Welche Ziele verfolgt DHL mit der strukturellen Neuorganisation des Unternehmens in der Schweiz?
Martin Müller-Duysing: Seit der Übernahme von DHL wurden die einzelnen Geschäftsbereiche schrittweise in die Deutsche Post World Net (DPWN) integriert. Dabei wurden die unterschiedlichen Bereiche wie etwa Kurier-/Expressdienst einerseits und die Luft- und Seefracht beziehungsweise die Kontraktlogistik anderseits in separate Firmen integriert. Dieser Schritt wurde nun auch in der Schweiz vollzogen.
Thomas Christ: Wir haben die gemeinsamen Back-Office-Aktivitäten weitgehend zusammengelegt, doch einige Sektoren lassen sich nicht zusammenführen, wie beispielsweise die Verkaufsabteilungen beziehungsweise die Kundenberatung sowie die operativen Abläufe.
Gibt es auch Synergien?
Christ: Absolut. Wünscht ein Kunde umfassende Dienstleistungen entlang der gesamten Supply Chain, kann er sich an unsere Customer Relations Manager die CRM wenden, die ihm ein umfassendes Angebot unterbreiten, welches Dienstleistungen aller Sparten von DHL umfasst.
One-Stop-Shopping ist also möglich?
Müller-Duysing: Aus unserer Erfahrung können wir feststellen, dass nur grosse Kunden und Konzerne ein One-Stop-Shopping wünschen. Die Mehrzahl unserer Kundschaft wünscht von uns individuelle Lösungen.
Bleiben wir vorerst beim Schweizer Paketmarkt. Hier bestehen nach Ansicht der privaten Anbieter noch immer Wettbewerbsunterschiede. Ist dies noch immer so?
Müller-Duysing: Im Vergleich zum europäischen Umfeld besteht in der Schweiz noch immer ein Nachholbedarf, obwohl auch in der Schweiz punkto Liberalisierung einiges geschehen ist. Was unserer Ansicht nach fehlt, ist die Liberalisierung im Briefmarkt sowie ein Plan, wie die Liberalisierung weitergehen soll. Auch die Freigabe von Paketsendungen unter 1 kg ist noch nicht erfolgt. Die Chancengleichheit im Paketmarkt über 1 kg ist noch nicht gewährleistet, Stichworte Nachtfahrverbot und Verzollung rund um die Uhr. Diese Regelungen verkomplizieren unsere logistischen Abläufe und verteuern zudem die Transporte.
Welche Ambitionen hat DHL im Paketbereich? Wie verlief bisher die im November letzten Jahres lancierte Paketaufgabe an den Tamoil-Tankstellen?
Müller-Duysing: Dieser Pilotversuch läuft noch und stiess zur Weihnachtszeit 2004 auf reges Interesse. Gesamthaft betrachtet verlief die Aktion nicht ganz nach unseren Erwartungen, doch wir werden die Aktion mit Tamoil weiterführen.
Damals war auch noch die Rede von weiteren Partnern ausser Tamoil. Wie sieht der Stand aus?
Müller-Duysing: Wir stehen mit einer Detailhandelskette in der Schweiz im Gespräch, können aber noch keine konkreten Angaben machen. Aber auch Bahnhöfe, wo wir bereits unser internationales Produkt «express4you» anbieten, könnten als Paketaufgabestellen in Frage kommen für uns.
Die Briefzustellung soll in den kommenden Jahren ebenfalls liberalisiert werden. Hat DHL Ambitionen in diesem Bereich?
Müller-Duysing: In diesem Bereich Pläne zu schmieden bringt wenig, weil ganz einfach der Zeitplan noch völlig offen ist. Was wir uns aber überlegen, ist das Anbieten neuer Dienstleistungen im elektronischen Bereich. Konkret:Wir könnten unserer Kundschaft aufgrund unserer eigenen Infrastruktur neue innovative Übermittlungsdienstleistungen anbieten, beispielsweise Datenübermittlung, Druck und Versand von Mailings usw.
Frank Appel, Post-Vorstand von DPWN, erklärte kürzlich, man wolle die Position in der Kontraktlogistik ausbauen. Was bedeutet dies für DHL in der Schweiz?
Christ: Auch die DHL Schweiz wird nicht bloss als Frächter oder Lagermeister auftreten, sondern ihre logistische Produktpalette aktiv ausbauen. Der Begriff Kontraktlogistik wird allerdings manchmal etwas «inflationär» verwendet. Rund 65% unserer Kunden, mit denen wir in Geschäftsbeziehung stehen, sind so genannte KMU, welche in erster Linie klassische und global vernetzte Speditionsdienstleistungen verlangen. Etwa die Hälfte unserer Grosskunden in der Schweiz erklärt uns, sie seien noch nicht bereit, ihre internen Logistikprozesse an einen aussenstehenden Dienstleister auszulagern. Die Kontraktlogistik ist ein Bereich, in welchem der Spediteur die Initiative ergreift und dem Kunden Angebote unterbreitet, die ihm helfen, seine produktbezogene Lieferkette möglichst effizient zu gestalten. Das kann vom elektronischen Lagermanagement bis zum transportbezogenen Finanzmanagement reichen.
Ein Sektor also mit Zukunftschancen?
Christ: Auf jeden Fall. Wir betrachten die Kontraktlogistik als ausgesprochenen Zukunftsbereich, denn immer mehr Kunden kommen zur Überzeugung, ihre Supply Chain einem professionellen Dienstleister zu überlassen und sich wieder auf die Kernaktivitäten zu konzentrieren.
Hängt dies auch mit den immer kurzlebigeren Produkten zusammen?
Christ: Davon sind wir überzeugt. Nehmen wir die Hightech-Firmen als Beispiel. Diese haben angesichts der oft kurzen Produktlebenszyklen ihre Bedenken, langfristige Investitionen in den Vertrieb ihrer Erzeugnisse zu tätigen. Anders sieht es in der Maschinenindustrie aus, dort dominiert eine längere Produktlebensdauer, doch vielen Firmen in der Branche fehlen die notwendigen Mittel für grössere Investitionen innerhalb der Supply Chain. In beiden Fällen ist der Kontraktlogistiker ein idealer Partner.
Mit der Auslagerung der Logistik ist die Erwartung des Kunden verbunden, mit diesem Schritt Kosten innerhalb der Supply Chain einzusparen. Nun gibt es aber bereits Berater, die erklären, dieser Trend sei Vergangenheit, in Zukunft werden die Logistikkosten wieder steigen. Was meint DHL Logistics dazu?
Christ: Ja, ich kenne diese Beraterstudie, die Sie ansprechen, dort wird lediglich festgestellt, dass die Wirtschaft nicht so schnell auf die Outsourcing-Angebote reagiert, wie man das hätte annehmen können. Der Grund ist meist der, dass jene Betriebe intern noch nicht bereit sind, einen solchen grundsätzlichen Schritt einzuleiten. Wird die Logistik an einen Lead Logistics Provider (LLP), wie wir das sind, ausgelagert, bestehen jedoch immer massive Einsparungsmöglichkeiten. Je mehr Value Added Services der Logistikprovider anbieten kann und je grösser die Synergiemöglichkeiten im Transportmanagement sind, desto grösser sind die Chancen, mit mittleren und grösseren Kunden ins Gespräch zu kommen.
Wird also der Trend zum Outsourcing weitergehen?
Christ: Davon gehen wir aus, weil der Kostendruck weiter zunimmt, aber auch, weil der Logistikdienstleister Synergien nutzen kann. Ein wichtiges Plus nicht zuletzt auch angesichts der zunehmenden Verkehrskomplexität, die auf uns zukommt.
Ist DHL in der Kontraktogistik eher zu den Non-Asset-Companies zu zählen, also zu denjenigen, die nicht unbedingt eigene Infrastrukturen aufbauen und finanzieren wollen?
Christ: Wir verfolgen die Devise: Assets light. Konkret: Wir wollen Lager viel eher mieten oder leasen und betreiben statt kaufen und finanzieren. Wir erhalten dadurch auch eine grössere Flexibilität, wenn der Kunde seinen Standort wechselt und wir ihm folgen müssen. Dabei gibt es allerdings an ganz speziell wichtigen Standorten Ausnahmen, wo wir uns selbst engagieren. Zum Beispiel unser neuer Hub in Leipzig.
DHL hat Anfang Jahr die Versorgung der Produktion der Scintilla AG inklusive Mitarbeitende übernommen. Ist dieses Beispiel exemplarisch für die Angebote von DHL in der Kontraktlogistik?
Christ: Wir verfügen mit den Anlagen der Scintilla in Solothurn über eine Basis, um unsere Logistikdienstleistungen im Lagerbereich in der Schweiz weiter auszubauen.
Die Optimierung der Supply Chain bedeutet aber nicht nur das Management des Transportes und der Lagerung der Produkte, sondern auch die Optimierung der vor- und nachgelagerten Prozesse. Verfügt DHL Logistics auch über solche spezialisierten Fachleute?
Christ: Ein klassischer Spediteur kann diese vor- und nachgelagerten Prozesse nicht beherrschen. Wir verfügen in unseren Logistik-Abteilungen über so genannte Supply Chain Engineers, welche speziell die Verbesserungsmöglichkeiten innerhalb Produktionslogistik bearbeiten.
Müller-Duysing: Auch im Express-/ Paketbereich sehen wir die Möglichkeit, vermehrt auch interne Prozesse zu übernehmen und zu überwachen.
Sollen die Aktivitäten in der Kontraktlogistik auf weitere Branchen ausgeweitet werden?
Christ: Wir überlegen uns durchaus eine Erweiterung unserer Aktivitäten in verschiedenen Branchen. Denkbar sind hier unter anderem ein Ausbau unserer Logistikdienstleistungen im Perishable-Bereich.
Die Bahnen in Europa haben in jüngster Zeit erhebliche Anstrengungen unternommen, um im Güterverkehr eine aktivere Rolle zu spielen. Welche Bedeutung hat der Bahngüterverkehr für DHL?
Müller-Duysing: Für bestimmte Güter haben sich die Transportangebote der Bahnen etwas verbessert, doch anderseits müssen wir auch feststellen, dass in erster Linie die Wünsche und Anforderungen der Kunden den Transportweg bestimmen. Hier schneiden die Bahnen eben oft eher schlecht ab. Wir versuchen auch für bestimmte Güter - etwa Mineralwasser - vermehrt Bahntransporte durchzuführen.
Profil: Steckbrief
Name: Martin Müller-Duysing
Alter: 44
Ausbildung: Dr. sc. techn.
Familie: Verheiratet
Funktion: Managing Director DHL Express (Schweiz) AG, Basel
Profil: Steckbrief
Name: Thomas Christ
Alter: 51
Familie: Vier Kinder
Ausbildung: Dr.iur., Universität Basel
Funktion: Managing Director DHL Logistics (Schweiz) AG, Basel
DHL Logistics: Weltweit präsent
DHL Logistics erzielte weltweit 2004 einen Umsatz von 6786 Mio Euro (+15,4%) und ein Betriebsergebnis (Ebita) von 281 Mio Euro (36,4%). Die Zahl der Mitarbeitenden beträgt 32000 Personen in 590 Geschäftsstellen. Weltweit werden 300 Logistizentren mit einer Lagerfläche von 3 Mio m2 betrieben. In der Luftfracht ist DHL die Nummer 1, in der Seefracht die Nummer 2 weltweit. In der Kontraktlogistik nimmt DHL Logistics die vierte Position ein. (kb)
DHL in der Schweiz: Doppelt vertreten
Die DHL Express (Schweiz) AG, Basel, umfasst die beiden Geschäftsfelder DHL Express und DHL Freight. Das Unternehmen realisiert mit 1780 Mitarbeitenden einen Umsatz von 510 Mio Fr. In der DHL Logistics (Schweiz) AG, Basel, sind die Bereiche DHL Danzas Air & Ocean (Luft- und Seefracht) sowie DHL Solutions (Kontraktlogistik) zusammengefasst. Der Jahresumsatz dieses Unternehmens beträgt derzeit 490 Mio Fr., beschäftigt werden 530 Personen. (kb)