Es sind nur Nadelstiche, doch in der Summe schmerzhaft: Joe Ackermann, Chef der Deutschen Bank, lässt kaum eine Gelegenheit aus, seinen besten Mann zu piesacken. Klar, Anshu Jain (48), Chef Investment Banking, verdient 80 Prozent der Gewinne, doch Ackermanns Botschaft ist eine andere: In einer Fussballmannschaft wird nicht zwangsläufig derjenige Captain, der am meisten Tore schiesst. Klar ist die Deutsche Bank heute dank Jains Wachstumskurs mehr angelsächsische Investmentbank als deutschstämmiges Kommerzinstitut, doch «Deutschland hat für uns eine deutlich grössere Bedeutung gewonnen», wie Ackermann kürzlich an der Aktionärsversammlung verlauten liess. Klar hat Jain die Deutsche Bank auf den Vergleichstabellen nach ganz oben gebracht, doch gab es nicht auch umstrittene Deals, für welche die Bank derzeit in den USA angeklagt wird? «Wir wollen unsere Gewinne auf verantwortungsvolle Weise erwirtschaften», so Ackermann. Die «Süddeutsche Zeitung» schrieb, manche Passagen aus der Rede hätten «wie ein Seitenhieb auf Jain» gewirkt.
Jain hört sich solches mit ausdrucksloser Miene an – den Knopf im Ohr, durch den ihm die Aussagen übersetzt werden. Denn der Inder kann kein Deutsch, was im Umfeld von Ackermann genüsslich betont wird.
Der Chef hat mit seinem wichtigsten Mann offenkundig ein Problem. Eigentlich gibt es als Nachfolger für den Schweizer an der Spitze der Deutschen Bank nur einen logischen Nachfolger: Anshu Jain. Er ist nicht nur Geldmacher der Bank, sondern langjähriger Mitarbeiter und als Vorstandsmitglied im höchsten Führungszirkel. Ein Mann ohne persönliche Skandale, verheiratet, zwei Kinder, Vegetarier, dessen Leidenschaft dem Kricketspiel gilt.
Doch Wunschkandidat von Ackermann ist offenbar ein Mann von aussen: Axel Weber, Ex-Chef der Bundesbank. Ihm fehlt zwar die Erfahrung, eine kommerzielle Grossbank zu managen, doch dies ist für Ackermann nebensächlich. Zuletzt überraschte er mit der Aussage, der Chef der Deutschen Bank müsse kein gelernter Banker sein. Einzig der Charakter sei entscheidend, erklärte er gegenüber der «Welt am Sonntag». «Die richtige Persönlichkeit kann alles lernen.» Im engsten Umfeld des Schweizers herrschte Erstaunen, hatte er doch stets das Gegenteil verkündet: Kein Nichtbanker könne ein grosses Institut als CEO führen.
Öffentliche Kandidatenkür. Solche Windungen tragen dazu bei, dass die Frage seiner Nachfolge immer mehr zum Geplänkel wird. In der Presse werden die Vor- und Nachteile der Papabili inzwischen öffentlich durchgekaut. Stand zunächst vor allem Aufsichtsratschef Clemens Börsig in der Kritik, dem die Suche nach einem neuen Vorstandschef obliegt, so wird inzwischen Ackermann selber angeschossen. Denn er verkündete nach der Panne bei der ersten Runde der Nachfolgesuche 2009, als Börsig ausser sich selber keinen Nachfolger für Ackermann präsentieren konnte, dass fortan die Nachfolgefrage von CEO und Aufsichtsrat gemeinsam betreut werde. Als interner Kandidat wird nebst Jain auch Risikochef Hugo Bänziger genannt.
Weil bisher kaum Bewegung in die Sache gekommen ist, schwindet bei den Aktionären die Geduld. Der Investorenvertreter Hermes liess verlauten: «Die nun schon seit Jahren andauernde öffentliche Diskussion schadet nicht nur möglichen Kandidaten, sondern insbesondere auch dem Unternehmen Deutsche Bank.»
Was den Aktionären auch Sorge bereitet, ist die Frage, was geschieht, wenn Jain nicht Chef wird. Würde er die Bank verlassen, müsste die Deutsche Bank bei den Gewinnen wohl gehörig Federn lassen. Zuletzt wurden aus London mahnende Worte an Ackermann gerichtet: Fehlentscheide in der Nachfolgefrage würden ihm persönlich angerechnet werden, lautete die unmissverständliche Botschaft, die Jain-Vertraute in der «Financial Times» platzierten.
Warum also nicht Jain? Das am meisten genannte Argument gegen den Inder ist, dass er in den Kreisen der deutschen Wirtschaft und Politik nicht vermittelbar sei. Zudem werde der Eindruck zementiert, die Deutsche Bank werde endgültig zu einer von London dominierten Investmentbank.
Doch es war ja Ackermann selber, der die Bank nach seinem Antritt als Vorstandschef 2002 im Investment Banking aufbaute, in jenem Bereich, den er als Spartenleiter selber einst geleitet hatte. Es mutet inkonsequent an, einen Investment Banker als Chef einer solchen Bank dann aber abzulehnen.
Die Akzeptanz von Jain hätte der CEO wohl steigern können, wenn er ihn frühzeitig in den entsprechenden Kreisen vorgestellt hätte, immer mit der Botschaft, dass er hinter diesem Mann stehe. Doch noch niemand hat Ackermann wirklich gut über Jain reden gehört – auch nicht im kleinen Kreise.
Für Insider ist der eigentliche Kern des Problems denn auch ein anderer: Ackermann traut Jain im Grund nicht über den Weg. Angst vor Illoyalität ist eine der Sensibilitäten von Ackermann, der seit seiner Zeit bei Credit Suisse durch interne Machtkämpfe traumatisiert ist.
Es war 1996, als Ackermann Konzernchef der Credit Suisse war und mit seinem Präsidenten Rainer E. Gut in Strategiediskussionen verwickelt war. In diesem Umfeld suchte Ackermann auch den direkten Kontakt zu Verwaltungsratsmitgliedern. Bis heute sind Schlüsselfiguren um Rainer E. Gut der Überzeugung, Ackermann habe einen Putsch gegen seinen Präsidenten geplant.
Illoyalitäten. Bei der Deutschen Bank präsentiert sich heute die Situation mit umgekehrten Vorzeichen. Kann es sein, dass der Wundermann Jain, der Kandidat für den Chefposten, ähnlich tickt wie Ackermann selber damals bei der CS?
Es gibt eine Reihe von Illoyalitäten aus London, die Ackermann wohl kaum vergessen hat. Etwa in der Finanzkrise, als Ackermann eine Staatshilfe ablehnte, oder beim Kauf der Postbank, als er sich wenig unterstützt fühlte. Der Kauf der Postbank war Zeichen eines Strategiewechsels, weg von der Dominanz des Investment Banking hin zum Kleinkundengeschäft. Jain nickte den Entscheid im Vorstand zwar ab, doch diesem waren kontroverse Diskussionen vorausgegangen.
Die meisten Investment Banker denken vorrangig in pekuniären Kategorien – wichtig ist der Schutz des eigenen Vermögens. Jain und seine Führungskräfte halten fast 20 Prozent der Aktien der Deutschen Bank, auch dank den üppigen Optionsprogrammen. Mit zwölf Millionen Euro war Jain 2010 sogar besser bezahlt als sein Chef Ackermann.
Mit dem Kauf der Postbank wurde die Bank zwar breiter abgestützt, die Gewinndynamik aber gebrochen. Der Kurs stürzte nach der Übernahme der Postbank-Mehrheit auf den tiefsten Kurs seit Frühling 2009. Ähnliches wird erwartet, würde Geldmacher Jain abtreten.
Gerüchte, das Verhältnis zu Ackermann habe sich zuletzt derart verschlechtert, dass er bereits plane, die Bank zu verlassen, dementierte Jain jüngst in der «New York Times»: «Meine Beziehung zu Joe ist so gut, wie sie immer war in den 15 Jahren, seit wir zusammenarbeiten.» Ackermann selber hat zu Fragen zu einzelnen Nachfolgern bisher öffentlich nicht Stellung genommen.
So wird letztlich die Nachfolgefrage für Jain zu einem Anliegen mit persönlichem Interesse. Nur wenn er die Bank im Rahmen des Nachfolgegerangels nicht verlässt, wird sich ein Kursrückschlag verhindern lassen – und damit auch die Delle im eigenen Vermögen. Wichtigster Nutzniesser eines Ackermann-Nachfolgers namens Jain wäre Jain selber.