Mit Cargo Domino wollen die SBB den Binnengüterverkehr neu aufmischen. Die positiven Erfahrungen der am Pilotprojekt beteiligten Grosskunden haben den Verwaltungsrat der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) bewogen, ein Investitionsprogramm in Höhe von 32,2 Mio Fr. für den Ausbau dieses Kombiverkehrsprodukts zu bewilligen.

Mit dem Geld beschafft SBB Cargo eine erste Serie von 165 Tragwagen sowie rund 270 Isolier-, Kühl- und Schiebeplanenbehälter. Alle drei Typen eignen sich für palettierbare und Flüssigprodukte, fassen jeweils 18 Paletten, sind für ein Gesamtgewicht von 16 t konzipiert und lassen sich auch mit konventionellen Krananlagen umschlagen. Die Auslieferung soll im Frühjahr 2003 beginnen. Kunden mit zusätzlichem Containerbedarf müssen diesen auf eigene Rechnung decken.

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zukünftige Bahnkunden vertrösten müssen

Laut Nicole Zeller-Sigrist, Produktmanagerin Cargo Domino, ist die Marktresonanz «so gross, dass wir einige Kunden bis zur Ablieferung der bestellten Behälter vertrösten mussten». Derzeit bedient Cargo Domino bereits zehn Kunden; täglich sind bis zu 65 Wechselbehälter im Einsatz.

Gestützt auf bereits unterzeichnete Verträge prognostiziert SBB Cargo, dass sich ihr Transportvolumen bis Mitte nächsten Jahres auf täglich 140 Behälter mehr als verdoppeln wird. Ihr Management ist zuversichtlich, diese Leistung kontinuierlich steigern zu können. Zurzeit beschränkt sich der Cargo-Domino-Radius auf den Binnenverkehr. Doch SBB Cargo attestiert auch den internationalen Verkehren ein interessantes Potenzial. Dieses gelte insbesondere für die starken deutschen und italienischen Wirtschaftsräume, erläutert Nicole Zeller.

«Dank Isotherm- und Kühlbehältern haben wir erstmals die Chance, temperaturgeführte Waren, die bisher nur auf der Strasse befördert werden konnten, auf der Schiene zu transportieren. Damit sprechen wir ein neues Kundensegment an», unterstreicht Rolf Ryser, SBB-Cargo-Verkaufsleiter Handel/Agro. Cargo Domino ist eine modifizierte Version des in die Tage gekommenen Mobiler. Herzstück des Nachfolgemodells ist das von SBB Cargo entwickelte Umschlaggerät Nick. Beide Systeme sind weit gehend identisch. Sie setzen dieselben Behälter- und Tragwagenanpassungen voraus.

Der Hauptvorteil des SBB-Konzepts besteht darin, dass der Lastwagen-Umschlag wahlweise an der linken oder rechten Flanke des Tragwagens erfolgen kann bei problematischen topografischen Bedingungen und limitierten Umschlagflächen ein klarer Vorteil.

Im Gegensatz zum konventionellen Terminalumschlag, der auf den Einsatz schienengebundener oder mobiler Hebegeräte angewiesen ist, basiert Cargo Domino auf dem Horizontalumschlag. Voraussetzung für seine Kombitauglichkeit ist die technische Harmonisierung zwischen Behälter, Tragwagen und Lastwagen. Die Anpassung an den Containertragwagen ist minimal. Durch Aufschweissen von Querblechen entstehen Auflageflächen als Abstützung für das Umschlaggerät. Wechselbrücken für den Horizontalumschlag benötigen einen Querkanal als Führungsschiene für das Umschlaggerät.

Der grösste Anpassungsbedarf gilt den Trucks. Ihre Chassis müssen auf Kosten der Transportunternehmen mit dem Umschlaggerät bestückt sein. Dieses ruht beim Transfer sowohl auf dem Tragwagen wie auf den Lastwagen-Hydraulikstützen. So entsteht ein günstiges Tara-Brutto-Verhältnis. Den privaten Investitionsaufwand für die Umrüstung relativiert die SBB Cargo mit dem Argument: «Die Strassentransporteure profitieren von der Nutzung eines Systems, dessen Entwicklungskosten wir getragen haben.» Mit diesen technischen Grundvoraussetzungen liess sich ein Transportsystem schaffen, das die Vorteile der Verkehrssysteme Schiene und Strasse nahezu ideal kombiniert.

Dazu hat es in der Eisenbahngeschichte zwar diverse Ansätze gegeben. Aber mit Ausnahme des Abroll Container Transport Systems (ACTS) ist keiner über das Versuchsstadium hinausgekommen.

«Der entscheidende Unterschied zum klassischen Kombinierten Verkehr besteht darin, dass Cargo Domino ohne teure und Platz fressende Terminals auskommt», rekapitulierte Zeller-Sigrist. Das System braucht auch keine Umschlagkräne. Bei ihm fährt die kleine kompakte Umschlagvorrichtung immer auf dem Lastwagen mit.

Praktische Demonstrationen der Abgabe und Übernahme eines Behälters bestätigen Spezifikationen, wonach der vom Lastwagen-Chauffeur per Fernbedienung gesteuerte Transfer lediglich 5 bis 7 Minuten beansprucht. Hingegen dürfte der SBB-Cargo-Kommentar, mit Cargo Domino biete sie als Full-service-Dienstleister Haus/ Haus-Transporte an, in der Strassentransportbranche wohl für einiges Unbehagen sorgen. Fest steht, dass sich Cargo Domino auch für den Einsatz in dezentralen Regionen mit geringem Ladungsaufkommen eignet. Zurzeit beschränkt sich das Angebot auf zehn Bahnhöfe. Deren Zahl soll mittelfristig verdoppelt werden. In der Regel lassen sich selbst vermeintlich ungeeignete Bahnhöfe mit geringfügigen Modifikationen Cargo-Domino-tauglich machen.

auch ein bisschen einstiegshilfe

Die SBB Cargo preist das System als «Einstiegshilfe für verlagerungswillige Unternehmen». Kunden, die bislang völlig auf den Strassentransport gesetzt haben, können ihre Logistikkette mit Cargo Domino ohne grössere Investitionen auf den Bahntransport umstellen. Sie müssen weder ihre internen Abläufe und Infrastrukturen anpassen noch zusätzliches Personal einstellen. Dieser Lockruf gilt insbesondere Kunden mit zeitkritischen und verderblichen Gütern.

«Cargo Domino schliesst eine Lücke in unserem Sortiment», konstatiert SBB-Cargo-Chef Daniel Nordmann. «Bis vor kurzem konnten wir Binnenverkehrskunden, die über kein Anschlussgleis verfügen oder zu weit von einer Freiverladeeinrichtung entfernt sind, keine interessanten Angebote unterbreiten. Denen blieb für ihre Transportbedürfnisse meistens nur der Camion. Cargo Domino schlägt die Brücke zwischen Firmenareal und Bahnnetz.»

Beim Einsatz dieses Systems steigt die Komplexität der Transportkette. Deshalb erfordert sie nach SBB-Cargo-Lesart «eine ungeteilte Transportführerschaft durch die Bahn». Begründung: Über den Bahntransport hinaus bedürfe es der Organisation und Koordination des strassenseitigen Vor- und Nachlaufs in Kooperation mit örtlichen Transportunternehmen. Mehr noch: Da viele Kunden für das komplette Servicepaket aus einer Hand optierten, müsse die Bahn die Behälter beschaffen, zur Verfügung stellen und warten.

Mit Cargo Domino, konzediert Nordmann, gehe die SBB Cargo nun «auch auf die Strasse». Somit erweitere sie ihre Produktpalette um ein echtes Haus/Haus-Angebot. Gleich den grossen Umschlagterminals, die im Import- und Exportverkehr Bahn-Strasse-Transportketten schliessen, sei Cargo Domino für abseits von Gleisanlagen operierende Binnenverkehrskunden die Alternative zum Lastwagen. Nordmann: «Terminals an jeder Ecke zu bauen, wäre wirtschaftlich wenig sinnvoll. Wir machen die Bahn für neue Kundensegmente attraktiv.»

CARGO DOMINO

Virtuelles Anschlussgleis

Die SBB-Cargo-Strategie stützt sich auf zwei Säulen: Den alpenquerenden und den Binnenverkehr. Am schweizerischen Güterverkehr hält das Unternehmen einen Anteil von gut 30%. Die Schweiz ist das einzige europäische Land, in dem Detailhandelsketten einen stattlichen Umfang ihrer Transportlogistik der Bahn anvertrauen. Migros, Coop und die Bon-appétit-Gruppe (Usego AG) nutzen längst die Schiene; in jüngerer Zeit sind Denner und Manor hinzugekommen.

Positive Marktresonanz hat die SBB Cargo veranlasst, ihre Position im Binnenverkehr durch Einführung neuer Produkte zu zementieren. So hatte sie im Juli 2001 den Cargo Express, einen Nachtsprung-Service für den Wagenladungs-, Container- und Wechselbehälterverkehr, ins Leben gerufen. «Inzwischen ist das Produkt so gut verankert, dass wir das Nachtnetz um ein Tagesnetz erweitern können», kündigt SBB-Cargo-Chef Daniel Nordmann an. Bestärkt durch entsprechende Nachfrage werde die SBB Cargo im Bereich des schnellen Binnengüterverkehrs erstmals ein auf 12 Stunden getaktetes Fahrplanangebot machen. Dieses trete mit dem Fahrplanwechsel am 15. Dezember 2002 in Kraft.

Zunächst würden 25 Bahnhöfe sowohl entlang der Ost-West- wie der Nord-Süd-Achse über den Gotthard mit Anbindung ans Tessin bedient. Laut Nordmann stellt Cargo Domino, das «virtuelle Anschlussgleis der Bahn», einen weiteren unternehmenspolitisch bedeutsamen Schritt dar. «Wir wollen die Binnenverkehre mit ihrer guten Wertschöpfung pflegen; dies umso mehr, als sie sich in Relation zu Europas schwächelnder Konjunktur als stark erweisen», sagt er. (w.s.)