Auf der Generalversammlung des Nahrungsmittelkonzerns in Lausanne warb CEO Mark Schneider vergangene Woche vor rund 2000 Aktionären für die Erneuerung des Konzerns. Dafür bat er sie um Geduld, denn die ersten Früchte der Investitionen seien erst in 12 bis 18 Monaten zu erwarten.
Doch der Druck auf Schneider steigt: Er ist jetzt ein Jahr im Amt und kämpft an ähnlichen Baustellen wie sein Vorgänger. Vor allem das organische Wachstum bereitet Probleme, das seit Jahren schwächelt. Dennoch hält das Unternehmen an der Zielmarke von 5 bis 6 Prozent fest. Schneider sagte in einem Interview mit der «NZZ»: «Das organische Wachstum bleibt der wichtigste langfristige Wachstumstreiber».
Analysten rechnen mit leichter Erholung
2017 blieb Nestlé zum wiederholten Male unter den Erwartungen: Trotz eines Umsatzes von knapp 90 Milliarden Franken, lag das organische Wachstum bei 2,4 Prozent. Für das laufende Jahr rechnet das Nestlé-Management ebenfalls mit einem organischen Umsatz-Wachstum zwischen 2 und 4 Prozent sowie einer Verbesserung der zugrunde liegenden operativen Ergebnismarge. Das verkündeten sie Mitte Februar, und laut Analysten könnte das morgen mit den Zahlen für das erste Quartal bestätigt werden. Analysten gehen von einer leichten Erholung aus, doch Nestlé werde hinter seinen selbst gesteckten Zielen weit zurück bleiben.
Eine Reihe von in den letzten Monaten angekündigten Massnahmen zur Verbesserung von Wachstum und Profitabilität bewerten die Analysten von Vontobel immerhin positiv. Hier fällt zum Beispiel der Konzernumbau zu Buche, den Schneider angegangen ist.
Kaffee, Tiernahrung, Babykost
Mark Schneider war mit dem Ziel angetreten, Nestlés Gesundheitssparte auszubauen. Ausserdem wolle er sich auf Geschäfte mit dem grössten Wachstumspotenzial konzentrieren, vor allem Kaffee und Tiernahrung. Und so wurde der Konzernumbau eingeleitet: Nestlé hat das Süsswarengeschäft in den USA verkauft und investierte stattdessen in Kaffee, Tiernahrung, Babykost und Wasser. Ergänzend wurden junge, hippe Firmen gekauft wie etwa der Nahrungsergänzungsmittelhersteller Atrium Innovations und die Kaffeehauskette Blue Bottled Coffee.
Von den jüngsten Wechseln im Verwaltungsrat könnten weitere Impulse ausgehen, so die Vontobel-Analysten. Mit dem CEO von Inditex, Pablo Isla, dem Adidas-Chef Kasper Rorsted und der ehemaligen Finanzchefin von Avon und dem Handelsmulti Ahold, Kimberly Ross, zogen Anfang des Jahres echte Schwergewichte in den Nestlé-VR ein.
Vontobel-Analyst Jean-Philippe Bertschy bezeichnet die angeschobenen Massnahmen als tiefgreifend, doch sie bräuchten Zeit. Offen sei, ob Nestlé in den kommenden Monaten zu weiteren radikalen Schritte greift. Gleichzeitig warnt Bertschy davor, dass seit einiger Zeit niedrigere organische Wachstum überzubewerten.
Preisstreit mit Detailhändlern
Auf ein anderes Thema ging Mark Schneider bei der GV nicht ein: Den seit Monaten schwelenden Streit mit den Detailhändlern der internationalen Einkaufsgemeinschaft Agecore. Zwar sind erbitterte Auseinandersetzungen um die künftigen Preise in der Branche üblich.
Neu ist jedoch das Ausmass: Die sechs europäischen Einzelhändler um die deutsche Edeka und Coop in der Schweiz boykottieren Nestlé-Produkte, um den Druck auf den weltgrößten Nahrungsmittelkonzern zu erhöhen. Zusammen wickeln die Agecore-Mitglieder rund 2 Milliarden Euro Umsatz mit Nestlé ab – das entspricht etwa 2 Prozent des Konzernumsatzes und 10 Prozent des Europaumsatzes von Nestlé.
Negatives Signal durch neues Machtgefüge
Die Analysten der Zürcher Kantonalbank (ZKB) bewerten diese Entwicklungen als negatives Signal für Nestlé und die Nahrungsmittelindustrie allgemein. Sie schreiben in einem Kommentar, dass Konzessionen seitens Nestlé gegenüber Agecore in zentralen Punkten einer teuer erkauften Einigung gleich kämen.
Denn auch andere Detailhändler könnten trotz der wieder besseren Konjunktur die Nahrungsmittelproduzenten erfolgreich unter Druck setzen und versuchen, Konditionen neu zu verhandeln. Wie sich das mögliche neue Machtgefüge auf den Lebensmittelriesen Nestlé langfristig auswirkt, bleibt abzuwarten.