Solche Wochen liebt Josef Ackermann: Zuerst flog er nach Peking, wo er in seiner Funktion als Präsident des internationalen Bankenverbandes IIF auftrat. Empfangen wurde er in höchsten Ehren: vom chinesischen Vizepremier Wang Qishan. Ackermann nutzte die Plattform, um kräftig für seine Branche zu lobbyieren: Der Schweizer an der Spitze der Deutschen Bank warnte die führenden Industrienationen davor, schärfere Regeln für die Banken zu beschliessen. «Es steht viel auf dem Spiel», mahnte er.
Dann jettete er weiter nach Seoul, wo sich die Regierungschefs dieser Welt am 11. und 12. November zum G-20-Gipfel trafen. Ackermann war einer von 100 Wirtschaftsführern, die an den Gipfel eingeladen waren. Er sollte den Politikern Wege aufzeigen, um schonend aus den milliardenschweren Konjunkturhilfen auszusteigen. Ackermann ging auf Tuchfühlung mit den Weltpolitikern: Er traf unter anderem Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon.
Sein Ruf bei den Eliten in Wirtschaft und Politik ist Ackermann sehr wichtig. Fast jedem, der mit ihm öfter zu tun hat, fällt auf: Er ist ein Name-Dropper, ein Mann, der gerne über seine Beziehungen zu den Mächtigen und Prominenten spricht. Kein anderer Banker ist derart eingebunden ins weltweite Netzwerk der Entscheider. Für den Arztsohn aus dem ländlichen Mels im Sarganserland ist das Bestätigung, dass er erreicht hat, was er immer wollte: mehr als ein Manager zu sein. Das Gefühl der eigenen Bedeutung ist für ihn der Lohn für ein Leben im Managerstress. Seine Heimat sei der Sitzplatz 1 C, hat er einmal gewitzelt.
Endschlaufe. Sein Sprecher hat dem deutschen Magazin «Der Spiegel» anvertraut, Ackermanns Traum von Normalität sei, an einem Samstag in Jeans unrasiert mit einer Zeitung unter dem Arm durch die Stadt zu gehen. Doch von diesem Leben ist er weit entfernt. Ob er ein solches wirklich möchte, ist eine andere Frage. Dass er auch in Zukunft Anzug und saubere Rasur Jeans und Bartstoppeln vorziehen will, zeigen die Pläne, die der 62-Jährige für die letzte Etappe seiner Karriere hegt. Von beschaulichem Rentnerdasein keine Rede: Ackermann zielt darauf ab, auch nach seinem Rückzug von der Spitze der Deutschen Bank in den internationalen Machtzentren mitzutun. Der Weg könnte über eine Schlaufe in der Schweiz führen: Vehikel für seine Pläne dürfte der Versicherungskonzern Zurich Financial Services werden.
Sein Vertrag als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank läuft noch bis 2013. Eigentlich hätte Ackermann schon 2010 aufhören sollen. Doch Clemens Börsig, Präsident des Aufsichtsrats, konnte keinen geeigneten Nachfolger für die operative Spitze präsentieren – und schlug in der Not sich selber als CEO vor. Der Aufsichtsrat war schockiert, zog die Notbremse und bat Ackermann, noch ein paar Jahre als Vorstandschef anzuhängen. Er sagte zu.
Ackermann ist seither nochmals richtig aufgeblüht und hat die Bank nach der Finanzkrise weiter stabilisiert. Eine nochmalige Vertragsverlängerung steht aber nicht zur Debatte. Im Gegenteil: Vertraute gehen davon aus, dass Ackermann nicht bis 2013 in Diensten der Deutschen Bank bleiben wird. Einiges deutet darauf, dass die letzte Etappe bereits in etwas mehr als einem Jahr, also Ende 2011, eingeläutet wird. Denn dann stehen wichtige Veränderungen an.
Da ist zunächst seine Präsidentschaft beim internationalen Bankenverband IIF (Institute of International Finance). Dieser mächtigen Branchenvereinigung steht Ackermann seit Jahren als Chairman vor. Nun hat er intern bekanntgegeben, er wolle per Ende 2011 aufhören, berichten IIF-Insider. IIF-Präsident ist in der Regel ein aktiver Bankchef. Ackermanns Rückzug vom IIF dürfte zum Startschuss für die Neugestaltung seiner beruflichen Positionierung werden.
Fast zeitgleich steht ein zweiter wichtiger Entscheid an: der seiner Rolle beim Schweizer Versicherungskonzern Zurich Financial Services (ZFS). Diesen Frühling wurde Ackermann überraschend in den Verwaltungsrat des Versicherers gewählt – und zwar gleich als Vizepräsident. Der Wechsel wurde bewusst zurückhaltend kommuniziert, heisst es im Umfeld des Bankers. Doch der Ansatz ist klar: Ackermann soll in einer zweiten Etappe Präsident von ZFS werden. Offiziell bestätigt das niemand. Doch Ackermann selber hat dies jüngst im kleinen Kreis als «naheliegende Option» bezeichnet.
Hintergrund ist der bevorstehende Rückzug des jetzigen Präsidenten Manfred Gentz. Dessen Amtsdauer läuft 2011 ab. Er kann noch einmal verlängern, doch nur für ein Jahr, dies laut einem ungeschriebenen Gesetz, dem internen Agreement, das die Altersgrenze 70 vorsieht. An der Generalversammlung 2012 steht auch die Wiederwahl von Ackermann für den Verwaltungsrat von ZFS auf der Agenda – der ideale Zeitpunkt, um sich als Präsident zur Verfügung zu stellen.
Als Chairman von ZFS hätte Ackermann die richtige Visitenkarte, um weiter zu den wichtigen Gremien der Finanzwelt Zugang zu finden. Das Grundhonorar für den Job ist 700 000 Dollar. Unbelastet von operativen Aufgaben – CEO des Konzerns ist Branchenprofi Martin Senn – könnte er seine Rolle als «elder statesman» der Finanzindustrie spielen. In dieser Version würde zeitgleich mit seinem Rückzug beim IIF und der Nominierung zum ZFS-Präsidenten der Rückzug bei der Deutschen Bank kommuniziert.
Hier aber liegt die Knacknuss: Denn sein Rückzug dort ist untrennbar mit der Frage verbunden, ob bis dahin ein geeigneter Nachfolger zu finden ist. Diese Frage ist äusserst verzwickt. Das liegt nicht zuletzt an Ackermann selber. Der Mann, der den Konzern operativ zu neuer Stärke führte, hat doch in einer der wichtigsten Managementaufgaben versagt: beim Aufbau eines Nachfolgers.
Im Schatten. Auch wenn formell die Neubesetzung des Vorstands dem Aufsichtsrat obliegt, ist es doch die Regel, dass das Management Lösungen liefert, auf die das Aufsichtsgremium bauen kann. Der viel gescholtene Aufsichtsratschef Clemens Börsig tut sich mit dieser Frage auch darum so schwer, weil im Schatten des übermächtigen Josef Ackermann wenig Platz für Entfaltung ist. Die Nachfolge werde in enger Zusammenarbeit zwischen Börsig und Ackermann angegangen, heisst es bei der Bank. Details zum Verfahren sind nicht zu erfahren, ebenso wenig wie die Namen möglicher Papabili.
Doch die deutschen Medien spekulieren seit langem und nennen meist die gleichen Namen. Derzeit stehen vier Kandidaten im Vordergrund, wie hohe Repräsentanten der Bank bestätigen. Es sind dies: Anshu Jain, Hugo Bänziger, Rainer Neske und Stefan Krause – ein Inder, ein Schweizer und zwei Deutsche. Das Problem: Keiner entspricht dem Profil eines Vorstandschefs der Deutschen Bank vollumfänglich – bei jedem sprechen ebenso viele Gründe für wie gegen eine Wahl.
Naheliegendster Kandidat ist der Inder Anshu Jain (47). Ginge es allein darum, wer am meisten Geld für die Bank verdient, dann wäre er gesetzt, denn das von Jain geleitete Investment Banking erwirtschaftet über 70 Prozent des Gewinns des Gesamtkonzerns. Dass er diesen Sommer nach dem Abgang von Co-Chef Michael Cohrs Alleinchef des Investment Banking wurde, beurteilen Beobachter als Aufwertung. Nun beginne für Jain «das längste Jobinterview in der Finanzindustrie», schrieb das Branchenblatt «Financial News». Jains Nachteil: Er gilt als sehr emotional. Zudem ist er der deutschen Öffentlichkeit nur schwer vermittelbar. Von London aus operierend und des Deutschen kaum mächtig, entspricht er dem Bild eines angelsächsischen Traders. Das Ausland dürfte zudem Mühe bekunden, dass fortan ein Inder die oft mit dem deutschen Staat gleichgesetzte Deutsche Bank repräsentieren soll. Zumindest Europäer und deutschsprechend sollte er sein.
Das «Wall Street Journal» hob jüngst Hugo Bänziger (54) auf den Schild, neben Ackermann der zweite Schweizer im Vorstand der Bank. Er war wie sein Chef selber vorher lange bei der Credit Suisse und kennt Ackermann vom Schweizer Militär. Er ist Chief Risk Officer, also oberster Risikochef der Bank, und hat sich hier einen ausgezeichneten Ruf erarbeitet. So hat er die Bank gut durch die Finanzkrise gelotst. Sein Nachteil: Ihm soll intern die nötige Unterstützung fehlen. Er sei nicht gerade «der König des Herzens» formulierte das «Handelsblatt» vorsichtig.
Der dritte Kandidat muss sein Gesellenstück erst noch liefern. Rainer Neske (46) kommt die Herkulesaufgabe zu, den Bereich Privat- und Firmenkunden sowie die Vermögensverwaltung zu stärken. Vor allem die Renditen müssen endlich steigen. Derzeit ist er eher Aussenseiter im Rennen, doch seine Chancen könnten mit einer Top-Performance steigen. Sein Nachteil: Er polarisiert im Spannungsfeld zwischen dem angelsächsischen und dem deutschen Lager in der Bank. Ihm fehlt die Akzeptanz der Truppe um Jain.
Der vierte Kandidat ist ein relativ neuer Mann in der Bank: Finanzchef Stefan Krause (48) war lange beim Autokonzern BMW. Er gilt als ausgewiesener Finanzprofi. Sein Nachteil: Er ist kein Banker. Dennoch drängt sich just Krause jüngst verstärkt als Nachfolger auf. Offenbar beherrscht er von allen vier Kandidaten am ehesten das, was Ackermann selber für die Bank für so wichtig hält: den staatsmännischen Auftritt gegen aussen.
Angesprochen auf die Kandidaten, soll Ackermann intern gerne mit einem Vergleich aus dem Fussball antworten. Dort werde nicht jener Captain, der am meisten Tore schiesse, sondern jener, der in der Mannschaft die grösste Bedeutung habe. Nur weil jemand zufällig den Bereich leitet, der am meisten Geld macht, befähigt ihn das noch nicht zur Führung. Diese Sicht spricht nicht nur gegen eine Wahl von «Rainmaker» Jain, sondern betont die Bedeutung, die der Führungsstärke zukommt, bei der Krause offenbar besonders punktet. Unter den von Ackermann selber aufgestellten wichtigsten fünf Punkten bei der Wahl – Persönlichkeit, Führungsstärke, Akzeptanz, Risikoverständnis und Internationalität – wird breite Branchenerfahrung nicht erwähnt.
Das erstaunt. Doch die Rolle des Vorstandschefs der Deutschen Bank war stets mehr als jene des operativen Chefs. Die Bank steht für Deutschland. Bekannt ist die Episode, als Russlands Regierungschef Wladimir Putin mit offenen Armen auf Ackermann zuging und rief: «Die Deutsche Bank ist unsere Brücke zu Deutschland.» Die «Zeit» beschreibt, wie Kuwaits Parlamentspräsidentin ihn ermahnt habe, Deutschland solle Wiederaufbau im Irak leisten. Da müsse er mit Kanzlerin Angela Merkel sprechen, erwiderte der Banker. Schon, meinte die Dame, doch sie sage ihm dies, weil sie davon ausgehe, dass «die deutsche Regierung tut, was Sie sagen».
Vorteil Krause. Diese quasi-staatsmännische Rolle, die dem Chef der Deutschen Bank zukommt, bildet für Krause eine Chance. Von 1987 bis 2008 war er in leitenden Positionen bei der BMW-Gruppe in Deutschland und den USA tätig. Er gilt als integrativ, hat internationale Führungserfahrung und ist als CFO mit dem wichtigen Dossier Risiken vertraut.
Keine Lösung ist der von Medien mitunter erwähnte Ansatz mit zwei CEO. Denn da werden die Chefs nur gegeneinander ausgespielt. Auch ein Wechsel von Ackermann in den Aufsichtsrat der Bank steht nicht zur Debatte.
Doch nicht nur mit der Nachfolgefrage muss sich Ackermann beschäftigen, auch operativ bleibt einiges zu tun. Ziel ist, die Erträge breiter abzustützen. Ackermann will das Geschäftsmodell von der Dominanz des Investment Banking lösen und so ausgewogenere Gewinne erwirtschaften. Die Beteiligung an der Postbank war im Kleinkundengeschäft Ende 2008 der grosse strategische Schritt. Eine weitere Ertragssäule soll die Vermögensverwaltung werden. Auch die liefert zu wenig.
Der Kauf der schwergewichtig in der Vermögensverwaltung tätigen Sal. Oppenheim war vor einem Jahr der Befreiungsschlag. Doch Experten sind skeptisch. Selten haben sich im Wealth Management Akquisitionen gelohnt. Leiter Pierre de Weck muss Resultate liefern (siehe «Die Problemzone»).
Wichtig ist dies nicht zuletzt für den Aktienkurs: Der Markt bewertet Universalbanken mit starker Vermögensverwaltung wie UBS oder Credit Suisse höher als jene Institute, die vor allem im Investment Banking Geld verdienen. Der Grund ist, dass der Ertrag weniger schwankt.
Am steigenden Aktienkurs verdient Ackermann mit. Ein Grossteil seines Jahressalärs – 9,5 Millionen Euro für 2009 – ist variabel und hängt vom Erfolg der Bank ab. Längst hat Ackermann, der schon bei der CS gut verdiente, über 100 Millionen Franken Vermögen aufgebaut. Deshalb bräuchte er nicht mehr zu arbeiten.
I love N.Y. Wo sein Lebensmittelpunkt nach dem Abschied von der Deutschen Bank liegt, ist für ihn noch unbestimmt. Er hat eine Eigentumswohnung am Zürichberg mit Blick über den See, samt Steinway-Flügel im Wohnzimmer, an dem sich der eingefleischte Opernfan gerne selber beim Singen begleitet. Dazu kommen ein Haus in Frankfurt und eine luxuriöse Wohnung in Manhattan. Ackermann liebt den Big Apple und verbringt dort so viel Zeit wie möglich. Den Spielraum nach seinem Rückzug bei der Bank dürfte er dazu nutzen, noch mehr Zeit in New York zu verbringen, vor allem weil auch seine Frau von der Stadt angetan ist. Die gemeinsame Tochter ist schon lange ausgeflogen und arbeitet als Filmemacherin in Deutschland und London. Klar für ihn ist, dass er neben seiner Rolle in internationalen Wirtschaftszirkeln auch weiter an Universitäten tätig sein will. Derzeit gibt er Kurse an der London School of Economics. Derlei Mandate wolle er ausbauen, betont er stets.
Das Ideal für die letzte Etappe seiner Karriere ist für Ackermann offenbar der gezielte Unruhestand. Das zeigt sein vielfältiger Tatendrang. Selbst sein Rezept zum Relaxen hat mit Aktivität zu tun. Will er entspannen, hat er erzählt, rennt er mit dem Hund den Berg hinauf.