Letztes Jahr schrammte Magdalena Martullo-Blocher knapp an der Marke vorbei. 2017 aber wird die EMS-Gruppe wohl erstmals mehr als 2 Milliarden Franken Umsatz machen. Das zeigen die jüngst vorgelegten Zahlen. Von Januar bis September wuchs das auf Kunststoffe und Chemikalien spezialisierte Unternehmen um fast 7 Prozent. Der Umsatz in den ersten neun Monaten: 1,6 Milliarden Franken.

Autobauer weltweit setzen auf die Produkte der Südostschweizer. In aufwendiger Forschungsarbeit hat das Unternehmen Materialien entwickelt, die den extremen Druck- und Hitzebelastungen im Motorraum eines Autos standhalten. Die Kunststoffe trotzen selbst Dauertemperaturen von bis zu 270 Grad Celsius, widerstehen Motorenöl und Hydraulikflüssigkeit. Allein: Der Verbrennungsmotor ist dem Untergang geweiht, die Zukunft der Mobilität ist elektrisch. Experten der UBS fällen daher das harte Verdikt: Martullo-Blochers Aufstieg ruht auf einem Auslaufmodell.

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Verbrennungsmotor am Ende

Zunächst waren es Umweltschützer, die auf Elektroautos setzten. Der Rest mied den Birkenstock-Mief. Mittlerweile ist das Hohelied auf den Verbrennungsmotor aber auch in den Chefetagen 
der grossen Autokonzerne verstummt. Selbst in Deutschland wird von der «Autowende» gesprochen.

VW hat angekündigt, dass schon bald jeder dritte Audi, Škoda, Seat oder Volkswagen vollelektrisch sein soll. Mercedes-Benz hat seine Produktion einem Stresstest unterzogen, um herauszufinden, was passiert, wenn die Hälfte aller Neuwagen mit Elektroantrieb gebaut würde. Die Stuttgarter halten das für ein denkbares Szenario, das auch von der UBS gestützt wird. Laut den Experten der Bank wird bereits im Jahr 2025 jedes dritte neu verkaufte Auto in Europa elektrisch angetrieben werden.

Folgen für die Zulieferindustrie

Mit dem Wandel hin zur Elektromobilität fällt der komplexeste Teil eines Benziners oder Diesel weg: der Verbrennungsmotor. Aber auch das Treibstoffsystem, Bremsscheiben, Abgasanlage, Getriebe und Kühler sind alsdann obsolet. Das hat Folgen für die Zulieferindustrie – auch für die EMS-Gruppe.

Das Bündner Unternehmen erwirtschaftet über 60 Prozent des Umsatzes im Automobilbereich. UBS-Analyst Patrick Rafaisz sieht durchaus Chancen für die Firma, wie er in einer Studie vom Mai schreibt und in einer weiteren von Ende September bekräftigt. Etwa bei Dämpfungsmaterialien, die wichtiger werden, weil das typische Brummen des Motors verstummt.

Weniger Kunststoff

Gross sind aber auch die Risiken. 
Im Fokus sind die Produkte aus der Abteilung EMS-Grivory. Der Unternehmensbereich steht für rund zwei Drittel der Hochleistungskunststoffe. In diesem Segment seien Elektroautos eine Gefahr, weil der Antrieb aus weniger Komponenten bestehe und die Themen Rostschutz sowie Hitzebeständigkeit an Relevanz einbüssten. Unterm Strich kommt der Industrieexperte der UBS zum Schluss, dass der Umbruch das Unternehmen «negativ» beeinflusse.

Rafaisz führt den Chevrolet Bolt als Evidenz an. In der Karosserie und im Antrieb des vollelektrischen US-Autos sind nur noch 9 Kilogramm polymere Verbindungen verbaut. In einem VW Golf dagegen fast das Dreifache.

EMS-Gruppe sieht sich gerüstet

Ein Sprecher der EMS-Chemie widerspricht der Darstellung. Das Unternehmen sei bestens gerüstet für den Umbruch in der Mobilitätsindustrie, sagt Conrad Gericke. Die Substitution von Metall bleibe ein wichtiges Thema sowohl beim Chassis als auch bei der Innenausstattung eines Elektroautos. EMS-Produkte kämen bereits heute «bei allen bedeutenden E-Autos zum Einsatz», sagt Gericke. Er spricht vom Gehäuse für den elektrischen Motor und den Batterieblock, von Getriebekomponenten, elektronischen Modulen, Steckern, Kabelummantelungen und Bauteilen im Thermomanagement. Neue Projekte kämen laufend hinzu. Gericke zitiert seine Chefin Martullo-Blocher: «Jedes Erdbeben legt eine Goldader frei.»

Unterstützung erhält der Firmensprecher von ZKB-Analyst Philipp Gamper. Das Elektroauto sei «bis auf absehbare Zeit» ein Nischenthema, ist der Bankexperte überzeugt. Der Benziner und die Produkte der EMS-Gruppe blieben begehrt. Gamper hat überdies Vertrauen in die 48-jährige Chefin. «Das Management der EMS-Gruppe ist dafür bekannt, Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und darauf zu reagieren», sagt er.