Wenn Urs Eggenberger frühmorgens im Büro seinen Rechner hochfährt, hat er einen ziemlich entspannten Arbeitstag vor sich. Er arbeitet in einem stabilen System, in einem verlässlichen Umfeld. Eggenberger bewirtschaftet unser aller Geld. Er ist Chef der Bundestresorerie, er verantwortet die Zahlungsbereitschaft unseres Landes. «Meinen Kindern erkläre ich, dass ich dafür sorge, dass die Schweiz immer genug Geld hat, damit sie ihre Rechnungen bezahlen kann», sagt er. Und das ist derzeit kein Problem. Unserem Staatshaushalt geht es prächtig. Der ordentliche Budgetüberschuss lag 2009 bei 1,8 Mrd Fr., die Schulden sanken auf 111 Mrd Fr. Gemessen am Bruttoinlandprodukt ist das eine Schuldenquote von 20,7% - nichts im Vergleich zu unserem grossen Nachbarn Deutschland etwa. Dessen öffentliche Haushalte ächzen unter einer Schuldenlast von über 1700 Mrd Euro, umgerechnet 73,4% des Bruttoinlandprodukts.
Was herumliegt, kostet
Während Eggenbergers Kollegen in Frankfurt täglich neue Milliarden auf den weltweiten Kapitalmärkten auftreiben müssen, um die klaffenden Löcher zu stopfen, treibt Eggenberger und sein 30-köpfiges Team der Bundestresorerie eine ganz andere Sorge um. Sie müssen überschüssiges Geld anlegen, irgendwo, zu möglichst attraktiven Konditionen. Denn alles, was ungenutzt herumliegt, kostet im Prinzip. «Aber wir bekommen derzeit kaum Zinsen - da können wir uns drehen und wenden wie wir wollen», sagt Eggenberger.
Grund: Wegen der expansiven Geldpolitik der Notenbank ist Liquidität im Übermass vorhanden. In der Folge liegen die Zinsen mittlerweile bei nahe null Prozent - Geld ist fast gratis. Wer Flüssiges bietet wie die Bundestresorerie, der kriegt fast nichts dafür.
Das Cash-Management der Tresorerie führt an diesem Tag Jean-Pierre Beaud, einer von vier Mitarbeitern des Front-Office. Beaud ist ein zurückhaltender Romand mit hellblauem Hemd und offenem Kragen, der diskrete Anzeichen von Nervosität zeigt, wenn das Gespräch länger als drei Minuten dauert. Seine Augen wandern hinüber zu seinen Bloomberg-Flachbildschirmen, wo Zahlen, Grafiken und Fieberkurven leuchten und blinken.
Das Front-Office bewirtschaftet die Liquidität, beschafft Devisen und Mittel am Geld- und Kapitalmarkt. Wenn Beaud Mittel platzieren will, nimmt er das Telefon in die Hand. Seine Meinung zu den Märkten? «Da ist wirklich nicht viel zu holen.» Derzeit. Aber es kämen sicher auch wieder andere Zeiten.
Beaud hat sozusagen den Generalschlüssel in der Hand - er arbeitet mit dem Hauptkonto des Bundes, das bei der Nationalbank liegt. Dieses «Girokonto» zeigt, «ob etwas fehlt oder ob wir etwas übrig haben», erklärt Eggenberger. Hauptziel sei es, das Konto nicht im Minus zu führen. Wenn es im Plus liege, werde der Überschuss angelegt. Insgesamt hat die Schweiz derzeit rund 93 Mrd Fr. am Geld- und Kapitalmarkt ausstehend.
Der Entscheid, wann wie viel angelegt werde, braucht eine gewisse Voraussicht, ob und welche Verpflichtungen anstehen. Oder ob eine Liquiditätsflut auf die Tresorerie zurollt. Etwa, wenn Steuern gezahlt werden. Dann können schon mal 3 Mrd Fr. an einem einzigen Tag auf dem Konto landen. Die Bundestresorerie könnte jetzt in riskantere Anlagen gehen und so höhere Zinsen herausholen - doch das hat der Gesetzgeber untersagt. Er schrieb der Tresorerie ins Pflichtenheft, dass Sicherheit vor Ertrag geht. «Wir dürfen nicht in Aktien investieren», bestätigt Eggenberger. Erlaubt sind Obligationen und Festgelder. Wo genau die Tresorerie das Geld anlegt, will Eggenberger nicht sagen. Und auch nicht, warum er das nicht sagen will. Ob er befürchtet, dass sich private Anleger anschliessend im grossen Stil auf diese Anlageprodukte stürzen? Oder dass ihn die Öffentlichkeit wegen Anlageentscheidungen kritisieren wird? «Ich finde es einfach nicht opportun, diese Information über die Medien zu verbreiten», sagt er und verschränkt die Arme vor der Brust.
«Sind keine Händler»
Eggenberger ist auf beruhigende Weise unspektakulär. 46 Jahre alt, zwei Kinder, Karrierestationen beim Bankverein, Hewlett-Packard, UBS Investmentbank und zuletzt als Treasury-Chef beim verschwiegenen Medizinaltechnikkonzern Synthes. Eggenberger ist gross und schmal, er trägt Hemd mit Krawatte. Länger als eine Stunde möchte er nicht sprechen. «Ich habe nächste Woche eine ganze Reihe von Meetings, auf die ich mich vorbereiten muss», kündigt er bereits einige Tage vorher per E-Mail an. Einen Fotografen möchte er nicht dabei haben, weder beim Gespräch noch beim Rundgang durch die Büros.
Eggenberger runzelt bei Stichworten wie «Chefhändler der Schweiz» die Stirn. «Wir sind keine Händler, die mit Geld spielen», belehrt er. «Wir stehen im Schaufenster, wir repräsentieren ein Land, wir agieren treuhänderisch für das Schweizer Volk. Das ist eine enorme Verantwortung, und wir müssen uns dieses Reputationsrisikos bewusst sein.» Gleichwohl will er wissen lassen, dass er sich in der Börsenwelt auskennt: Auf seiner Visitenkarte führt er den Titel CFA - zertifizierter Finanzanalyst. Die Schweiz geniesse einen tadellosen Ruf, weiss Eggenberger. Deshalb könne sie problemlos Geld aufnehmen, wenn sie welches brauche. «Wir haben eine sehr stabile Fiskalpolitik bei konstanten Rahmenbedingungen.» Auch wegen der Schuldenbremse, die 2003 eingeführt wurde. Das gesetzlich verankerte Instrument besagt, dass die Ausgaben über einen ganzen Konjunkturzyklus gesehen nicht grösser sein dürfen als die Einnahmen. «Unsere haushälterische Disziplin stellt sich jetzt als grosser Vorteil heraus», sagt Eggenberger.
Die Stabilität der Schweiz hat mittlerweile auch das Interesse anderer Staaten geweckt. Das bestätigt Kurt Buff aus dem Front-Office. Der Endvierziger mit kantigem Gesicht und wachen blauen Augen arbeitet seit seinem Ökonomie-studium in Basel bei der Tresorerie. «Früher wurden wir auf dem internationalen Parkett fast nicht beachtet. Heute fragt man uns nach unserer Meinung», erklärt er. Viel Geld nahm die Schweiz in den vergangenen Jahren allerdings nicht auf - kein Bedarf. Die jüngste Ausgabe von Staatsanleihen, im Jargon «Eidgenossen» genannt, ging vor zwei Wochen über die Bühne: Die Schweiz nahm 800 Mio Fr. zu spottbilligen 1,4% mit einer Laufzeit von neun Jahren auf. «Die Nachfrage war sehr erfreulich.» Eggenberger gibt sich bescheiden.
Die Papiere werden über die elektronische Plattform Eurex emittiert, an der die Geschäftsbanken angeschlossen sind. Innerhalb eines Zeitfensters von rund zwei Stunden können die Institute im Rahmen einer Auktion ihre Offerten einreichen, mit Preis- und Volumenangaben. Nach Ablauf der Frist teilt die Tresorerie die Anleihen den Bietern zu, zum Einheitspreis natürlich.
Auf Schweizer Markt fokussiert
Die Tresorerie agiert bis heute nur auf dem Schweizer Kapitalmarkt. Andere Länder hingegen sind auch im Ausland aktiv und bedienen sich einer Vielzahl von Instrumenten - etwa inflationsgeschützten Anleihen. «Intellektuell gesehen wäre das alles sehr spannend und kein Problem für uns - aber wir spielen nicht auf der gesamten Klaviatur wie andere Länder, die verschiedene Kanäle anzapfen müssen, um Kapital zu beschaffen», erklärt Eggenberger. «Unser Kapitalmarkt gibt genug her.» Und er verweist auf einen weiteren Aspekt: «Würden wir uns diversifizieren, würden wir Volumen aus dem Schweizer Kapitalmarkt nehmen.» Dieses Volumen aber sei wichtig für den hiesigen Sekundärmarkt, damit eine minimale Liquidität herrsche.
Wer die Gläubiger der Schweiz sind, weiss die Tresorerie nicht. Sie emittiert Inhaberpapiere und registriert daher keine Namen von Anlegern. «Wir gehen aber davon aus, dass ein grosser Teil der Gläubiger in der Schweiz sitzt, vor allem institutionelle Investoren und Pensionskassen», sagt Eggenberger. Ausländische Investoren vermutet der Tresorerie-Chef eher nicht - der Coupon unterliege ja der Verrechnungssteuer, argumentiert er. Die Rückforderung sei für Ausländer ein zusätzliches Handicap, das vielen zu aufwendig erscheine.
Eggenberger lehnt sich in seinem Stuhl zurück und blickt diskret hinüber zu seinem Schreibtisch - die Stunde ist um, die Akten warten.
Ob er bisher nie Zeit gehabt habe, die leeren Wände mit Bildern zu versehen? Oder ob ihm nichts daran liege? «Doch, doch, ich hätte sehr gerne welche», sagt Eggenberger rasch. «Aber ich hatte bisher keine Zeit.» Er arbeitet seit November 2007 bei der Tresorerie. «Die Rettung der UBS hat mich sehr stark beansprucht, da studieren Sie nicht an Bildern oder Büros herum. Da sind Sie einfach nur froh, wenn Sie das Pensum irgendwie bewältigen», erklärt er. «Aber», fügt er hinzu, er sei kürzlich im Archiv der Tresorerie auf schöne alte Anleihen von 1871 gestossen. «Ein paar von denen werde ich rahmen lassen und dann aufhängen.» Irgendwann. Wenn nicht die nächste Krise dazwischenkommt.