Mitte Juni ging es bei der Swissair wieder einmal drunter und drüber. Kritische Zeitungsberichte verwiesen auf die bedrohlich knappe Eigenkapitaldecke – der Aktienkurs brach um über zwanzig Prozent ein.
Keine Freude dürften diese Berichte bei Joe Ackermann (53, Bild), dem designierten Chef der Deutschen Bank, bewirkt haben. Der Bankgigant aus Frankfurt gehört, zusammen mit der Credit Suisse First Boston und der US-Bank Citibank, zum Konsortium, das der Swissair finanziell aus der Krise helfen soll. Über eine Milliarde Franken an Beistandskrediten hat das Bankentrio der Schweizer Airline im April zugesagt. Es sind – so zeigt sich jetzt – höchst risikoreich investierte Gelder.
Viele Finanzspezialisten wunderten sich ohnehin, warum die Deutsche Bank bei der Krisen-Airline eingestiegen war. Schliesslich hatte sogar die Schweizer Grossbank UBS nicht mitmachen wollen. Innerhalb der Swissair wurde vermutet, der Grund für den Beistandskredit liege in der Solidarität von Ex-SKA-Chef Ackermann, der von 1995 bis 1999 selber im Verwaltungsrat der Swissair sass und sich mitverantwortlich fühle fürs zukünftige Schicksal der Airline.
Doch der Grund ist ein anderer: Ackermann wittert langfristige Geschäftschancen. Er will sein Institut zum strategischen Partner der Swissair machen, zu einer Art Hausbank. Und nicht nur das: Die Swissair soll nur das erste einer ganzen Reihe von Schweizer Grossunternehmen sein, bei denen sich die Deutschen als Partner andienen, um so die heimischen Bankkonkurrenten auszuhebeln.
Das Mittel, das sich Ackermann ausgesucht hat, um die Schweizer Trutzburgen zu erobern, ist simpel und risikoreich zugleich: Kredite. Als erfahrener Banker weiss Ackermann, wie schnell man mit einer Kreditvergabe Vertrauen bei einem Unternehmen schaffen kann. Wenn man als Bank einer Firma im Bedarfsfall mit Geld unter die Arme greift, vor allem dann, wenn eine Notlage vorliegt und andere Banken zögern, kann man leicht die Basis für eine langjährige intensive Kundenbeziehung legen. Eine Beziehung, die später für die Bank wieder zu einem Geldsegen werden kann. Ackermann selber nennt dies «strategische Kreditvergabe».
Die Swissair etwa wird, wenn die Sanierung klappt, in Zukunft wohl Spin-offs von Firmenteilen machen, einzelne Geschäftsbereiche wie etwa die Flugzeugverpflegung gesondert an die Börse bringen, Flugzeugfinanzierungen vornehmen. All dies sind potenziell lukrative Geschäfte für einen Bankpartner. «Wir werden in nennenswertem Umfang nur noch dort Kredite vergeben, wo wir ein höherwertiges Investmentbank-Geschäft erwarten können», ist das Kredo von Ackermann. Immer mehr Unternehmen seien dazu übergegangen, ihre Beziehungen zu Kreditgebern und Investmentbankern miteinander zu koppeln, hat Ackermann beobachtet. «Nur derjenige bekommt den gebührenträchtigen M&A-Deal, der auch bereit ist, dessen Finanzierung zu bewerkstelligen», sagt Ackermann. Der Kredit wird damit quasi zu einer Vorschussinvestition für spätere Aufträge. Dafür ist man schon mal zu einem höheren Risiko wie jetzt bei der Swissair bereit.
Ackermanns strategische Kreditvergabe kommt schon fast einer kleineren Revolution im Banking gleich. Es stellt die Hackordnung bei den Grossbanken – die «Chrampfer» in der Kreditabteilung wurden von den smarten Investmentbankern oft belächelt – auf den Kopf. Plötzlich spielen die Kreditleute eine Schlüsselrolle.
Bei der nationalen Airline hat sich die Deutsche Bank mit der neuen Taktik jedenfalls erfolgreich installieren können. Die Deutschen gelten laut Insidern als Wortführer im Bankenkonsortium. «Die Swissair war schon vorher ein Kunde. Doch jetzt stehen wir auch in einem engen strategischen Dialog», umschreibt Hubert Keller, Chef European Corporate Finance der Deutschen Bank, die Situation. Die Lage bei der Swissair beurteile man trotz den Risiken optimistisch. «Wir glauben an diesen Turnaround», sagt Keller.
Nebst der Swissair hat die Deutsche Bank eine Reihe anderer Schweizer Giganten im Visier. Derzeit ist Keller daran, die in jüngster Zeit stark ausgebaute, hochkarätige Health-Care-Gruppe vermehrt auch für die Schweiz einzusetzen. Diese Leute sollen sich mit einem vertieften Wissen über die Gesundheitsindustrie als Partner für Pharmaunternehmen aufdrängen. Im Auge hat die Deutsche Bank in der Schweiz Firmen wie Novartis oder Roche. «Unsere Experten sollen die CEOs beeindrucken und so zu einem Partner im strategischen Dialog werden», hofft Keller.
Still und leise ist die Deutsche Bank mit ihrer neuen Strategie derzeit daran, zu einem Schlüsselspieler in der Schweizer Finanzszene zu werden. So unterstützten die Deutschen etwa auch René Braginsky bei seiner Attacke auf Sulzer – die der Winterthurer Konzern dann aber erfolgreich abwehrte.
Bankpartner war die Deutsche Bank auch im Dezember 2000, als die Zuger Richemont die Firma Les Manufactures Horlogères (IWC) für fast zwei Milliarden Dollar übernahm. Die Börsengänge von Leica Geosystems im Juli 2000 oder SIA Abrasives Ende 1999 gehörten ebenso zu den Aufträgen der Deutschen Bank wie die Kapitalerhöhung der Züblin Immobilien im Februar 2000. Bei Unaxis (ehemals Oerlikon-Bührle) haben die Deutschen den Restrukturierungsprozess von Anfang an mitgetragen und sich auch selber engagiert: Die Deutsche Bank ist heute Market-Maker in Unaxis-Aktien mit einem dominanten Marktanteil von rund zwölf Prozent. Der grosse Geldanlagebedarf der Deutschen Bank hat den Konzern auch bei anderen Schweizer Firmen zum Aktionär gemacht, etwa bei der Zurich Financial Services, wo Ende 2000 zeitweise sogar die Eintragungslimite von fünf Prozent überschritten wurde. An der Börse wird gemunkelt, Ackermann wolle sich möglicherweise auch an den angeschlagenen Versicherungskonzern heranmachen.
Den Grundstein zum Aufstieg im Equity-Geschäft legte die Deutsche Bank wohl mit ihrem spektakulären Deal bei der Platzierung der Aktien des Modehauses Charles Vögele im Dezember 1999. Das englische Investmenthaus Schroders wollte Vögele-Aktien in der Höhe von fast einer Milliarde Franken loswerden – und die Deutschen schafften es, diese Papiere innerhalb von nur dreissig Minuten bei Kunden zu platzieren.
Die Deutsche Bank Schweiz blamierte damit die Konkurrenten von der UBS, die eine schön herausgeputzte Delegation auf den Weg zu Schroders nach London geschickt hatte. Doch dann war aus Zürich die Meldung gekommen, man müsse die Übung abbrechen, weil bereits am Vorabend die Schweizer Niederlassung der Deutschen Bank sich den Deal geschnappt hatte. «Da rauchten die Köpfe», wurde daraufhin ein UBS-Vertreter im «Tages-Anzeiger» zitiert, «bei uns reden unzählige Leute mit, bis etwas bewilligt wird, die Deutsche Bank kommt und macht es einfach.»
Ackermanns Truppe tritt unzimperlich und aggressiv auf – und ist darauf auch unverhohlen stolz. Denn dadurch ist sie der Konkurrenz oft um eine Nasenlänge voraus. Doch nicht nur im Investmentbanking sind die Deutschen derzeit daran, die Schweiz aufzurollen. Auch im Privatebanking, dem Geschäft mit den vermögenden Privatkunden, wird die Schweiz derzeit von Ackermann als strategischer Stützpunkt ausgebaut.
Ende 2000 überraschte die Meldung aus Frankfurt, dass der Bankkoloss seinen Spartensitz Private Banking International in die Schweiz, und zwar nach Genf, verlege. Von der Rhonestadt aus werden seither alle Privatebanking-Aktivitäten ausserhalb Deutschlands und der USA zentral verwaltet. Zum 20-jährigen Bestehen der Schweizer Tochter hat die Deutsche Bank ihre Aktivitäten so mit einem Quantensprung vorangebracht. «Wir hatten schon eine starke Basis und wollten noch eins draufsetzen», sagt Herbert Julius Scheidt, Chef der Sparte Private Banking International und gleichzeitig CEO der Deutschen Bank Schweiz, die schon seit Jahren die Privatkundschaft betreut. Beim Privatebanking geht es um betreute Vermögen von rund 82 Milliarden Franken. «Wir vergleichen uns von der Grösse her mit einer Bank wie Vontobel oder Pictet», betont Scheidt selbstbewusst.
Seit kurzem verstärkt gepusht wird auch das Fondsgeschäft, verwaltet von der Deutsche Asset Management Schweiz, die seit einem Jahr vor allem das institutionelle Geschäft mit Fonds ausbaut. Nach wenigen Monaten verwaltet dieser neue Bereich bereits Gelder in der Höhe von rund 600 Millionen Franken. Ja sogar im klassischen Kommerzgeschäft mischen die Deutschen inzwischen mit, etwa in der Ostschweiz, die zum Teil von den deutschen Filialen in Freiburg oder Konstanz betreut wird. So ist die Deutsche Bank etwa bei Saurer in Arbon für die Exportfinanzierung und das Anleihengeschäft engagiert. Ackermanns Deutsche Bank hat – so scheint es – derzeit überall die Finger drin im Schweizer Finanzbusiness.
Wie stark die Präsenz der Deutschen Bank in der Schweiz inzwischen ist, zeigt sich auch an der Mitarbeiterzahl. Seit 1996 hat sich diese von 280 auf 560 verdoppelt. Der Ertrag ist von 108 auf 311 Millionen im Jahr 2000 angestiegen. Der Marktanteil im Schweizer Aktienhandel erhöhte sich von einem auf zwölf Prozent. «Seit 1996 haben wir schnell an Terrain gewonnen», sagt Keller.
1996 war genau das Jahr, in dem Joe Ackermann von der Schweizerischen Kreditanstalt zur Deutschen Bank wechselte. Er wurde Vorstandsmitglied, zuständig für das Investmentbanking. Im Frühling 2002 wird er den jetzigen Vorstandssprecher Rolf Breuer ersetzen und aufs oberste Podest bei der Deutschen Bank gehoben werden. Die Deutsche Bank ist mit einer Bilanzsumme von rund 1,5 Billionen Franken, 96 000 Mitarbeitern, neun Millionen Kunden und betreuten Vermögen von 850 Milliarden Euro einer der grössten Vermögensverwalter der Welt.
Ackermann kennt die Schweiz gut, stand der gebürtige Melser doch fast zwanzig Jahre im Dienste der Credit Suisse, zuletzt als Chef der Schweizerischen Kreditanstalt. Doch 1996 kam es zum Zerwürfnis mit dem damaligen CS-Präsidenten Rainer Gut. Als Gut seinen Zögling Lukas Mühlemann, damals noch Chef der CS-nahen Schweizer Rück, zum neuen Konzernchef machen wollte und Ackermann mit dem Investmentbanking abspeisen wollte, kam es zur Trennung. Mühlemann wurde der neue CS-Chef, Ackermann ging zur Deutschen Bank.
Der in der Heimat verschmähte Banker setzte in der Ferne bald zu einem eindrücklichen Comeback an. Sein Aufstieg bei der Deutschen Bank war rasant. Der Mann, der lange im Schatten des hochgelobten Managerstars Mühlemann gestanden hatte, sorgte in der Schweiz für eine Welle des Stolzes, als letztes Jahr bekannt wurde, dass er – als erster Ausländer in der Geschichte der Deutschen Bank – an die Spitze des ehrwürdigen Finanzinstituts gesetzt werde. Sein Siegeszug wurde jüngst noch gekrönt durch seine Wahl in das Board der US-Technologiebörse Nasdaq.
Berufliche Klippen hat der agile Schweizer bisher gut umschifft, etwa den Machtkampf nach der geplatzten Fusion der Deutschen und der Dresdner Bank. Inwieweit die derzeit laufenden Ermittlungen gegen Ackermann wegen Bestechung bei der Abfindung des Mannesmann-Chefs Klaus Esser den Höhenflug zu bremsen vermag, ist noch schwer absehbar.
In der Schweiz lässt sich der Arztsohn von solchen Hürden jedenfalls nicht bremsen. Nach wie vor treibt er den Vorstoss der Deutschen Bank in der Schweiz auch persönlich gezielt voran und nutzt seine guten Kontakte zum Wirtschaftsestablishment.
Dabei mag es bei diesem Engagement nicht nur um die Realisierung von Marktchancen im Investmentbanking, im Privatebanking oder im Fondsgeschäft gehen. Die Schweiz bietet dem verstossenen Sohn auch die Möglichkeit, sich auf dem Boden des ehemaligen Heimatlandes mit seinen Kontrahenten zu messen.
Vor allem mit seinem Erzwidersacher Mühlemann soll Ackermann gerne die Klinge kreuzen, erzählen Vertraute. Immer wieder piesacken die beiden Topbanker einander. So lockte Mühlemann etwa 1998 den Starbanker Frank Quattrone samt seinem Technologieteam von der Deutschen Bank zur CS. Die Technologie-Euphorie liess das Quattrone-Team dann zur Gewinnmaschine werden. Ackermann hatte das Nachsehen.
Doch seit einem Jahr hat der Wind gedreht. Während Ackermann Schritt für Schritt weiter aufsteigt, ist Mühlemann derzeit im Kreuzfeuer der Kritik. Mühlemanns Rolle als Verwaltungsrat der Swissair, seine Machtballung als Präsident und CEO der CS in Personalunion und die immer häufigeren Skandale seiner Investmentbank Credit Suisse First Boston – Verletzung von Börsenvorschriften in Neuseeland, Indien und Japan, Vorwürfe wegen rechtswidriger Geschäfte im IPO-Business in den USA – kratzen am Image des Strahlemanns. Und Technologiebanker Quattrone droht, seit die Interneteuphorie am Abflauen und sein Team in einzelne der Skandale verwickelt ist, jetzt sogar eher zur Hypothek für die CS zu werden.
So kommt es, dass Ackermann heute in der Schweizer Finanzszene ein besseres Image als Mühlemann geniesst – eine Konstellation, die noch vor vier Jahren kaum jemand vorausgesagt hätte. Für Ackermann wird der Erfolg der Deutschen Bank in der Schweiz damit auch zur Rehabilitation seiner Person.
Der aggressive Markteintritt birgt aber auch Risiken in sich, die sich für Ackermann dereinst als Bumerang erweisen könnten. Dies betrifft vor allem das Investmentbanking. Denn ob sich die Idee der «strategischen Kreditvergabe» als lukrativ erweist, ist erst nach Jahren absehbar, wenn klar ist, wie viel man wirklich an nachgelagerten M&A- oder IPO-Geschäften hat verdienen können. Bis sich diese Erträge einstellen, läuft Ackermann aber mit grossen Kreditvergaben in seinen Büchern. Kredite, die – nimmt man das Beispiel der Swissair – das Risiko mit sich bringen, gänzlich verloren zu gehen.
Doch Ackermann lässt sich davon nicht kopfscheu machen. Seine strategische Kreditvergabe will er gar weltweit implementieren – die Schweiz ist da nur Versuchsfeld. «Der Schweizer Markt ist für die globale Expansionsstrategie der Deutschen Bank von wesentlicher Bedeutung», sagt Ackermann, «das extrem kompetitive Umfeld und die hohe Professionalität bilden die ideale Basis für unser Benchmarking.» Die Lehren aus der Schweiz können dann weltweit umgesetzt werden. Dies gilt auch für die strategische Kreditvergabe: «Wir sind zuversichtlich, dieses Modell zum Erfolg führen und es schrittweise auf die oberen zwei- oder dreihundert Kunden global ausbauen zu können», so Joe Ackermann. Die Deutsche Bank kann mit einer solchen Stossrichtung in Einzelfällen also durchaus Abschreiber hinnehmen – wenn nur die Strategie insgesamt aufgeht. Die finanziellen Risiken sind ja auch gut abgesichert. Denn die Deutsche Bank gilt – im Gegensatz etwa zur CS – als äusserst kapitalstark. Der prall gefüllte Korb mit Beteiligungen an deutschen Industrie- und Finanzunternehmen – Wert 18,2 Milliarden Euro – kann im Bedarfsfall fürs Kerngeschäft eingesetzt werden.
Trotz dem massiven Vorstoss der Deutschen Bank hier zu Lande liegt Ackermanns Schicksal letztlich nicht in der Schweiz. Seine Zukunft wird in Frankfurt entschieden und ganz einfach am Erfolg des Gesamtkonzerns gemessen. Dies verstärkt, wenn er 2002 den CEO-Posten übernimmt und damit auch für das Privatebanking verantwortlich wird. Die Bewährungsprobe für den Schweizer steht erst noch bevor.
Keine Freude dürften diese Berichte bei Joe Ackermann (53, Bild), dem designierten Chef der Deutschen Bank, bewirkt haben. Der Bankgigant aus Frankfurt gehört, zusammen mit der Credit Suisse First Boston und der US-Bank Citibank, zum Konsortium, das der Swissair finanziell aus der Krise helfen soll. Über eine Milliarde Franken an Beistandskrediten hat das Bankentrio der Schweizer Airline im April zugesagt. Es sind – so zeigt sich jetzt – höchst risikoreich investierte Gelder.
Viele Finanzspezialisten wunderten sich ohnehin, warum die Deutsche Bank bei der Krisen-Airline eingestiegen war. Schliesslich hatte sogar die Schweizer Grossbank UBS nicht mitmachen wollen. Innerhalb der Swissair wurde vermutet, der Grund für den Beistandskredit liege in der Solidarität von Ex-SKA-Chef Ackermann, der von 1995 bis 1999 selber im Verwaltungsrat der Swissair sass und sich mitverantwortlich fühle fürs zukünftige Schicksal der Airline.
Doch der Grund ist ein anderer: Ackermann wittert langfristige Geschäftschancen. Er will sein Institut zum strategischen Partner der Swissair machen, zu einer Art Hausbank. Und nicht nur das: Die Swissair soll nur das erste einer ganzen Reihe von Schweizer Grossunternehmen sein, bei denen sich die Deutschen als Partner andienen, um so die heimischen Bankkonkurrenten auszuhebeln.
Das Mittel, das sich Ackermann ausgesucht hat, um die Schweizer Trutzburgen zu erobern, ist simpel und risikoreich zugleich: Kredite. Als erfahrener Banker weiss Ackermann, wie schnell man mit einer Kreditvergabe Vertrauen bei einem Unternehmen schaffen kann. Wenn man als Bank einer Firma im Bedarfsfall mit Geld unter die Arme greift, vor allem dann, wenn eine Notlage vorliegt und andere Banken zögern, kann man leicht die Basis für eine langjährige intensive Kundenbeziehung legen. Eine Beziehung, die später für die Bank wieder zu einem Geldsegen werden kann. Ackermann selber nennt dies «strategische Kreditvergabe».
Die Swissair etwa wird, wenn die Sanierung klappt, in Zukunft wohl Spin-offs von Firmenteilen machen, einzelne Geschäftsbereiche wie etwa die Flugzeugverpflegung gesondert an die Börse bringen, Flugzeugfinanzierungen vornehmen. All dies sind potenziell lukrative Geschäfte für einen Bankpartner. «Wir werden in nennenswertem Umfang nur noch dort Kredite vergeben, wo wir ein höherwertiges Investmentbank-Geschäft erwarten können», ist das Kredo von Ackermann. Immer mehr Unternehmen seien dazu übergegangen, ihre Beziehungen zu Kreditgebern und Investmentbankern miteinander zu koppeln, hat Ackermann beobachtet. «Nur derjenige bekommt den gebührenträchtigen M&A-Deal, der auch bereit ist, dessen Finanzierung zu bewerkstelligen», sagt Ackermann. Der Kredit wird damit quasi zu einer Vorschussinvestition für spätere Aufträge. Dafür ist man schon mal zu einem höheren Risiko wie jetzt bei der Swissair bereit.
Ackermanns strategische Kreditvergabe kommt schon fast einer kleineren Revolution im Banking gleich. Es stellt die Hackordnung bei den Grossbanken – die «Chrampfer» in der Kreditabteilung wurden von den smarten Investmentbankern oft belächelt – auf den Kopf. Plötzlich spielen die Kreditleute eine Schlüsselrolle.
Bei der nationalen Airline hat sich die Deutsche Bank mit der neuen Taktik jedenfalls erfolgreich installieren können. Die Deutschen gelten laut Insidern als Wortführer im Bankenkonsortium. «Die Swissair war schon vorher ein Kunde. Doch jetzt stehen wir auch in einem engen strategischen Dialog», umschreibt Hubert Keller, Chef European Corporate Finance der Deutschen Bank, die Situation. Die Lage bei der Swissair beurteile man trotz den Risiken optimistisch. «Wir glauben an diesen Turnaround», sagt Keller.
Nebst der Swissair hat die Deutsche Bank eine Reihe anderer Schweizer Giganten im Visier. Derzeit ist Keller daran, die in jüngster Zeit stark ausgebaute, hochkarätige Health-Care-Gruppe vermehrt auch für die Schweiz einzusetzen. Diese Leute sollen sich mit einem vertieften Wissen über die Gesundheitsindustrie als Partner für Pharmaunternehmen aufdrängen. Im Auge hat die Deutsche Bank in der Schweiz Firmen wie Novartis oder Roche. «Unsere Experten sollen die CEOs beeindrucken und so zu einem Partner im strategischen Dialog werden», hofft Keller.
Still und leise ist die Deutsche Bank mit ihrer neuen Strategie derzeit daran, zu einem Schlüsselspieler in der Schweizer Finanzszene zu werden. So unterstützten die Deutschen etwa auch René Braginsky bei seiner Attacke auf Sulzer – die der Winterthurer Konzern dann aber erfolgreich abwehrte.
Bankpartner war die Deutsche Bank auch im Dezember 2000, als die Zuger Richemont die Firma Les Manufactures Horlogères (IWC) für fast zwei Milliarden Dollar übernahm. Die Börsengänge von Leica Geosystems im Juli 2000 oder SIA Abrasives Ende 1999 gehörten ebenso zu den Aufträgen der Deutschen Bank wie die Kapitalerhöhung der Züblin Immobilien im Februar 2000. Bei Unaxis (ehemals Oerlikon-Bührle) haben die Deutschen den Restrukturierungsprozess von Anfang an mitgetragen und sich auch selber engagiert: Die Deutsche Bank ist heute Market-Maker in Unaxis-Aktien mit einem dominanten Marktanteil von rund zwölf Prozent. Der grosse Geldanlagebedarf der Deutschen Bank hat den Konzern auch bei anderen Schweizer Firmen zum Aktionär gemacht, etwa bei der Zurich Financial Services, wo Ende 2000 zeitweise sogar die Eintragungslimite von fünf Prozent überschritten wurde. An der Börse wird gemunkelt, Ackermann wolle sich möglicherweise auch an den angeschlagenen Versicherungskonzern heranmachen.
Den Grundstein zum Aufstieg im Equity-Geschäft legte die Deutsche Bank wohl mit ihrem spektakulären Deal bei der Platzierung der Aktien des Modehauses Charles Vögele im Dezember 1999. Das englische Investmenthaus Schroders wollte Vögele-Aktien in der Höhe von fast einer Milliarde Franken loswerden – und die Deutschen schafften es, diese Papiere innerhalb von nur dreissig Minuten bei Kunden zu platzieren.
Die Deutsche Bank Schweiz blamierte damit die Konkurrenten von der UBS, die eine schön herausgeputzte Delegation auf den Weg zu Schroders nach London geschickt hatte. Doch dann war aus Zürich die Meldung gekommen, man müsse die Übung abbrechen, weil bereits am Vorabend die Schweizer Niederlassung der Deutschen Bank sich den Deal geschnappt hatte. «Da rauchten die Köpfe», wurde daraufhin ein UBS-Vertreter im «Tages-Anzeiger» zitiert, «bei uns reden unzählige Leute mit, bis etwas bewilligt wird, die Deutsche Bank kommt und macht es einfach.»
Ackermanns Truppe tritt unzimperlich und aggressiv auf – und ist darauf auch unverhohlen stolz. Denn dadurch ist sie der Konkurrenz oft um eine Nasenlänge voraus. Doch nicht nur im Investmentbanking sind die Deutschen derzeit daran, die Schweiz aufzurollen. Auch im Privatebanking, dem Geschäft mit den vermögenden Privatkunden, wird die Schweiz derzeit von Ackermann als strategischer Stützpunkt ausgebaut.
Ende 2000 überraschte die Meldung aus Frankfurt, dass der Bankkoloss seinen Spartensitz Private Banking International in die Schweiz, und zwar nach Genf, verlege. Von der Rhonestadt aus werden seither alle Privatebanking-Aktivitäten ausserhalb Deutschlands und der USA zentral verwaltet. Zum 20-jährigen Bestehen der Schweizer Tochter hat die Deutsche Bank ihre Aktivitäten so mit einem Quantensprung vorangebracht. «Wir hatten schon eine starke Basis und wollten noch eins draufsetzen», sagt Herbert Julius Scheidt, Chef der Sparte Private Banking International und gleichzeitig CEO der Deutschen Bank Schweiz, die schon seit Jahren die Privatkundschaft betreut. Beim Privatebanking geht es um betreute Vermögen von rund 82 Milliarden Franken. «Wir vergleichen uns von der Grösse her mit einer Bank wie Vontobel oder Pictet», betont Scheidt selbstbewusst.
Seit kurzem verstärkt gepusht wird auch das Fondsgeschäft, verwaltet von der Deutsche Asset Management Schweiz, die seit einem Jahr vor allem das institutionelle Geschäft mit Fonds ausbaut. Nach wenigen Monaten verwaltet dieser neue Bereich bereits Gelder in der Höhe von rund 600 Millionen Franken. Ja sogar im klassischen Kommerzgeschäft mischen die Deutschen inzwischen mit, etwa in der Ostschweiz, die zum Teil von den deutschen Filialen in Freiburg oder Konstanz betreut wird. So ist die Deutsche Bank etwa bei Saurer in Arbon für die Exportfinanzierung und das Anleihengeschäft engagiert. Ackermanns Deutsche Bank hat – so scheint es – derzeit überall die Finger drin im Schweizer Finanzbusiness.
Wie stark die Präsenz der Deutschen Bank in der Schweiz inzwischen ist, zeigt sich auch an der Mitarbeiterzahl. Seit 1996 hat sich diese von 280 auf 560 verdoppelt. Der Ertrag ist von 108 auf 311 Millionen im Jahr 2000 angestiegen. Der Marktanteil im Schweizer Aktienhandel erhöhte sich von einem auf zwölf Prozent. «Seit 1996 haben wir schnell an Terrain gewonnen», sagt Keller.
1996 war genau das Jahr, in dem Joe Ackermann von der Schweizerischen Kreditanstalt zur Deutschen Bank wechselte. Er wurde Vorstandsmitglied, zuständig für das Investmentbanking. Im Frühling 2002 wird er den jetzigen Vorstandssprecher Rolf Breuer ersetzen und aufs oberste Podest bei der Deutschen Bank gehoben werden. Die Deutsche Bank ist mit einer Bilanzsumme von rund 1,5 Billionen Franken, 96 000 Mitarbeitern, neun Millionen Kunden und betreuten Vermögen von 850 Milliarden Euro einer der grössten Vermögensverwalter der Welt.
Ackermann kennt die Schweiz gut, stand der gebürtige Melser doch fast zwanzig Jahre im Dienste der Credit Suisse, zuletzt als Chef der Schweizerischen Kreditanstalt. Doch 1996 kam es zum Zerwürfnis mit dem damaligen CS-Präsidenten Rainer Gut. Als Gut seinen Zögling Lukas Mühlemann, damals noch Chef der CS-nahen Schweizer Rück, zum neuen Konzernchef machen wollte und Ackermann mit dem Investmentbanking abspeisen wollte, kam es zur Trennung. Mühlemann wurde der neue CS-Chef, Ackermann ging zur Deutschen Bank.
Der in der Heimat verschmähte Banker setzte in der Ferne bald zu einem eindrücklichen Comeback an. Sein Aufstieg bei der Deutschen Bank war rasant. Der Mann, der lange im Schatten des hochgelobten Managerstars Mühlemann gestanden hatte, sorgte in der Schweiz für eine Welle des Stolzes, als letztes Jahr bekannt wurde, dass er – als erster Ausländer in der Geschichte der Deutschen Bank – an die Spitze des ehrwürdigen Finanzinstituts gesetzt werde. Sein Siegeszug wurde jüngst noch gekrönt durch seine Wahl in das Board der US-Technologiebörse Nasdaq.
Berufliche Klippen hat der agile Schweizer bisher gut umschifft, etwa den Machtkampf nach der geplatzten Fusion der Deutschen und der Dresdner Bank. Inwieweit die derzeit laufenden Ermittlungen gegen Ackermann wegen Bestechung bei der Abfindung des Mannesmann-Chefs Klaus Esser den Höhenflug zu bremsen vermag, ist noch schwer absehbar.
In der Schweiz lässt sich der Arztsohn von solchen Hürden jedenfalls nicht bremsen. Nach wie vor treibt er den Vorstoss der Deutschen Bank in der Schweiz auch persönlich gezielt voran und nutzt seine guten Kontakte zum Wirtschaftsestablishment.
Dabei mag es bei diesem Engagement nicht nur um die Realisierung von Marktchancen im Investmentbanking, im Privatebanking oder im Fondsgeschäft gehen. Die Schweiz bietet dem verstossenen Sohn auch die Möglichkeit, sich auf dem Boden des ehemaligen Heimatlandes mit seinen Kontrahenten zu messen.
Vor allem mit seinem Erzwidersacher Mühlemann soll Ackermann gerne die Klinge kreuzen, erzählen Vertraute. Immer wieder piesacken die beiden Topbanker einander. So lockte Mühlemann etwa 1998 den Starbanker Frank Quattrone samt seinem Technologieteam von der Deutschen Bank zur CS. Die Technologie-Euphorie liess das Quattrone-Team dann zur Gewinnmaschine werden. Ackermann hatte das Nachsehen.
Doch seit einem Jahr hat der Wind gedreht. Während Ackermann Schritt für Schritt weiter aufsteigt, ist Mühlemann derzeit im Kreuzfeuer der Kritik. Mühlemanns Rolle als Verwaltungsrat der Swissair, seine Machtballung als Präsident und CEO der CS in Personalunion und die immer häufigeren Skandale seiner Investmentbank Credit Suisse First Boston – Verletzung von Börsenvorschriften in Neuseeland, Indien und Japan, Vorwürfe wegen rechtswidriger Geschäfte im IPO-Business in den USA – kratzen am Image des Strahlemanns. Und Technologiebanker Quattrone droht, seit die Interneteuphorie am Abflauen und sein Team in einzelne der Skandale verwickelt ist, jetzt sogar eher zur Hypothek für die CS zu werden.
So kommt es, dass Ackermann heute in der Schweizer Finanzszene ein besseres Image als Mühlemann geniesst – eine Konstellation, die noch vor vier Jahren kaum jemand vorausgesagt hätte. Für Ackermann wird der Erfolg der Deutschen Bank in der Schweiz damit auch zur Rehabilitation seiner Person.
Der aggressive Markteintritt birgt aber auch Risiken in sich, die sich für Ackermann dereinst als Bumerang erweisen könnten. Dies betrifft vor allem das Investmentbanking. Denn ob sich die Idee der «strategischen Kreditvergabe» als lukrativ erweist, ist erst nach Jahren absehbar, wenn klar ist, wie viel man wirklich an nachgelagerten M&A- oder IPO-Geschäften hat verdienen können. Bis sich diese Erträge einstellen, läuft Ackermann aber mit grossen Kreditvergaben in seinen Büchern. Kredite, die – nimmt man das Beispiel der Swissair – das Risiko mit sich bringen, gänzlich verloren zu gehen.
Doch Ackermann lässt sich davon nicht kopfscheu machen. Seine strategische Kreditvergabe will er gar weltweit implementieren – die Schweiz ist da nur Versuchsfeld. «Der Schweizer Markt ist für die globale Expansionsstrategie der Deutschen Bank von wesentlicher Bedeutung», sagt Ackermann, «das extrem kompetitive Umfeld und die hohe Professionalität bilden die ideale Basis für unser Benchmarking.» Die Lehren aus der Schweiz können dann weltweit umgesetzt werden. Dies gilt auch für die strategische Kreditvergabe: «Wir sind zuversichtlich, dieses Modell zum Erfolg führen und es schrittweise auf die oberen zwei- oder dreihundert Kunden global ausbauen zu können», so Joe Ackermann. Die Deutsche Bank kann mit einer solchen Stossrichtung in Einzelfällen also durchaus Abschreiber hinnehmen – wenn nur die Strategie insgesamt aufgeht. Die finanziellen Risiken sind ja auch gut abgesichert. Denn die Deutsche Bank gilt – im Gegensatz etwa zur CS – als äusserst kapitalstark. Der prall gefüllte Korb mit Beteiligungen an deutschen Industrie- und Finanzunternehmen – Wert 18,2 Milliarden Euro – kann im Bedarfsfall fürs Kerngeschäft eingesetzt werden.
Trotz dem massiven Vorstoss der Deutschen Bank hier zu Lande liegt Ackermanns Schicksal letztlich nicht in der Schweiz. Seine Zukunft wird in Frankfurt entschieden und ganz einfach am Erfolg des Gesamtkonzerns gemessen. Dies verstärkt, wenn er 2002 den CEO-Posten übernimmt und damit auch für das Privatebanking verantwortlich wird. Die Bewährungsprobe für den Schweizer steht erst noch bevor.
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