Gute Botschaft für Patienten mit unheilbarem Darmkrebs verkündete Anfang Juni das führende «New England Journal of Medicine»: Eine Behandlung mit Irinotecan, einem neuen Zytostatikum, und Bevacizumab, einem Antikörper gegen Ziele in Krebszellen, verlängert das Leben um 4,7 Monate – pro Patient kostet das 43 000 bis 55 000 Dollar. Falls alle US-Patienten diese Therapie erhalten, macht das 1,5 Milliarden pro Jahr. Fünf Wochen später war zu lesen, dass auch Cetuximab, eine andere «smart bomb», das Leben solcher Patienten verlängert – um 1,7 Monate, Kosten: 30 000 Dollar pro Patient. Wir haben es also herrlich weit gebracht. Seit den ersten zaghaften Chemotherapieversuchen vor dreissig Jahren hat sich das mittlere Überleben solcher Patienten verdoppelt, der Aufwand für die zusätzlichen zehn Monate kostet 340- bis 500-mal mehr als die Steinzeittherapie von 1970.
Auch das Überleben und die Lebensqualität von Herzpatienten haben sich dramatisch verbessert. Der neuste Schrei hier heisst kardiale Synchronisation: «Hightech»-Schrittmacher stimulieren beide Herzkammern gleichzeitig, die Atemnot nimmt ab, der Patient kann in sechs Minuten 425 statt nur 375 Meter gehen, und wenn eine tödliche Rhythmusstörung kommt, so wird sie dank Defibrillator vielleicht erfolgreich mit einem Stromstoss behandelt. Materialkosten je nach Modell: 20 000 bis 70 000 Franken.
Solcher Fortschritt scheint den Gesunden klein und zu teuer, für die Patienten bedeutet er Hoffnung und noch einige Zeit mit den Lieben. Kaum ein Kranker beschwert sich über die Kosten, wohl aber tun dies die Gesunden. Und mit Sicherheit werden Politiker, Gesundheitsökonomen, «Blick» und das gesunde Volk das rituelle Herbstgeschrei über die unbezahlbare Gesundheit wieder anstimmen, wenn jetzt die neuen Tarife der Krankenkassen öffentlich werden. Da werden wieder Moratorien für neue Behandlungsmethoden und Medikamente gefordert, und handkehrum folgt das klassenkämpferische Gejammer um die Zweiklassenmedizin, da die Reichen und Zusatzversicherten sich natürlich weiterhin alles werden leisten können. Dabei verdrängen die fundamentalistischen Schreihälse, dass alle Güter vielklassig verteilt werden. Zwar bliebe den Unterprivilegierten der schwache Trost, dass nicht alle Operationen nötig sind und dass ein allgemein Versicherter am Schluss seines Lebens eventuell weniger lang an Maschinen angeschlossen auf Erlösung warten muss. Solche Einsicht ist aber selten, alle wollen alles, sofort und in bester Qualität. Die Umfragen zeigen Anspruchshaltung, Vollkaskomentalität und eine Tendenz zur Zechprellerei.
Darum und weil weitere teure Neuerungen mit Sicherheit kommen, werden die Kosten des Gesundheitswesens weiterhin jährlich um fünf bis zehn Prozent wachsen. Dies wird trotzdem irgendwie bezahlt werden, so wie unsere Mobilität, für die wir nach wie vor hier zu Lande bedeutend mehr ausgeben als für das Gesundheitswesen. Denn krank machen auch die unendliche Freiheit auf der Harley und der Strand von Kreta keinen Spass.
Trotzdem wäre da Rationalisierungspotenzial. Die gut aufgewärmten dirigistischen Rezepte von Gerhard Kocher und die unausgegorenen Vorstellungen von weit rechts wären teilweise ohne Qualitätseinbusse umsetzbar. Aber: Wo immer auch nur der schüchterne Versuch gemacht wird, zu rationalisieren oder gar einzuschränken, erhebt sich flammender Protest der Betroffenen, ob Pflegeperson, Heiler, Herzchirurg, Spitaldirektor oder Sozialarbeiterin, und schreckt und hemmt selbst so mutige Seelen wie Verena Diener oder Pascal Couchepin. Wohin auch mit den von Spitalschliessungen betroffenen Entlassenen? Und warum sollten wir eigentlich die Branche mit den besten Wachstumszahlen des Landes hemmen, schliesslich leben direkt oder indirekt zehn Prozent unserer Bevölkerung vom Gesundheitswesen, Tendenz steigend.
Deswegen rüstet die Hirslanden-Gruppe auf, beim Krebs ist noch viel zu holen. Fernsehdoktoren werben für mehr Konsum, allerlei Menschennischen wuchern munter weiter, und wir werden zum Wohle aller im Gesundheitsdurcheinandertal weiterwursteln. Trostvoll wäre es, wenn auch die US-Strategen ihre «smart bombs» vermehrt gegen «cancer targets» richteten und dabei die Ziele in Syrien, Iran und Nordkorea vergässen.