Den Aktionären der Deutschen Bank wird sich am 1. Juni in der Frankfurter Festhalle ein ungewohntes Bild bieten. Weder Hilmar Kopper noch Rolf-E. Breuer, die lange als Aufsichtsratsvorsitzende (VR-Vorsitzende) durch die Hauptversammlungen führten, wird den wichtigsten Platz in der Mitte des Podiums einnehmen. Wer die Position an jenem Donnerstag besetzen wird, hängt vom Amtsgericht Frankfurt ab.
Der Platz in der Mitte ist zwar für Clemens Börsig reserviert. Doch der designierte Aufsichtsratschef der grössten deutschen Bank kann das Aktionärstreffen nur leiten, wenn das Gericht ihn rechtzeitig zum Aufsichtsrat bestellt und seine Mitaufseher ihn umgehend zum Vorsitzenden wählen. Lassen sich die Amtsrichter Zeit, müssen die 19 Aufsichtsräte womöglich einen anderen Versammlungsleiter küren. Mit Ulrich Hartmann, Heinrich v. Pierer und Jürgen Weber stehen zwar erfahrene Moderatoren, aber keine Deutschbanker bereit.
Was wie eine juristische Randnotiz wirkt, ist nicht die einzige unangenehme Begleiterscheinung, die Deutschlands grösstes Kreditinstitut mit dem Umbau in Vorstand und Aufsichtsrat in Kauf nimmt. Schon zeichnet sich ab, dass das Personalkarussell teuer wird, nur für den Übergang taugt und längst nicht alle Probleme löst.
Eigentlich sollte die ausserordentliche Aufsichtsratssitzung an einem Sonntagnachmittag vor ein paar Wochen, die unter strikter Geheimhaltung stattfand und selbst viele leitende Mitarbeiter überrascht hat, den grossen Befreiungsschlag bringen. Der Rücktritt Breuers sollte nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Medienunternehmer Leo Kirch entschärfen. Es galt auch, interne Konflikte einzudämmen. Denn Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann war mit seinem Oberaufseher Breuer immer wieder aneinander geraten. Höhepunkt war Breuers öffentliches Bekenntnis, er habe seine «Denkkappe» aufgesetzt und suche einen Nachfolger für Bankchef Ackermann.
Solche Eskapaden muss der Düpierte nun zwar nicht mehr fürchten. Mit Finanzvorstand Börsig wechselt ein Mann an die Spitze des Aufsichtsrates, der als ausgesprochen loyal gilt. Auch die Nominierung von Anthony Di Iorio für das Finanz- und Hugo Bänziger für das Risikoressort stärkt Ackermanns Stellung. Wichtige Probleme sind mit dem Austausch der Personen aber nicht vom Tisch. In den Gerichtsverfahren mit dem gescheiterten Medienunternehmer Kirch hilft der Abgang Breuers Ackermann nicht viel weiter. «Herrn Kirch geht es nicht um Köpfe, ihm geht es ums Geld», sagt ein Vertrauter des Medienunternehmers. Im Klartext: Der Franke wird nicht von einer Rache an der Deutschen Bank absehen, nur weil Breuer verschwindet.
Zu gross ist der Schaden, den der Deutschbanker nach Kirchs Meinung dem Medienkonzern zugefügt hat. Breuer hatte in einem Fernsehinterview im Februar 2002 die Kreditwürdigkeit des einstigen Filmehändlers in Zweifel gezogen. Danach brach Kirchs angeschlagenes Imperium zusammen. Im Januar dieses Jahres hat der Bundesgerichtshof prinzipiell die Pflicht der Deutschen Bank zum Schadenersatz bejaht. «Damit war Breuers Rücktritt unausweichlich», sagt ein Grossbanker. Denn Ackermann musste fürchten, dass Kirchs Anwälte versuchen würden, die Hauptversammlung am 1. Juni unter Breuers Leitung für nichtig erklären zu lassen.
Dennoch wird Kirch an dem Aktionärstreffen in zwei Monaten weiter eine Rolle spielen. Der Frankfurter Rechtsanwalt Klaus Nieding, der die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz vertritt, will auf jeden Fall die Frage aufwerfen, ob die Deutsche Bank bei einer möglichen Verurteilung zu Schadenersatz auf Breuers persönliches Vermögen zugreift. Nach dem Aktienrecht dürfte Ackermann seinen Vorgänger nur verschonen, wenn die Hauptversammlung dies ausdrücklich erlaubt. In Frankfurt halten sich hartnäckige Gerüchte, dass sich Breuer seinen Abgang mit einer Absicherung versüssen lässt, die sein Privatvermögen schützt. Die Deutsche Bank schweigt dazu und verweist auf die Schadenshaftpflichtversicherung, die für jeden aktiven und ehemaligen Vorstand abgeschlossen wurde. Ob die Versicherung wirklich zahlt, ist umstritten.
Ebenfalls ins Kontor zu schlagen droht die beschlossene Inthronisation Börsigs als Aufsichtsratschef. Dessen Vorstandsvertrag läuft noch bis 2010. In den vergangenen drei Jahren hat Börsig im Schnitt 5,2 Millionen Euro verdient. Als Oberkontrolleur kann er nur auf einen Bruchteil hoffen. Sein Vorgänger im Aufsichtsrat, Breuer, kam im Jahr bloss auf durchschnittlich 300 000 Euro.
«Bisher war es üblich, dass ein abgeschlossener Vorstandsvertrag ausgezahlt wird», sagt ein Manager der Frankfurter Grossbank. Das heisst: Wenn sich der Gewinn der Deutschen Bank in den kommenden vier Jahren ähnlich wie 2003 bis 2005 entwickelt, stünden dem scheidenden Finanzchef Clemens Börsig rund 20 Millionen Euro zu. Das könnte mit dem Aufsichtsratsentgelt verrechnet werden. Die Deutsche Bank will dazu nicht
Stellung nehmen, Vorstandsvergütungen seien Aufgabe des Präsidialausschusses des Aufsichtsrates.
In jedem Fall werden bei der Deutschen Bank die Ausgaben für die Führungsriege steigen, denn statt vier gibt es künftig fünf Vorstände. Börsigs altes Ressort wird geteilt. Der Amerikaner Di Iorio kümmert sich künftig um die Bilanzen, der Schweizer Bänziger um das Risikomanagement. Eine solche Teilung begrüsst auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. «Die Struktur des Vorstandes», sagt Andreas Halin, Managing Partner der Personalberatung Whitehead Mann in Frankfurt, «ist zukunftsfähig.»
Die Struktur ja, die Besetzung des Vorstandes jedoch nicht. Denn der Vertrag von Tessen von Heydebreck läuft nur noch bis zur Hauptversammlung im Jahr 2007. Und auch Bilanzfachmann Anthony Di Iorio ist nur eine Übergangslösung. Der gebürtige New Yorker wird im September dieses Jahres 63 Jahre alt. Die offizielle Altersgrenze für Vorstände bei der Deutschen Bank liegt bei 62 Jahren, könne aber «in Ausnahmefällen verlängert werden», meint Ackermann.
Und auch über dem Schweizer schwebt ein Damoklesschwert: die Wiederaufnahme des Mannesmann-Prozesses. Zwar wird es immer unwahrscheinlicher, dass das Verfahren noch in diesem Jahr neu aufgerollt wird. Doch der Ausgang bleibt ungewiss. Sollte Josef Ackermann am Ende wegen einer Verurteilung zurücktreten müssen, drängt sich aus dem Vorstand kein Nachfolger auf.
Lange galt Finanzvorstand Börsig für einen solchen Fall als Ersatzchef. Nach seinem Wechsel in den Aufsichtsrat ist er höchstens ein Interimskandidat. «Ein Aufsichtsrat kann nach dem Aktiengesetz nur für ein Jahr in den Vorstand abgeordnet werden», sagt Rechtsanwalt Nieding. Deshalb wird es Börsigs wichtigste Aufgabe sein, einen Kandidaten vorzuhalten – und den Aktionären in der Frankfurter Festhalle vielleicht bald ein weiteres neues Gesicht auf dem Podium zu präsentieren.