Die Globalisierung bedinge neue Unternehmensgrössen, und die seien nur mit einer Fusion zu erreichen, meinten die Manager unisono. Was haben sie uns nicht alles versprochen: höhere Umsätze - und insbesondere stark steigende Gewinne. Die Rechnung schien logisch, und die Aktienkurse stiegen. Doch was ist bloss aus den fusionierten Grosskonzernen geworden?
Das von der Finanzdienstleistungsfirma KK Research Ltd. erstellte Bilanz-100-Rating der besten 100 börsenkotierten Schweizer Unternehmen rückt die Unternehmenszusammenschlüsse in ein etwas anderes Licht. Viele fusionierte Firmen haben bei genauerer Betrachtung noch längst nicht alle Versprechen eingelöst.
«No wart is ab» spotteten viele Beschäftigte, die sich die Stossrichtung des neuen Pharmagiganten mit dem künstlichen Namen damals nicht so recht ausmalen konnten. Diese Zweifel vermochte das Management in den gut drei Jahren seit der Fusionsankündigung nicht auszuräumen, und die von Novartis-Architekt Marc Moret bei der Fusion angekündigte vervielfachte Innovationskraft liess sich noch nicht in eine prallvolle Produktepipeline ummünzen. Und so figuriert denn das Börsenschwergewicht statt irgendwo unter den Top 10 im Bilanz-100-Rating auf Rang 60 - ganze 44 Plätze schlechter als im Vorjahr. Konzernchef und Verwaltungsratspräsident Daniel Vasella steht vor der schwersten Aufgabe seines Lebens.
Nicht besser ist es UBS-Chef Marcel Ospel ergangen. Mit seiner Superbank ist er gar aus den besten 100 Rängen verschwunden. Und auch die Credit Suisse Group ist von Rang 6 auf Rang 67 zurückgefallen. Und das, obwohl gerade die zwei Grossbanken von der Testanlage des Ratings massiv profitieren könnten (siehe Kasten «Wie die Spreu vom Weizen getrennt wurde»). Für die Berechnungen des Gewinnwachstums greift die KK Resarch Ltd., die für das Bilanz-100-Rating die Daten liefert, nämlich auf die operative Gewinnentwicklung zurück. Die milliardenschweren Rückstellungen wurden den Grossbanken also im Rating nicht belastet, wie Günter R. Käser von KK Research erklärt. Vielmehr böten gerade diese Rückstellungen eine gute Basis für künftige Ertragssteigerungen. Doch die Grossbanken wussten die Gunst der Stunde nicht zu nutzen.
Clariant, die letztjährige Nummer 2 im Bilanz-100-Rating, fiel auf Rang 43 zurück. Weil die Chemie bei der angepeilten Fusion mit Ciba, die von Platz 9 auf Platz 107 zurückfiel, nicht stimmte, fragen sich ohnehin viele Anleger verunsichert, wie es strategisch weitergehen soll. Und auch Swiss Re, der Star des letzten Jahres, büsste massiv Terrain ein. Geschadet haben dem einstigen Börsenliebling vor allem die schlechte Performance und ein unterdurchschnittliches Umsatzwachstum.
Rolf Hüppis Zurich Financial Services überzeugt einigermassen. Dem Versicherer und Vermögensverwalter gelang der Sprung von Rang 15 auf Rang 8. Doch der Konzern schockte die Anleger unlängst mit zusätzlichen Rückstellungen zur Deckung der Fusionskosten. Und auch der Pharmakonzern Roche, dem immerhin eine Verbesserung um 10 Ränge auf Platz 16 glückte, macht derzeit angesichts der milliardenschweren Klagen im Zusammenhang mit dem gefallenen Vitaminkartell nicht eben eine gute Figur.
Erfreulich ist einzig die Leistung des Stellenvermittlers Adecco, dessen Aktien ab Juli in den wegweisenden Schweizer Aktienindex SMI aufgenommen werden. Dem von John P. Bowmer geleiteten, global tätigen Konzern wäre es fast gelungen, die Phalanx der drei auf dem Podest stehenden Privatbanken zu sprengen. Einzig die Tatsache, dass die Fusion zwischen Adia und Ecco im Jahr 1996 aufgrund fehlender Gewinndaten bei Ecco keine saubere Berechnung der Margen zulässt (Adecco erhält dafür bei diesem Kriterium die Note 1), hat dies verhindert.
Doch die wichtigsten Firmen der Schweiz zeigen deutliche Ermüdungserscheinungen, nicht nur in der Rangierung über alle acht Kriterien. «Die Globalisierung ist für viele Grosskonzerne im letzten Jahr zum Bumerang geworden», kommentiert Lorenz Reinhard, Fondsmanager für Schweizer Aktien bei der Julius Bär Asset Management. Viele global tätige Firmen hätten direkt oder indirekt unter dem Einbruch in verschiedenen früheren Wachstumsmärkten wie Asien oder Russland gelitten. Und das ist auch an der Börse nicht ohne Folgen geblieben.
Im längerfristigen Betrachtungszeitraum figuriert mit der Credit-Suisse-Aktie nur ein gewichtiger Blue Chip unter den 10 Aktien mit der besten Performance (siehe Tabelle «Die Beständigen: Spitzenränge im Dreijahresvergleich»). In die ersten 25 Ränge schafften es immerhin auch Swiss Re, Nestlé und Novartis. Doch je kürzer der Zeithorizont, desto stärker fallen die Liebkinder der Aktionäre ab. In die Top 10 über knapp anderthalb Jahre schaffte es gar kein Börsenschwergewicht (siehe Tabelle «Die grössten Exploits»). Erst auf Platz 25 folgt mit Swisscom der von vielen unterschätzte Börsenneuling des letzten Jahres.
Den Anforderungen in einer globalisierten Welt scheinen derzeit vor allem die kleinen Unternehmen gewachsen zu sein. Auffallend viele Nischenplayer mit hohem Exportanteil finden sich im Bilanz-100-Rating in Toppositionen. «Die Stars der Zukunft sind jene Unternehmen, die mit guten Produkten, einer prallvollen Produktepipeline und weitverzweigten Vertriebskanälen ein sattes Umsatzwachstum generieren können, das ein proportionales, oder besser noch überproportionales Gewinnwachstum nach sich zieht», schrieb Bilanz letztes Jahr.
Und hier sind sie: Bachem, bestes Unternehmen in der Kategorie Industrie, mit dem Börsengang 1998 neu ins Rating aufgenommen. Peter Grogg stellt mit seinen gut 300 Beschäftigten Peptide für die Pharma- und Biotechindustrie her. Die erfreuliche Marge in diesem komplizierten Geschäft beschert dem Weltmarktführer stark und regelmässig steigende Gewinne. Kudelski plus 27 Ränge auf Rang 9: Der Hersteller von sogenannten Smart Cards und Decodern für Pay-TV-Geräte erzielt ausser beim Umsatzwachstum für das abgelaufene Geschäftsjahr Höchstnoten. André Kudelski, Vertreter der zweiten Generation, hat es auch zum Weltmarktführer gebracht. Ebenfalls erfolgreich in einer Nische positioniert ist die in der Automatenverpflegung tätige Selecta. Im Mai 1997 aus dem Berner Valora-Konzern herausgelöst, wurde der klassische Spin-off an der Börse zuerst mit Skepsis begutachtet. Doch die gute Gewinndynamik über die letzten Jahre strafte die Skeptiker Lügen und katapultierte die Firma im Rating von Rang 70 auf Rang 13. Das ärgert jetzt einige Valora-Aktionäre.
Soeben hat der ehemalige Mutterkonzern nämlich das letzte grosse Selecta-Paket veräussert. Immerhin hat der Konsumgüterkonzern selber einen riesigen Sprung nach vorne gemacht und liegt jetzt auf Rang 76. Also, der führende Logistiker im Computer- und Software-Bereich, erzielte grösstenteils Höchstnoten und arbeitete sich im Bilanz-100-Rating gewaltig nach vorn. Und das, obwohl die operativen Daten des vergleichsweise kleinkapitalisierten Unternehmens nicht mit dem Faktor 1, sondern nur mit dem Faktor 0,7 gewichtet wurden. Diese Sicherung wurde ins Rating eingebaut, um die gewöhnlich agileren Kleinunternehmen gegenüber den Grossen nicht zu bevorzugen. Mit dem gleichen Handicap schafften in der Medizinaltechnik die Stratec (Rang 20) und die seit Juni 1998 an der Börse kotierte Straumann den Sprung in die besten 25 Unternehmen. Im vergangenen Jahr ist Stratec in eine Wachstumsdelle geraten, doch die Fusion mit Konkurrent Synthes wird im kommenden Jahr wieder für einen guten Rang sorgen.
«Diese interessanten Nischenplayer werden in den nächsten Jahren weiterhin gute Plätze belegen», prognostiziert Bär-Fondsmanager Lorenz Reinhard. Auch Patrick Rieter, bei Darier Hentsch in Zürich für das institutionelle Geschäft zuständig, sieht die stark wachsenden Firmen auf dem Vormarsch. Den eindrücklichen Sprung von Logitech begründet Rieter mit der Konzentration aufs Kerngeschäft und der Internetphantasie.
Die eindeutigen Sieger des zum zweitenmal auf der gleichen Basis durchgeführten Bilanz-100-Ratings sind die mittleren und kleinen Vermögensverwaltungsbanken. Schon letztes Jahr belegten die drei börsenkotierten Privatbanken Sarasin, Julius Bär und Vontobel die Ränge 3 bis 5. Als vorübergehendes Phänomen hatte Bilanz diesen Exploit taxiert. Doch weit gefehlt. Die gute Börse und ein überdurchschnittlicher Anstieg der verwalteten Vermögen - UBS-Fusion sei Dank - haben den drei Privatbanken erneut zu besten Rangierungen verholfen. Mit der VP Vaduz und der Liechtensteinischen Landesbank haben es zwei weitere reine Vermögensverwaltungsinstitute in die ersten 11 Ränge gebracht. Und sogar die nicht allein auf die einträgliche Verwaltung von hohen Vermögen spezialisierten Kantonalbanken der beiden Basler Halbkantone machen eine sehr gute Figur.
Die Versicherer hingegen vermochten die hochgesteckten Erwartungen nicht einzulösen, obwohl auch sie einen substantiellen Teil ihrer Erträge mit Börsengewinnen erwirtschaften. Mit Ausnahme von Generali sind alle kleinen und mittleren Firmen zurückgefallen; Bâloise und Waadt sind sogar aus den besten 100 Rängen gefallen. Zumindest punktuell ist die Maschinenindustrie aus der Lethargie erwacht. Die drei Maschinenhersteller Netstal, Schweiter und Mikron haben sich teilweise massiv nach vorn gearbeitet. Sie glänzen operativ mit hervorragenden Zahlen. Und auch der Liftbauer Schindler hat den Sprung unter die ersten 30 geschafft. «Industrieunternehmen sind, verglichen mit Firmen aus anderen Branchen, langfristig besser in der Lage, nachhaltig Erfolg zu generieren», sagt Günter R. Käser. Das bestätigt indirekt auch Pictet-Chefanalyst Mirko Sangiorgio, der in einer umfangreichen Studie zur Unterbewertung der sogenannten Small Caps festgestellt hat, dass die Gewinne der kleinen Firmen viel weniger stark schwanken als jene der Blue Chips.
Lorenz Reinhard ist über die Konstellation des Ratings nicht erstaunt. «Die grossen Unternehmen haben Mühe, mit dem Tempo der kleineren mitzuhalten», meint er. Ausserdem seien die kleinen und mittleren Unternehmen an der Börse viel günstiger bewertet und hätten erst noch Potential, doppelt Käser nach. KK Research hat denn auch die Kursentwicklung der letzten drei Jahre der Gewinndynamik über die gleiche Periode gegenübergestellt. Und siehe da: Gemessen an dieser Verhältniszahl, sind die Kurse der Blue Chips teilweise massiv schneller gestiegen als die zugrundeliegenden Gewinne im operativen Geschäft. Verteilten die Aktionäre also in Erwartung steigender Gewinne bei den grosskapitalisierten Werten Vorschusslorbeeren, liessen sie viele dynamische Kleinunternehmen sträflich links liegen. Der Börsenneuling Gretag Imaging, Hersteller von Geräten für die Fotoverarbeitung, kam bislang trotz hervorragenden operativen Zahlen nicht vom Fleck. Sowohl Käser und Reinhard prognostizieren dem Regensdorfer Unternehmen ein baldiges Erwachen.
Auch Saia Burgess, Feintool, Elma und Unilabs - alles vergleichsweise junge Unternehmen - werden unter ihrem Wert geschlagen. Müssen die Anleger also umdenken, ihre bislang heissgeliebten Blue Chips für die ihnen weniger bekannten kleinen und mittleren Unternehmen hergeben? Die drei von bilanz befragten Experten sind sich einig: Im kommenden Jahr dürfte die Rangliste ein ähnliches Bild präsentieren. «In den letzten drei Jahren hat der starke Zinsrückgang die Investoren zur Aufstockung der Aktienquote gezwungen. Das taten sie vor allem via Blue Chips. Doch jetzt sind die Anleger selektiver geworden und kaufen vermehrt Aktien von kleineren und mittleren Unternehmen», sagt etwa Reinhard. «Weil die Sektoranalyse die Länderanalyse ablöst, werden die Small und Mid Caps besser durchleuchtet», ergänzt Patrick Rieter. Und auch Günter R. Käser traut den Kleinen Grosses zu.
Doch aufgepasst: In der Vergangenheit ist es der Gesamtheit der kleinen Firmen nie gelungen, die Grossen über Jahre in den Schatten zu stellen. Nur ganz wenige konnten im langjährigen Vergleich mithalten. In ausgeprägt steigenden Börsen sind es aufgrund ihrer hohen Kapitalisierung die Blue Chips, die den Ton angeben. In unsicheren Zeiten hingegen holen die kleinkapitalisierten Titel jeweils mächtig auf - bis zur nächsten ungestümen Hausse. bilanz rät: Passive, langfristig orientierte Investoren sollten sich am Index orientieren und von einem Schweizer Aktiendepot maximal 20 Prozent in Small Caps investieren. Das entspricht dem Gewicht im Index. Aktive Anleger hingegen können die kleineren und mittleren Unternehmen gegenwärtig getrost übergewichten. Beim nächsten Rallye heisst es allerdings: Umschichten in die Börsenschwergewichte.