Wenn es gut geht, braucht man ihn nicht, und wenn es schlecht geht, kann man ihn nicht gebrauchen.» Das ist Christoph Blochers wenig schmeichelhaftes Urteil über die Institution Verwaltungsrat, wie sie im schweizerischen Aktienrecht vorgesehen ist. Und da er selber nicht nur ein holzschnittartig urteilender Politiker, sondern in erster Linie ein erfolgreicher Unternehmer und auch Verwaltungsrat ist, sollte man seine Meinung ernst nehmen. Nebenamtliche Verwaltungsräte – und die sind in der Schweiz die Regel – könnten mit der spezifischen Materie eines Unternehmens nicht wirklich vertraut sein. Vor allem seien sie nicht in der Lage, auftauchende Probleme zu lösen. Und da man von einem Verwaltungsrat Führungserfahrung aus anderen Firmen erwarte, sei der Kreis der überhaupt Wählbaren äusserst beschränkt. Das wiederum führe zu der sattsam bekannten Verfilzung, bei welcher der CEO der einen Firma via Verwaltungsrat der anderen deren CEO beaufsichtige. Und umgekehrt.
Dieses Problem mag auch Sandro V. Gianella, als Managing Partner von Knight Gianella & Partner spezialisiert auf «Executive Search and Board Appointments», nicht einfach negieren (siehe auch das Interview «Im Dienst der Firma». Von einem Verwaltungsrat erwartet man profunde Sachkenntnis, Führungserfahrung, Unabhängigkeit und Verfügbarkeit – Eigenschaften, die einander zum Teil widersprechen. Wer Sachkenntnis mitbringt, ist oft in der gleichen Branche tätig wie das zu beaufsichtigende Unternehmen, was zu Interessenkonflikten führen kann. Wer Führungserfahrung mitbringt, ist meistens selber in einer exekutiven Funktion tätig, und das kann die Verfügbarkeit beeinträchtigen – und die Unabhängigkeit, denn als CEO hat er es seinerseits mit einem Verwaltungsrat zu tun, wobei sich womöglich personelle Überschneidungen ergeben.
Kommt hinzu, dass in schweizerischen Unternehmen mindestens die Hälfte des Verwaltungsrats aus Schweizern zusammengesetzt sein muss. Auf ausländische Kapazitäten zurückzugreifen, ist also nur begrenzt möglich. Zumal diese es sich angesichts der schweizerischen Haftungsgesetzgebung – und nach dem Swissair-Zusammenbruch, in dem diese Haftungsbestimmungen womöglich zum ersten Mal wirklich angewendet werden – zweimal überlegen werden, das VR-Mandat eines Schweizer Unternehmens in Betracht zu ziehen.
Eine Lösung dieses Dilemmas könnte der professionelle Verwaltungsrat sein. Nur fragt sich dann, woher dieser die branchenspezifische Sachkenntnis und die Führungserfahrung nehmen soll. Und es fragt sich, ob die Unternehmen sich professionelle Verwaltungsräte wirklich leisten wollen. Denn ein Verwaltungsrat, der dieses Nebenamt zum Hauptberuf macht, sollte mindestens so gut bezahlt werden wie die CEOs der Unternehmen die er zu beaufsichtigen hat.
«If you pay peanuts, you get monkeys», sagt Sandro V. Gianella und bietet auch gleich eine Faustregel für die angemessene VR-Tantieme an. Man nehme die Bezüge des CEO und teile diese durch die Zahl der jährlichen Arbeitstage; so bekommt man den Tagesansatz, den man einem Verwaltungsrat der gleichen Firma bezahlen sollte, wenn man denn wirklich emotional und materiell unabhängige Persönlichkeiten mit reicher Führungserfahrung verfügbar haben will. Die grossen, global tätigen und erfolgreichen Schweizer Unternehmen sind mit ihrer Tantiemenpolitik zumindest auf dem Weg zu diesem Niveau; mittlere Unternehmen oder solche, die auf die Schweiz fokussiert sind, liegen um ein Vielfaches darunter: Sie bezahlen im Durchschnitt rund 16 000 Franken Tantieme pro Jahr (von durchschnittlich 11 000 Franken für einfache Verwaltungsräte bis 20 000 Franken für Präsidenten). Das ergibt bei einem bescheiden geschätzten Aufwand von sechs Sitzungen im Jahr plus Vorbereitungszeit einen Tagesansatz von knapp 1000 Franken. Wobei der Arbeitsaufwand eines Verwaltungsrates enorm schwanken kann – Sandro V. Gianella geht von 10 bis 40 Prozent der Arbeitszeit bei normalem Geschäftsgang aus. Gerät ein Unternehmen in die Krise oder auch nur ins öffentliche Gerede, gelangt man schnell einmal auf 70 bis 80 Prozent.
Der Job eines Verwaltungsrats ist also, wenn man ihn denn ernst nimmt, sehr anspruchsvoll, er wird in der Regel nicht allzu üppig bezahlt, er kann mit erheblichen Risiken verbunden sein, und er findet in zunehmendem Masse in aller Öffentlichkeit statt. Wer in den letzten Jahren erlebt hat, wie bei ins Trudeln geratenen Unternehmen nicht nur das Management, sondern auch der Verwaltungsrat in die öffentliche Kritik geriet, der fragt sich schon, warum sich das jemand antut, der als Unternehmer oder Manager im eigenen Betrieb gute und für ihn selber kontrollierbare Arbeit leistet.
Und wie gut oder schlecht sind denn die Verwaltungsräte schweizerischer Unternehmen? Seit 1998 ist Knight Gianella bestrebt, alljährlich mittels einer Umfrage diese Frage zu beantworten. Die Übung, die anfänglich belächelt oder gar vehement abgelehnt wurde, ist mittlerweile akzeptiert und wird als brauchbares Abbild der Wirklichkeit respektiert. Sie hat zumindest dazu beigetragen, in etlichen Unternehmen das Thema «Verwaltungsrat und Corporate Governance» auf die Traktandenliste zu setzen.
Auch dieses Jahr richtete sich die Umfrage, die im Auftrag von Knight Gianella durch das Marktforschungsinstitut DemoScope durchgeführt wurde, an Vertreter von sechs Anspruchsgruppen: Finanzchefs und Chief Investment Officers von Unternehmen, Analysten, Vermögensverwalter, Pensionskassen- und Fondsmanager sowie Wirtschaftsjournalisten. Gefragt wurde jeweils nach den besten Verwaltungsratsgremien, nach den schlechtesten Gremien und nach den besten Verwaltungsratspersönlichkeiten. Erhoben wurden zudem die Gründe für die jeweilige Wahl, woraus sich ein Kriterienkatalog ergibt, was denn einen guten Verwaltungsrat ausmacht. Erhoben wurde überdies, wie es ganz allgemein um das Vertrauen in die Verwaltungsräte bestellt ist und welche Zukunftsperspektiven jenen Unternehmen zugebilligt werden, die im letzten Jahr in Schwierigkeiten geraten sind. Die Ergebnisse der Umfrage sind in den Grafiken und Tabellen auf dieser Doppelseite zusammengefasst.
Seit nunmehr drei Jahren führt der CEO und Verwaltungsratspräsident der Novartis, Daniel Vasella, die Rangliste der besten Verwaltungsräte an. Diesmal nominierten ihn 55 Prozent der Befragten für einen der ersten drei Plätze, davon 31 Prozent für den ersten Rang. Dafür gaben die klare strategische Ausrichtung seines Unternehmens, die Visionen, die nachhaltige Unternehmensführung, seine unternehmerische Dynamik und die fachliche Kompetenz des gelernten Arztes den Ausschlag. Insbesondere sein hartnäckig vorgebrachtes Ansinnen, Novartis und Roche zu fusionieren, hat Vasella immer wieder in die Schlagzeilen gebracht und damit wohl auch im Bewusstsein seiner «Wähler» verankert. Den stärksten Rückhalt hatte er mit 75 Prozent Nennungen bei den Vermögensverwaltern, unterdurchschnittlich geschätzt wurde er von den Finanzchefs (30 Prozent) und den Wirtschaftsjournalisten (38 Prozent). In der Westschweiz musste er an der Spitze dem Lokalmatador und Serono-Chef Ernesto Bertarelli Platz machen.
Den zweiten Rang belegt diesmal Marcel Ospel, VR-Präsident der UBS. Er wurde von 39 Prozent der Befragten vorne und von 17 Prozent an die Spitze platziert. Ospel steht vor allem in der Gunst der Vermögensverwalter und der Fondsmanager weit oben. Er kam in der deutschen Schweiz besser an als in der Westschweiz, wo er nur Rang vier erreichte. Der Aufstieg in eine der Spitzenpositionen der Rangliste zeigt eindrücklich, dass Marcel Ospel die Turbulenzen um seine Rolle beim Swissair-Grounding nicht nur glänzend überstanden hat, sondern rehabilitiert und gestärkt daraus hervorgegangen ist.
In den vergangenen Jahren fand sich das unternehmerische Urgestein Nicolas G. Hayek jeweils im zweiten Rang – diesmal wurde er von Marcel Ospel um eine Position nach hinten verdrängt. Auch Hayek gehört in der Rangliste der besten Verwaltungsräte zu den Dauergästen. In diesem Jahr fand er am meisten Anklang bei den Finanzanalysten und den Finanzdirektoren, während er bei den Wirtschaftsjournalisten für einmal eher abfiel.
Zu den ebenfalls seit einigen Jahren stabil bewerteten Personen gehören
Peter Brabeck, der als Nestlé-CEO und Roche-Verwaltungsrat im Rampenlicht steht, und der Unternehmer, Nestlé- und Swiss-Verwaltungsrat André Kudelski, der seit nun drei Jahren in den top ten
figuriert.
Von anderen ehemals hoch gehandelten Verwaltungsratscracks haben sich die Befragten mittlerweile verabschiedet – sei es altershalber wie bei Alex Krauer, Fritz Gerber und Helmut Maucher, sei es wegen eher glücklosen Wirtschaftens wie bei den drei Erstplatzierten des Jahres 1998, Robert Jeker, Lukas Mühlemann und Rolf Hüppi.
Dazu kommen etliche Verwaltungsräte, die für kurze Zeit im Rampenlicht standen und als bestaunenswerte Cracks gehandelt wurden: Thomas Schmidheiny (dreimal in den ersten zehn) hat wegen zweifelhafter Geschäfte in Spanien das Vertrauen verloren, Martin Ebner (zweimal in den top ten) hat mit seiner Version des Shareholder-Value Schiffbruch erlitten, und der Ex-Finanzchef von Nestlé, Mario Corti, galt während des knappen Jahres, in dem er fast im Alleingang die Swissair hätte retten sollen, als Super-Verwaltungsrat.
Was bei den Personen erkennbar wurde, widerspiegelt sich auch in der Rangliste der besten Verwaltungsratsgremien. Seit 1998 machen die Verwaltungsräte des Basler Pharmakonzerns Novartis und des Nahrungsmittelkonzerns Nestlé die beiden ersten Plätze weitgehend unter sich aus – heuer hat nach drei Jahren wieder einmal die Novartis die Nase vorn. Das spricht für die Nachhaltigkeit der Strategie der beiden Unternehmen wie auch für die Stabilität und Konstanz der Entscheidungsmechanismen.
Zum erlauchten Kreis der anhaltend gut platzierten Verwaltungsräte gehört auch jener der Roche, der sich stets in den top zehn halten konnte. Andere hingegen sind aus dem Olymp abgestürzt: Von den sechs Erstplatzierten des Jahres 1998 werden nicht weniger als drei – die CS Group, Zurich Financial Services und ABB – mittlerweile zu den schlechtesten Verwaltungsräten des Landes gezählt.
Den umgekehrten Weg ging die UBS, deren Verwaltungsrat noch 1998 als schlechtester von allen galt und der mittlerweile zum dritten Mal in Folge ganz vorne dabei ist – ein Aufstieg, der parallel zu jenem des Präsidenten Marcel Ospel verlief. Auch die Swatch Group schaffte unter Führung von Nicolas Hayek den nachhaltigen Aufstieg aus den hinteren in die Spitzenränge.
Überhaupt haben im Verlaufe der letzten sechs Jahre ausser der UBS alle Verwaltungsräte von Finanzdienstleistern das Wohlwollen der Befragten verloren. Aus der Reihe tanzt dabei einzig die Rentenanstalt / Swiss Life, die es zwar einerseits noch in die top ten schafft, andererseits aber auch bei der Frage nach dem schlechtesten Verwaltungsrat ziemlich heftig punktet. Das mag damit zusammenhängen, dass der Verwaltungsrat dieses Unternehmens im letzten Geschäftsjahr erheblich umgestaltet wurde und die Befragten eigentlich zwei Verwaltungsräte zu beurteilen hatten.
Von diesen Ausreissern abgesehen, befinden sich aber in den Spitzenrängen der aktuellen Rangliste ausschliesslich produzierende Unternehmen – neben Novartis und Nestlé noch Swatch, Lindt & Sprüngli, Roche, Ciba SC, Geberit und Straumann. Und umgekehrt stellen die Finanzdienstleister (CS Group, Rentenanstalt / Swiss Life, Zurich) drei von den fünf schlechtesten Verwaltungsräten. Ergänzt werden sie durch die Verwaltungsräte der strategielos dahintrudelnden Airline Swiss und der ABB, die in den letzten Jahren hauptsächlich durch permanente Strategiewechsel auffiel und dadurch, dass sich frühere Exponenten des Unternehmens, vom Verwaltungsrat gar nicht oder zu spät erkannt, ziemlich schamlos bereicherten.
Damit entsprechen die Ergebnisse dieser Umfrage durchaus dem Zeitgeist, der nach den rasanten und gierigen Neunzigerjahren nun wieder altbewährte unternehmerische Tugenden nach oben spült. Eine klare, nachvollziehbare Strategie, positive Geschäftsergebnisse sowie Nachhaltigkeit und Konstanz in der Unternehmensführung sind nun die mit Abstand wichtigsten Kriterien, nach denen die Verwaltungsräte beurteilt werden, während Schnelligkeit, Dynamik und die globale Ausrichtung zwar nicht als unwichtig gelten, jedoch weniger hoch gehängt werden als noch in den Neunzigerjahren.
Daniel Vasella, Novartis
Der beste Verwaltungsrat
Warum haben Sie in der Bewertung der Verwaltungsräte von Schweizer Unternehmen so gut abgeschnitten?
Der VR besteht aus erfahrenen Persönlichkeiten, die auf Grund ihrer Kompetenz und Glaubwürdigkeit gewählt wurden. Die Transparenz übertrifft Schweizer Standards, etwa in der Offenlegung der Vergütungen des Verwaltungsrats und des Managements. Novartis nimmt hier eine anerkannte Pionierrolle ein. Der Verwaltungsrat ist klar strukturiert mit einem erfahrenen, unabhängigen Lead Director und Ausschüssen mit expliziten Verantwortungen. Mit Ausnahme des Präsidenten sind sie nicht operativ im Geschäft tätig. Kein Verwaltungsrat hat Einsitz im VR einer börsenkotierten Firma, die in geschäftlicher Beziehung zu Novartis steht.
Wie kann man die Qualität schweizerischer Verwaltungsräte verbessern?
Jede Firma sollte für neue Verwaltungsräte ein Induktionsprogramm durchführen. Verwaltungsräte müssen nicht nur Zugang zu Information haben, sondern diese auch gebrauchen. Wesentlich ist es, im Verwaltungsrat ein Klima des gegenseitigen Respekts und Vertrauens zu etablieren.
Von welchen Anspruchsgruppen kommt heute der stärkste Druck zur Verbesserung der Corporate Governance?
Von den Verwaltungsräten selber und richtigerweise von den Investoren.
Best Practices in Corporate Governance müssen (vor)gelebt werden. Gesetze können dies nicht sicherstellen. Allerdings sollten für alle verbindliche Regeln zur Offenlegung und Vermeidung von Missbräuchen vorliegen.
Marcel Ospel, UBS
Der zweitbeste Verwaltungsrat
Warum haben Sie in der Bewertung der Verwaltungsräte von Schweizer Unternehmen so gut abgeschnitten?
Das könnten die Teilnehmer an der Umfrage am besten beantworten.
Wie kann man die Qualität schweizerischer Verwaltungsräte verbessern?
Schweizerische Verwaltungsräte können sich im internationalen Vergleich sehen lassen. Regulierungsaktivismus ist völlig unange-bracht. Zu den wichtigen Qualitäts-merkmalen zähle ich eine merito-kratische Kultur bei der Auswahl der VR-Mitglieder, hohe Identifikation mit den Führungsprinzipien, genügende Fachdiversifikation und eine führbare Grösse des Gremiums.
Von welchen Anspruchsgruppen kommt heute der stärkste Druck zur Verbesserung der Corporate Governance?
Ganz klar von der Politik und den Regulatoren. Diese reagieren auf Druck aus der Öffentlichkeit. Daneben haben natürlich die Investoren legitime Ansprüche an die Unternehmensführung.
Welche Rolle sollte der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Corporate Governance spielen?
Wenige und klare Regeln – ergänzt durch Prinzipien – sind besser als ein Dickicht von Regulierungen. Ein funktionierender Markt deckt Missbräuche rasch auf.
Novartis
Der beste Verwaltungsrat
Daniel Vasella, Präsident und CEO, Helmut Sihler, Hans-Jörg Rudloff, Birgit Breuel, Peter Burckhardt, Walter G. Frehner, William W. George, Alexandre F. Jetzer, Pierre Landolt, Ulrich Lehner, Heini Lippuner, Rolf M. Zinkernagel
Ehrenpräsidenten: Alex Krauer, Marc Moret, Louis von Planta
Nestlé
Der zweitbeste Verwaltungsrat
Rainer E. Gut, Präsident, Peter Brabeck-Letmathe, Vreni Spoerry, George Simpson, Stephan Schmidheiny, Jean-Pierre Meyers, Peter Böckli, Arthur Dunkel, Nobuyuki Idei, André Kudelski, Vernon R. Young
Ehrenpräsident: Helmut Maucher
UBS
Der drittbeste Verwaltungsrat
Marcel Ospel, Präsident, Alberto Togni, Johannes A. de Gier, Peter Böckli, Ernesto Bertarelli, Sir Peter Davis, Rolf A. Meyer, Hans Peter Ming, Lawrence A. Weinbach