In diesem Sommer schien die deutsche Regierung bereit zu sein, ihre Beteiligung an der Commerzbank AG endgültig zu reduzieren. Auf diesen Moment hat auch Unicredit-CEO Andrea Orcel gewartet. Am Mittwoch gab die italienische Bank bekannt, dass sie nun 9 Prozent an der Commerzbank hält.

In Deutschland wurden viele von diesem Schritt überrascht. Die in dieser Woche von Berlin angebotenen Aktien kamen zu einem Aktienanteil hinzu, den die Unicredit bereits in den Wochen zuvor im Stillen aufgebaut hatte.

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Orcel betrachtet die Commerzbank seit langem als ein mögliches Ziel, sofern die Bedingungen stimmen. Seit drei Jahren ist er auf der Suche nach einem Deal für die italienische Unicredit, die er einst bei Transaktionen beriet und jetzt leitet. Während die Minderheitsbeteiligung in dieser Woche nur der erste Schritt ist, ist das ultimative Ziel von Orcel die vollständige Übernahme der Commerzbank. Auch wenn das eine lange Zeit beanspruchen könnte. Unicredit hat bereits bei den Aktionären und Aktionärinnen angeklopft, um die Bereitschaft für allfällige Gespräche auszuloten.

Die Detailinformationen zu Orcels Griff nach der Commerzbank stammen aus Interviews mit sieben Personen, die mit dem Prozess vertraut sind und anonym bleiben wollen. Ein Sprecher der Unicredit lehnte eine Stellungnahme ab. 

Komfortable Situation

Im Moment befindet sich die Unicredit mit ihrer Beteiligung in einer komfortablen Position gegenüber anderen potenziellen Käufern der Commerzbank. Und wenn Orcel noch weiter in die Zukunft blickt, dann wird er die nach Umsatz grösste Bank in Deutschland leiten und die Tür für die lang erwartete internationale Konsolidierung des zersplitterten europäischen Bankenmarkts öffnen. 

«Europa braucht Banken mit einer Marktkapitalisierung von über 100 Milliarden Dollar, wenn wir wollen, dass dieser Wirtschaftsbereich gegenüber den USA oder China bestehen kann», sagte Orcel im November letzten Jahres gegenüber Bloomberg TV. 

Bei Börsenschluss am Mittwoch war die Unicredit rund 59 Milliarden Euro wert, die Commerzbank erreichte eine Kapitalisierung von 17,4 Milliarden Euro.

Ein Angebot, das Orcel nicht ablehnen konnte

Orcel hat seine Übernahmeambitionen bei der Unicredit längst offen dargelegt. Zu Beginn seiner Amtszeit zog er sich aus einer Vereinbarung über den Erwerb des Anteils der italienischen Regierung an der Banca Monte dei Paschi di Siena zurück. Doch im vergangenen Jahr übernahm er die griechische Beteiligung an der Alpha Bank. Und schliesslich war der Verkauf der Commerzbank-Aktien durch Deutschland eine Gelegenheit, die zu gut war, um sie nicht zu nutzen.

Berlin rettete vor einigen Jahren die ins Wanken geratene Commerzbank. Seither besass die Regierung eine Beteiligung in der Höhe von 16,5 Prozent. Vergangene Woche hat die Regierung potenzielle Käufer auf den Plan gerufen, indem sie ankündigte, die Anteile verkaufen wollen. Zu Beginn war das Interesse an den Aktien mit einem Kurs zwischen 12,48 und 12,60 Euro eher gering.

Dann gab Unicredit eine «Fill or Kill»-Order für den gesamten verfügbaren Anteil von 4,5 Prozent ab – also eine Order, die entweder sofort ausgeführt oder für immer beerdigt wird. Die deutsche Regierungsstelle, die das Verfahren leitet, wandte sich an das Finanzministerium, um sich beraten zu lassen. Da der italienische Interessent alle anderen überbot, hatte Deutschland keine andere Wahl, als ihm die gesamte Tranche zu verkaufen und 13,20 Euro pro Aktie für die öffentliche Hand zu sichern.

Umstrittene Übernahmepläne 

Wie Bloomberg berichtete, erstattete Orcel der Commerzbank am Mittwoch einen Höflichkeitsbesuch – ohne strategische Fragen wie eine potenzielle Übernahme anzusprechen. Was die strategische Planung zusätzlich erschwert: Der Vorstandsvorsitzende der Commerzbank, Manfred Knof, will nach Ablauf seines Vertrags Ende nächsten Jahres ausscheiden.

Die Unicredit informierte die Beraterinnen und Berater der Regierung über die Beteiligung, die sie erworben hatte, bevor sie in dieser Woche den Kauf des gesamten Bookbuilds anbot. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) wurde bereits im Sommer informiert. Sie lehnte eine Stellungnahme ab. 

Hans-Peter Burghof, Professor für Bank- und Finanzwirtschaft an der Universität Hohenheim in Stuttgart, rechnet nicht mit viel Widerstand gegen den neuen Commerzbank-Aktionär. «Sie zahlen mehr als den Marktpreis, das Geld wird gebraucht, und sie haben strategische Absichten. Die Regierung wird sich über das Geld freuen», sagte er. «Die schwierige Debatte kommt dann, wenn sie die Anteile ausbauen wollen.»

Das Problem: Wenn sich die Commerzbank und die lokale Einheit der Unicredit, die Hypovereinsbank (HVB), rechtzeitig vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr zusammenschliessen, würde dies Fragen nach Arbeitsplätzen und den Dienstleistungen für den deutschen Mittelstand aufwerfen. Eine Gewerkschaft hat bereits Bedenken geäussert. 

Übernahmeberater Andrea Orcel

Orcel fungierte als Berater der Unicredit, als diese 2005 die HVB kaufte. Zwei Jahre später half er der Royal Bank of Scotland bei der Übernahme von ABN Amro, einem unglücklichen Kauf, der dazu beitrug, dass in der darauffolgenden Finanzkrise nur noch Notgeschäfte getätigt wurden.

In Deutschland gibt es immer noch ein Flickwerk kleinerer Privatbanken, was die Bedenken hinsichtlich des Wettbewerbs bei einer Übernahme verringern könnte. «Je nachdem, wie man es betrachtet, haben die Sparkassen und Genossenschaftsbanken hier etwa die Hälfte des Marktes», sagte Peter Barkow, Gründer von Barkow Consulting, in einem Interview. Das bedeutet, dass die Auswirkungen eines Zusammenschlusses zweier grosser Banken «sehr viel begrenzter» wären.

Vorteile von Fusionen

Auf europäischer Ebene befürworten die Politiker und Politikerinnen seit langem einen Zusammenschluss von Banken, der die Wirtschaft der Region ankurbeln und den Euro-Raum auf der globalen Bühne stärken könnte.

Fusionen «können ein Mittel sein, um Probleme in bestimmten Marktsegmenten oder Gerichtsbarkeiten anzugehen, wie etwa geringe Rentabilität und Überkapazitäten», sagte Kerstin af Jochnick, Mitglied des Aufsichtsrates der EZB, an einer Konferenz im Juni. «Letztendlich ist dies jedoch eine Entscheidung, die die Märkte treffen müssen. Wir sehen die Bankenkonsolidierung als einen vom Markt gesteuerten Prozess.»

Die europäischen Regulierungsbehörden haben kaum Fortschritte bei den Hürden für grenzüberschreitende Geschäfte gemacht, etwa bei den Schwierigkeiten, Gelder zwischen den Ländern zu verschieben. Die Unicredit hat diese Erfahrung mit der HVB gemacht, die laut ihrem Jahresbericht im vergangenen Jahr 1,7 Milliarden Euro über Dividenden an ihre Muttergesellschaft überwiesen hat.

Boomende Übernahmedeals

In diesem Jahr gab es Anzeichen dafür, dass der breitere Markt für Finanztransaktionen nach einer Pause während der Covid-19-Pandemie wieder auftaut. Einige europäische Banken wie die Unicredit werden über ihrem Buchwert gehandelt, was Aktienrückkäufe weniger attraktiv macht und Fusionen und Übernahmen für die Aktionärinnen und Aktionäre attraktiver erscheinen lässt.

Die spanische Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (BBVA) ist dabei, den spanischen Konkurrenten Banco Sabadell zu übernehmen – allerdings handelt es sich dabei um ein feindliches Übernahmeangebot, im Gegensatz zur Unicredit, die eher gemässigt vorgeht. Während die BBVA mit ihrer Transaktion monatelang gebunden ist, kann die Unicredit ihre Commerzbank-Beteiligung mit relativ geringen Verlusten halten.

BNP Paribas SA, die wertvollste Bank im Euro-Raum und dank eines Bargeldbestands von 8 Milliarden Dollar ein potenzieller Dealmaker, entschied sich stattdessen für die Vermögensverwaltung, indem sie im August den Kauf einer Einheit von Axa SA vereinbarte. 

Commerzbank prüft Verteidigungsstrategie

Ein Faktor, den Orcel bei der Berechnung von Fusionen berücksichtigen muss, ist die Tatsache, dass mit zunehmender Grösse und Komplexität der Banken auch die Kapitalanforderungen steigen. Das kann den Geldbetrag begrenzen, der für neue Kredite oder Aktionärsdividenden verwendet werden kann.

Die EZB sorgte 2022 für eine gewisse Erleichterung an dieser Front, als sie die internationalen Regulierungsbehörden davon überzeugte, dass grenzüberschreitende Engagements innerhalb der europäischen Bankenunion als inländische Engagements betrachtet werden können, die als weniger riskant gelten.

Ob Orcel seinen ehrgeizigen Vorstoss in eine vollständige Übernahme umwandeln kann, ist eine offene Frage: Der Vorstand der Commerzbank prüft derzeit seine Verteidigungsstrategie. Doch der Schritt zahlt sich bereits aus: Die Commerzbank-Aktien stiegen am Mittwoch um rund 17 Prozent, was den Wert der Unicredit-Beteiligung um einen dreistelligen Millionenbetrag erhöhte. 

(Bloomberg/dob)