrund werden sie prüfen, was sie alleine machen könnten.»
Jochen Siebert von der Autounternehmensberatung JSC in Shanghai rechnet damit, dass China für die Autobauer künftig als Produktionszentrum für Asien insgesamt interessant wird und nicht länger nur ausschliesslich für das Inland gefertigt wird. «Wachsende Kapazität könnte genutzt werden, um etwa Elektroautos für den Weltmarkt zu produzieren oder die Asean-Länder zu bedienen», sagt Siebert. Indonesien oder Vietnam würden als Absatzmärkte interessant. Die Perspektive werde um so wichtiger, da das Wachstum des riesigen Automarktes China allmählich nachlasse und nach Einschätzung von JSC Mitte des nächsten Jahrzehnts mit 26 Millionen Pkw die Kammlinie erreiche.
Trotz der neuen Freiheit – die Partei ist überall
Ganz frei schalten und walten könnten die westlichen Autobauer aber auch ohne die Gemeinschaftsunternehmen nicht, erklärt Merics-Experte Zenglein. Denn die Unternehmen blieben der Kontrolle der Staatspartei unterworfen. Seit Präsident Präsident Xi Jinping im vergangenen Jahr das Ziel ausgerufen hat, die Rolle der Partei in allen Bereichen der Gesellschaft zu stärken, berichten Unternehmen über Druck, die Gründung von Parteizellen selbst zu fördern. «Man müsste zumindest Entscheidungen weiter abstimmen», sagt Zenglein.
Das sei alles halb so wild, erzählt dagegen ein Mitarbeiter eines deutschen Autobauers. Es sei vergleichbar mit den Betriebsräten in Deutschland. Im Übrigen ermögliche das Verbandeln mit den chinesischen Unternehmen vor Regulierungsentscheidungen wie beim Klimaschutz einen kurzen Draht zur Regierung. «Es ist wie ein Lobby-System», sagt er. Parteimitglieder klopften beim Staat an, wenn sie ihre eigene Dividenden in Gefahr sähen.
Die Regierung in Peking, da sind sich die Experten einig, hat sich mit dem angekündigten Abbau von Handels- und Eigentumsschranken dem Druck der Amerikaner gebeugt. US-Präsident Donald Trump überzog den wichtigen Handelspartner und Konkurrenten geradezu mit Beschwerden über Handelsüberschüsse, Zölle und Wissensklau. Ausgefochten ist der Streit noch lange nicht, die Welt schaut nervös zu. Die Europäer könnten am Ende aber sogar profitieren, glaubt Berater Siebert. «Auch wenn wir Trump nicht lieben, wir müssen ihm dankbar sein, dass er die Themen anstösst - es geht auch um unsere Zukunft.»
(reuters/ccr)