Freitagvormittag, elf Uhr. Ein Sondereinsatzkommando von acht Personen erscheint am Zollübergang Weil am Rhein. Die Herren in grasgrünen Uniformen, Springerstiefeln und schusssicheren Westen erinnern an Soldaten aus US-Filmen. Wie immer tauchen sie unangemeldet an einem der acht Autobahnübergänge des Lörracher Hauptzollamtsbezirks auf. Das Sonderkommando des Zollkriminalamtes ist quasi die Elite der Zollbeamten. Während die anderen Kollegen vom Autobahnzollamt zumeist als Einzelkämpfer agieren, fallen die Beamten der S-Truppe zu viert, zu sechst oder gar zu acht ein und holen einen Wagen nach dem anderen aus dem Verkehr.
Ein Zöllner mit Arnold-Schwarzenegger-Figur winkt sogleich den ersten «Kandidaten» aus der Autokolonne:
einen schwarzen Mercedes der S-Klasse mit Karlsruher Nummernschild. Als der Autofahrer die Fensterscheibe herunterlässt, steht auch schon ein Kollege als Personenschutz und zur Sicherung hinter dem Schwarzenegger-Double. «Bitte aussteigen», heisst es für den mittlerweile etwas blass gewordenen Automobilisten. Und schon wird jede Ritze des Fahrzeugs ins Visier genommen, angefangen bei dem Kofferraum, den Fussmatten, den Vorder- und Rücksitzen, der Motorhaube und allen Hohlräumen im Auto. Aus den Fenstern der anderen Autos schauen mitleidige, neugierige und manchmal schadenfrohe Augen herüber. Gelegentlich, wenn auch nicht heute, wird ein besonders «spürsicherer» Kollege zu Hilfe gezogen: Branco, muskulös, vierjährig, ein schwarzer Schäferhund. Jede Währung hat einen anderen Geruch. Egal ob Euro, Dollar oder Schweizerfranken – wo Geld versteckt ist, schlägt er an, bellt und fletscht die Zähne.
«Geldbündel in der Benzinleitung, Goldbarren unter dem Auto, Adressen von deutschen Kunden mit Schweizer Bankkonten, wir haben alles schon gefunden», erzählt ein Kollege des Schwarzenegger-Doubles. Der Fahrer, mittlerweile am Ende seiner Nerven, gibt mit heiserer Stimme zu, dass er 30 000 Euro mit sich führt, und zieht das kleine Bündel mit Geldscheinen aus der Manteltasche. Mit gesenktem Kopf trottet er hinter dem Zöllner ins Hauptgebäude. Ihn erwartet ein Bussgeld in Höhe von fünf Prozent der Gesamtsumme. Denn wer 15 000 Euro oder mehr bei sich hat, muss dies dem Zoll melden. Wohlgemerkt, vor einer Durchsuchung. Ob der Name des Lenkers ans Finanzamt gemeldet wird, fragen wir. «In diesem Fall nicht, denn der Mann war kooperativ», gibt sich der Zöllner wohlwollend. Der Mercedes-Lenker lächelt gequält. Er scheint dem Zöllner nicht ganz Glauben schenken zu wollen.
Dabei hatte er noch Glück im Unglück. Der Zöllner hätte ihn demselben Prozedere unterziehen können wie kürzlich den Mitarbeiter einer Basler Privatbank. Dem Mittdreissiger fiel just beim Zücken seines Passes die Visitenkarte aus seiner Anzugstasche – geradewegs in die Hände des Zöllners. Dieser, im Umgang mit Schweizer Bankern keineswegs zimperlich, schickte ihn zur Leibesvisitation, sodass der Schlipsträger am Ende in Unterhosen in der zwei mal zwei Meter kleinen Kabine stand. Gleichzeitig wurde sein Fahrzeug in der angrenzenden Garage zerlegt. «Routinearbeit» nennen dies die Beamten in Weil am Rhein. In den Genuss dieser Routine gelangte kürzlich auch ein prominenter schweizerisch-deutscher Banker, wie ein weiterer Kollege erzählt. Kein Geringerer als Joe Ackermann höchstpersönlich, der mächtige CEO der Deutschen Bank, wurde zur Leibesvisitation in die Kabine gebeten, derweil sein Fahrzeug durchsucht und sein Chauffeur in die Mangel genommen wurde. «Zwar hat Ackermann gedroht, sich bei einer höheren Instanz zu beschweren, und verlangte meine Dienstnummer», erzählt der Beamte mit sichtlicher Erheiterung, «aber bislang habe ich noch nichts gehört.»
Diese «Routinearbeiten» sind durchaus einträglich. Im Jahr 2003 etwa wurden am Zollamt Weil am Rhein 368 Fälle gezählt, bei denen Autofahrer Geld durch die Grenze schmuggeln wollten. Am Hauptzollamt Singen wurden seit dem Jahr 2000 fünf Milliarden Euro bei Autofahrern sichergestellt, die nicht angemeldet wurden. Daran verdient sowohl das Zollamt, das je nach Schwere des Vergehens 5 bis zu 100 Prozent des jeweils aufgefundenen Gesamtbetrages als Busse ausstellen kann. Die weitaus grössten Profiteure jedoch sind die Finanzämter. Statistiken darüber, wie viel Geld durch Hinweise von Zollbeamten in die Kassen des Finanzministers fliesst, gibt es keine. Doch die Dimensionen werden klar, wenn Rolf Schrott, Zollamtsleiter in Weil am Rhein erzählt: «Wir haben erfahren, dass ein Autofahrer, dessen Namen wir kürzlich dem Finanzamt weiterleiteten, eine Steuernachzahlungsrechnung in Höhe von 1,4 Millionen Euro erhielt. Er hatte lediglich 30 000 Euro dabei, als er geschnappt wurde.»
Dabei ist Zollamt nicht gleich Zollamt. Zwar sind alle Zöllner Jäger, Schwarzgeldjäger, doch mit unterschiedlichen Interessen. Während die Beamten in Weil am Rhein unisono erklären, kein Interesse am Filzen von Schweizer Finanzdienstleistern zu haben, nennt der Zollamtsleiter von Singen, Werner Eberhardt, diese Kontrollen quasi «das primäre Nebenprodukt». Zur Untermauerung seiner Aussage hat er jede Menge Anekdoten parat, wie jene über einen Schweizer, der mit 25 Bündner Nusstorten auf dem Rücksitz über den Zoll fuhr. Es stellte sich schliesslich heraus, dass der Mann für eine Zürcher Bank arbeitete und für seine Kunden in Deutschland Torten mitgenommen hatte – dummerweise inklusive der Kundenadressen.
24 Stunden pro Tag kontrollieren 160 Zollbeamte alle acht Grenzübergänge in Weil und Umgebung. Mittlerweile ist der Grenzübergang personell und technisch so hoch gerüstet, dass er als grösstes Gemeinschaftszollamt Europas gilt. Stark ausgebaut wird derzeit das Zollamt Singen, das den Verkehr Stuttgart–Zürich kontrolliert. Insgesamt 150 Zollkontrolleure sollen demnächst neu eingestellt werden. Ein Grossteil des zusätzlichen Personals kommt von der ehemaligen polnischen und tschechischen Grenze. Doch woran liegt es, dass die Deutschen ihre Zollämter derart hochrüsten?
«Als Schengen-Kandidat ist die Schweiz nun mal ein Drittland und somit EU-Aussengrenze, vergleichbar etwa mit der Ukraine», fällt Werner Eberhardt, Zollleiter vom Grenzübergang Singen sein Urteil. «Doch auch wenn die Schweiz Schengen beitritt, werden zwar die Passkontrollen aufgehoben, nicht jedoch die Zollkontrollen.» Auch der Verantwortliche der Oberfinanzdirektion Karlsruhe, Jürgen Spälten, findet scharfe Worte: «Solange die Schweiz dem Schengen-Abkommen nicht beigetreten ist, werden wir unsere Grenzen ausbauen. Wir machen nicht zum zweiten Mal den Fehler wie damals, als alle glaubten, die Schweiz trete dem EWR bei. Wir hatten unseren Personalbestand abgebaut, um ihn nach dem Nein der Schweiz wieder aufstocken zu müssen.» Und wie geht es nun an unseren Grenzen weiter? «Wenn es zu einem Beitritt kommt, werden wir die Grenzen nicht weiter verstärken», so Spälten.
In Bankenkreisen haben sich mittlerweile die verschärften Kontrollen herumgesprochen, und man reagiert unterschiedlich: «Unsere Kundenbesuche in Deutschland wurden ganz eingestellt», sagt ein Mitarbeiter einer Zürcher Privatbank. Ein anderer erzählt: «Unsere Leute fahren nur noch in Jeans und ohne Prospekte über die Grenze.»
Doch auch das kann zur gefährlichen Falle werden, vor allem für den deutschen Kunden. So wurde kürzlich eine Familie in Frankfurt von ihren Nachbarn beim Finanzamt verpfiffen, nachdem diese beobachtet hatten, dass des Öfteren ein Mann mit Schweizerakzent und Aktenkoffer bei diesen zu Besuch war. Die Folgen: eine Hausdurchsuchung um sechs Uhr in der Früh, das Einfrieren aller Bankkonten, der Vater in Untersuchungshaft. Dies ist keine Ausnahme, weiss Karsten Randt, Fachanwalt für Steuer- und Strafrecht bei Flick Gocke Schaumburg. «Es ist derzeit vielmehr das übliche Vorgehen in Deutschland bei einem Verdacht auf Steuerhinterziehung.»
Für Schweizer Finanzdienstleister wird es somit schwierig, der Aufforderung Pierre Mirabauds, des Vorsitzenden der Bankiervereinigung, beim letzten Basler Bankentag nachzukommen: Der Bankier soll dort sein, wo der Kunde ihn zu treffen wünsche, «off and on the road, under water or in the air».