Im dämmrigen Konzertsaal der Kartause Ittingen spielten junge Musiker das Streichtrio von Gideon Klein. Klein bildete zusammen mit anderen Musikern aus Böhmen und Mähren den Kreis der Theresienstädter Komponisten, die ab 1941 im KZ Theresienstadt inhaftiert und unter dem SS-Oberkommando für Freizeitgestaltung mittels Kammermusik zuständig waren. Nach fast dreijähriger Internierung in Theresienstadt wurden die Komponisten im Oktober 1944 nach Auschwitz gebracht. Die Kollegen wurden bald in der Gaskammer umgebracht, Klein zur Schwerarbeit in einem Kohlebergwerk eingeteilt. Er starb am 27. Januar 1945, einen Tag vor der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee.
In dieser Atmosphäre gedieh die Kompositionskunst der Gruppe, Klein beendete das Trio neun Tage vor seiner Deportation nach Auschwitz. Er übergab die Noten einer Freundin, diese nach Kriegsende der Schwester von Klein.
Das Publikum in Ittingen war tief berührt. Elegische und schwere Töne beschworen die Melancholie und die Verzweiflung der Eingesperrten, dann aber führten mährische Volkstanzweisen hinaus und hinauf zum Licht und zur Energie eines Perpetuum mobile. «Klein hat seine Musik nie gehört, er schrieb sie und wusste nicht, ob sie erhalten wird. Er konnte keinen Vorteil von ihr erwarten, er schrieb, weil es sein inneres Bedürfnis war, seine einzige Lebensweise. In diesem Aspekt erinnert er in der Musik an Schubert und in der Literatur an Kafka. Und wenn das Schreiben die einzige Art der Existenz wird, dann muss es immer etwas Gutes ergeben», kommentiert Vojtech Saudek 1991. Kreation von Schönheit, um existieren zu können.
«Dennoch: Die Schwerter halten vor die Stunde der Welt» (Benn), das praktizierte auch die BBC in den Bombennächten der Schlacht um England, als Teile Londons lichterloh brannten und Tausende starben – und spielte Tanzmusik. London ging nicht unter. Die «Titanic» Jahrzehnte zuvor dank Streichern zumindest stilvoll, wenn auch nach den Walzern ganz zum Schluss mit «Näher, mein Gott, zu dir».
Und im Warschauer Ghetto verhielt man sich wie auf einer meiner Lieblingszeichnungen von Gary Larson: Zwei Teufel beobachten in der Hölle einen jungen Mann, der sichtlich vergnügt pfeifend seine Schubkarre durch die Flammen des Infernos schiebt. «You know we don’t get to this guy», ist der Kommentar des einen Teufels. Gemäss Marcel Reich-Ranicki organisierte die eingesperrte Bevölkerung ein Sinfonieorchester und spielte Vivaldi, Boccherini, Bach und Mozart sowie Walzer von Brahms gegen Hunger, Hoffnungslosigkeit und Tod. Schliesslich haben auch die Jünglinge im Feuerofen hell und laut gesungen.
Wenn Verzweiflung und Grauen die Requisiten für die Entstehung von Schönheit sind, so muss es uns seit langem und auch heute fabelhaft gut gehen: Fett, Speisereste, verbogene Gabeln und geöffnete Konservenbüchsen, in Plastik gegossen, zieren als herausragende Kunstschöpfungen die Museumssäle des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts. Die Sprache degeneriert und welkt heute selbst in der NZZ; von Radio- und Fernsehsemantik wollen wir erst gar nicht reden. Die Kids am Skilift fooden, finden alles Mögliche vollgeil und lassen sich in der hehren Alpenwelt von Megaboxen den Kopf zudröhnen. Missgeburten in Ring-Fantasiewelten bevölkern Gehirne und Kinderzimmer, Ringe durch Nase, Zunge, Vorhaut und wo sonst noch schmücken Schöne und Zukurz- gekommene. Kurzum: Die Kultur des Hässlichen feiert Urständ in der Überflussgesellschaft, und diese sieht keinen Sinn mehr und will sich selbst erfahren.
Dabei hatten wir noch nie so fantastische Möglichkeiten, Schönheit, Sinn und Klarheit im Multipack zu erleben: Friedrich der Grosse oder Fürst Esterházy mussten sich Komponisten und Orchester für standesgemässe Tafelmusik halten. Für uns spielen, so wir wollen, Kissin, Gould oder die Wiener Philharmoniker. Für 2000 Franken habe ich mir 20 Kilogramm Johann Sebastian Bach – das Gesamtwerk auf CD, 70 Stunden – gekauft. Die Abende geströmten Blaus, wo ich mich zu den Klängen der Bach-Trompeten sammle, können kommen. Im dämmrigen Konzertsaal der Kartause Ittingen spielten junge Musiker das Streichtrio von Gideon Klein. Klein bildete zusammen mit anderen Musikern aus Böhmen und Mähren den Kreis der Theresienstädter Komponisten, die ab 1941 im KZ Theresienstadt inhaftiert und unter dem SS-Oberkommando für Freizeitgestaltung mittels Kammermusik zuständig waren. Nach fast dreijähriger Internierung in Theresienstadt wurden die Komponisten im Oktober 1944 nach Auschwitz gebracht. Die Kollegen wurden bald in der Gaskammer umgebracht, Klein zur Schwerarbeit in einem Kohlebergwerk eingeteilt. Er starb am 27. Januar 1945, einen Tag vor der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee.
In dieser Atmosphäre gedieh die Kompositionskunst der Gruppe, Klein beendete das Trio neun Tage vor seiner Deportation nach Auschwitz. Er übergab die Noten einer Freundin, diese nach Kriegsende der Schwester von Klein.
Das Publikum in Ittingen war tief berührt. Elegische und schwere Töne beschworen die Melancholie und die Verzweiflung der Eingesperrten, dann aber führten mährische Volkstanzweisen hinaus und hinauf zum Licht und zur Energie eines Perpetuum mobile. «Klein hat seine Musik nie gehört, er schrieb sie und wusste nicht, ob sie erhalten wird. Er konnte keinen Vorteil von ihr erwarten, er schrieb, weil es sein inneres Bedürfnis war, seine einzige Lebensweise. In diesem Aspekt erinnert er in der Musik an Schubert und in der Literatur an Kafka. Und wenn das Schreiben die einzige Art der Existenz wird, dann muss es immer etwas Gutes ergeben», kommentiert Vojtech Saudek 1991. Kreation von Schönheit, um existieren zu können.
«Dennoch: Die Schwerter halten vor die Stunde der Welt» (Benn), das praktizierte auch die BBC in den Bombennächten der Schlacht um England, als Teile Londons lichterloh brannten und Tausende starben – und spielte Tanzmusik. London ging nicht unter. Die «Titanic» Jahrzehnte zuvor dank Streichern zumindest stilvoll, wenn auch nach den Walzern ganz zum Schluss mit «Näher, mein Gott, zu dir».
Und im Warschauer Ghetto verhielt man sich wie auf einer meiner Lieblingszeichnungen von Gary Larson: Zwei Teufel beobachten in der Hölle einen jungen Mann, der sichtlich vergnügt pfeifend seine Schubkarre durch die Flammen des Infernos schiebt. «You know we don’t get to this guy», ist der Kommentar des einen Teufels. Gemäss Marcel Reich-Ranicki organisierte die eingesperrte Bevölkerung ein Sinfonieorchester und spielte Vivaldi, Boccherini, Bach und Mozart sowie Walzer von Brahms gegen Hunger, Hoffnungslosigkeit und Tod. Schliesslich haben auch die Jünglinge im Feuerofen hell und laut gesungen.
Wenn Verzweiflung und Grauen die Requisiten für die Entstehung von Schönheit sind, so muss es uns seit langem und auch heute fabelhaft gut gehen: Fett, Speisereste, verbogene Gabeln und geöffnete Konservenbüchsen, in Plastik gegossen, zieren als herausragende Kunstschöpfungen die Museumssäle des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts. Die Sprache degeneriert und welkt heute selbst in der NZZ; von Radio- und Fernsehsemantik wollen wir erst gar nicht reden. Die Kids am Skilift fooden, finden alles Mögliche vollgeil und lassen sich in der hehren Alpenwelt von Megaboxen den Kopf zudröhnen. Missgeburten in Ring-Fantasiewelten bevölkern Gehirne und Kinderzimmer, Ringe durch Nase, Zunge, Vorhaut und wo sonst noch schmücken Schöne und Zukurz- gekommene. Kurzum: Die Kultur des Hässlichen feiert Urständ in der Überflussgesellschaft, und diese sieht keinen Sinn mehr und will sich selbst erfahren.
Dabei hatten wir noch nie so fantastische Möglichkeiten, Schönheit, Sinn und Klarheit im Multipack zu erleben: Friedrich der Grosse oder Fürst Esterházy mussten sich Komponisten und Orchester für standesgemässe Tafelmusik halten. Für uns spielen, so wir wollen, Kissin, Gould oder die Wiener Philharmoniker. Für 2000 Franken habe ich mir 20 Kilogramm Johann Sebastian Bach – das Gesamtwerk auf CD, 70 Stunden – gekauft. Die Abende geströmten Blaus, wo ich mich zu den Klängen der Bach-Trompeten sammle, können kommen.