«Wo denken Sie hin!» Rainer Grundler, Leiter Branchenmanagement bei der Credit Suisse (CS), schüttelt heftig den Kopf: «Die CS denkt nicht daran, das Schweizer Firmenkundengeschäft aufzugeben.» Auf bis zu 180 Milliarden Franken schätzt Grundler das gesamte Kreditvolumen für die Schweizer KMU, wovon gut 30 Milliarden auf die CS fallen würden. «Das ist ein gutes Geschäft», fährt Grundler fort, und um den weit verbreiteten Verdacht, die Grossbanken würden die heimischen KMU im Stich lassen, weiter zu entkräften, verweist er auf die Lancierung des Neuunternehmer-Programms «Start-up» und auf die kürzlich abgeschlossene 100-prozentige Übernahme der Venture-Capital-Gesellschaft Innoventure, die wachstumsträchtige KMU mit Eigenkapital versorgt.
Grundlers Beteuerungen mögen manchem KMU-Chef, der momentan durch die Mühlen einer bankinternen Workout-Gruppe gedreht wird, sauer aufstossen. Tatsache ist jedoch, dass die CS mit dieser vermehrten Ausrichtung auf die KMU einem allgemeinen Trend entspricht. Namentlich die grossen IT-Häuser nehmen die KMU schon seit Jahren als spezielles Kundensegment wahr. Viele von ihnen sind intern nicht mehr nach Produkten oder Kompetenzen geordnet, sondern nach Kundengruppen. Bei der IBM hat sich dieses Modell bewährt, und bei Hewlett-Packard (HP) befindet man sich in der Startphase: Dort wird dieser Tage ein nationaler KMU-Verantwortlicher ernannt. Ebenfalls in diese Richtung gehen die grossen Beraterhäuser. Laut Hans Allenspach, Leiter Unternehmensberatung im Bereich KMU bei der KPMG, wird auch seine Firma «das lokale Marketing bei den KMU verstärken».
Selbstverständlich steckt hinter dieser Ausrichtung der Giganten auf die KMU ein unternehmerisches Kalkül. Doch offenbar entspricht das Angebot einer Nachfrage, und dies wiederum beweist, dass die Schweizer KMU in den letzten Jahren teilweise völlig neue Bedürfnisse entwickelt haben. So kam das Wort Risikokapital den meisten KMU-Chefs noch vor wenigen Jahren spanisch vor; ebenso die Begriffe Informationstechnologie oder Exportstrategie. Doch Ignoranz kann sich heute niemand mehr leisten. Wenn die Märkte den Takt bestimmen, geht ohne eine solide Finanzierung, ein ausgeklügeltes IT-Management und eine klare unternehmerische Strategie gar nichts mehr.
Wie unverzichtbar diese Hilfsmittel mittlerweile sind, wissen vor allem jene Unternehmer, die sich - freiwillig oder gezwungenermassen - neue Geschäftsfelder erschlossen haben. Viele von ihnen haben innert wenigen Jahren ihre ganze Produktepalette ausgetauscht. So geschehen bei der Gossauer GMC: Noch zu Beginn der Neunzigerjahre baute das Ostschweizer Unternehmen Drucker zusammen. Mit mässigem Erfolg allerdings, und als 1994 mit René Müller ein neuer CEO einstieg, ging alles sehr schnell: Müller setzte auf Software statt Hardware, und seit einigen Jahren entwickelt und vertreibt die GMC nun ein Softwaretool für den Versand von personalisierten Massenbriefen (siehe «Exportriesen» auf Seite 107). Das Clevere dabei: Das Tool hat eine grafische Oberfläche und kommt dank integriertem Treiber mit allen handelsüblichen Druckern zurecht.
Nicht um den Konkurs zu verhindern, sondern um eine visionäre Idee zu verwirklichen, hat der St.-Galler Unternehmer Hanspeter Reinhardt sein Produktportfolio ausgewechselt (siehe «Forschungsstars» auf Seite 104). Noch Ende der Achtzigerjahre produzierte er Reinigungsanlagen für die Halbleiterindustrie. Er nahm damals sogar Risikokapitalisten mit an Bord und plante den Sprung in die Vereinigten Staaten. Doch er merkte schnell, dass der US-Markt für seine Firma «eine Schuhnummer zu gross» war. Er blies die Übung ab und konzentrierte sich auf das Know-how im Umgang mit Reinräumen beziehungsweise ultradünnen Schichten. Heute produziert die Reinhardt Microtech mit Goldlegierungen beschichtete Substrate, meistens aus Keramik, und sie hat sich in diesem Bereich als europäischer Marktführer etabliert. Das Geschäft mit den Reinigungsanlagen ist eingestellt.
Ähnlich radikal ist der Luzerner Fritz Bieri verfahren. Auch er hat die ursprüngliche Tätigkeit - das Zusammennähen von Jaucheschläuchen - aufgegeben. Dem Ausgangsmaterial Blache ist Bieri treu geblieben; nur dass er seit Mitte der Achtzigerjahre ganze Lastwagenverdecke und Zelte fertigt. Die Idee dazu ist dem Chef persönlich gekommen. Fritz Bieri hat sich damit als veritabler Pionier erwiesen, und auch ihm hat der Erfolg Recht gegeben: Das Geschäft mit den Verdecken übertraf alle Erwartungen (siehe «Branchenstars» auf Seite 99).
Ein Unternehmer ist freilich nicht nur als Pionier gefordert. Je nach Wachstumsphase eines Betriebs stehen andere Fähigkeiten im Zentrum: Anlässlich einer Untersuchung über die internationale Expansion von KMU hat Hans Jobst Pleitner, Direktor des Instituts für gewerbliche Wirtschaft an der Universität St. Gallen, beispielsweise festgestellt, dass der KMU-Chef im wechselvollen Gang einer internationalen Expansion in immer neue Rollen schlüpfen muss. Je nach Internationalisierungsgrad sollte der KMU-Chef entweder Pionier, Organisator oder Allrounder sein.
Das Gleiche gilt, wenn ein Betrieb auf Grund einer Neuausrichtung rasant wächst. Dann ist der Chef plötzlich nicht mehr als Visionär, sondern als umsichtiger Organisator gefragt. «Da habe ich gesündigt», blickt Fritz Bieri auf die damalige Zeit zurück. Er beging den Fehler, den viele Alleinunternehmer machen: Sie reissen viel an, kümmern sich aber zu wenig um den Aufbau von internen Strukturen, welche die wachsende Nachfrage auch wirklich befriedigen können. Bieri zog die Notbremse. Er stellte neue Kader fürs Marketing und die innere Organisation ein und zog sich aus dem Daily Business zurück. Seither agiert er als Patron: Er ist Impulsgeber und legt die grossen Linien fest.
Unternehmer wie Fritz Bieri sind Naturtalente. Neben ihrer jahrelangen Erfahrung zeichnet sie auch das viel zitierte «Gschpüri» aus. Solche Beispiele sollten aber nicht vergessen machen, dass es auch andere Unternehmer gibt, welche die Zeichen an der Wand übersehen, keine klaren Strategien entwerfen und das Potenzial ihrer mitunter hervorragenden Produkte nicht ausnutzen können.
Gründe für diese Versäumnisse gibt es viele. Doch für Hans Allenspach von der KPMG ist klar, dass bei den meisten KMU-Chefs die Ressourcenknappheit die Wurzel allen Übels ist. Der Wettbewerb werde immer härter, die Informationsflut steige und nicht zuletzt nehme auch die administrative Belastung der Chefs ständig zu. Eine Vermutung, die auch wissenschaftlich gestützt ist: Untersuchungen der Universität St. Gallen zeigen, dass Schweizer KMU-Chefs rund eine Woche pro Jahr ausschliesslich mit Behördenverkehr beschäftigt sind - Tendenz steigend.
Entsprechend boomen die Managementschulen. Neue Angebote wie das Vertiefungsstudium «Entrepreneurship» der Churer Hochschule für Wirtschaft und Tourismus (HWT) schiessen aus dem Boden, und bewährte Einrichtungen wie das 1988 lancierte KMU-Intensivstudium der Universität St. Gallen platzen aus den Nähten: «Wir müssen bereits eine Vorselektion machen», sagt Hans Jobst Pleitner, Direktor des Instituts für gewerbliche Wirtschaft der Universität St. Gallen.
Jedes Jahr werden in St. Gallen rund 45 Praktiker auf den neusten Stand gebracht, und Pleitner betont, dass «viele Leute von den BILANZ-Top-50-Firmen» kommen. Das mag kurios erscheinen, ist aber durchaus folgerichtig, denn oft sind es die erfolgreichen Firmen, die sich am intensivsten mit neuen Trends auseinander setzen. Umso mehr, seit das Zauberwort E-Commerce alle bisherigen Managementregeln ausser Kraft zu setzen scheint und in den Betrieben massiv Personal und Mittel bindet.
Die IT-Revolution beschäftigt die Schweizer KMU-Chefs enorm. Die Mitarbeiter der grossen Hard- und Softwarehäuser erfahren das täglich. Andrej Golop, Channel Marketing Manager bei HP: «Was den E-Commerce betrifft, ist die Verunsicherung bei den KMU gross.» Das wundert nicht. Denn wenn auch weiterhin zutrifft, dass die Businessmodelle, die in den USA einschlagen, über kurz oder lang auch in Europa Fuss fassen, stehen den Schweizern noch einige Überraschungen ins Haus. Zum Beispiel die Business-to-Business-Applikationen: Noch 1998 setzten die amerikanischen Klein- und Mittelbetriebe im elektronischen Kontakt mit anderen Firmen vergleichsweise bescheidene zwei Milliarden Dollar um, doch bereits im vergangenen Jahr waren es 25 Milliarden. Das ist mehr Geld, als die amerikanischen Konsumenten im Internet ausgeben, und die Marktforscher von Access Markets International Partners, welche die Zahlen erhoben haben, rechnen mit einem weiteren Wachstum in diesen Dimensionen. Das Brisante an diesen Zahlen: Bei den Umsatzmilliarden handelt es sich in der Regel nicht um Zusatzumsätze, die man auch auf anderen Vertriebskanälen generieren könnte. Einen Grossteil der Summen generieren die so genannten Beschaffungsplattformen von Grosskonzernen. Dort offerieren die Giganten einzeln oder sogar im Verbund ihre Aufträge, und den Zuschlag erhält der Zulieferer mit den günstigsten Konditionen.
Noch betreiben die europäischen und helvetischen Multis keine solchen Branchenportale. Die Planungen laufen jedoch heiss, und Insider wollen wissen, dass die Basler Pharma- und Chemieriesen bereits im kommenden Herbst eine Online-Beschaffungsplattform nach amerikanischem Muster einrichten werden.
Joachim Griese, Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der Universität Bern und einer der ausgewiesensten IT-Experten der Schweiz, ist mit dem Thema vertraut, und er macht sich nicht geringe Sorgen: «Viele Firmen haben noch gar keine elektronischen Tickets für diese Portale.» Das heisst, vielen Firmen fehlt schlicht und einfach die nötige IT-Infrastruktur, um an solchen Sourcingsystemen teilzunehmen. Entweder können sie auf Grund fehlender Enterprise-Ressource-Planning-Systeme nicht schnell genug auf allfällige Ausschreibungen reagieren, oder aber ihre Produktekataloge - wenn überhaupt elektronisch vorhanden - richten sich nicht nach anerkannten Standards. «Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass bei der Aufschaltung solcher Plattformen bis zu 90 Prozent der angestammten Zulieferer ausscheiden», gibt Griese zu bedenken. Von da ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zur jüngsten Prophezeiung des Intel-CEO Andy Grove: «In Zukunft wird es nur noch zwei Typen von Firmen geben: die E-Commerce-fähigen und die bankrotten.»
Für den Beobachter ist die Rückständigkeit vieler Schweizer KMU in Sachen E-Commerce einigermassen erstaunlich, denn es ist bekannt, dass die Schweizer weltweit am meisten Geld für IT-Equipment ausgeben. So verweist HP-Mann Golop darauf, dass die Schweiz das einzige Land in Europa ist, in dem HP keine speziellen KMU-PC verkauft: «Die Schweizer sind nur mit Highend-Geräten zufrieden.» Weiter, so Golop, würden immer mehr KMU-Kunden so genannte Swap-Leasing-Verträge abschliessen, Verträge mit Austauschoptionen für den Fall, dass neue Modelle auf den Markt kommen. Das spricht zwar alles für die Technologiefreundlichkeit der Schweizer Unternehmer. Doch Joachim Griese gibt eben auch zu bedenken, dass die Geräte durchschnittlich sehr schlecht genutzt werden: «Viele Firmen nutzen kaum mehr als das E-Mail-System.»
Derartige Missverhältnisse zwischen Aufwand und Ertrag haben zweifellos schon viele KMU-Chefs am Sinn ihrer IT-Investitionen zweifeln lassen. Doch statt den Rat produkteunabhängiger Experten zu suchen oder einen IT-Profi in die Geschäftsleitung aufzunehmen, verfolgen allzu viele KMU-Chefs eine Vogel-Strauss-Politik. Die Erfahrung zeigt - und das gilt beileibe nicht nur für den IT- Bereich -, dass viele Unternehmer auf betriebliche Schwierigkeiten erst reagieren, wenn der Karren bereits festsitzt und die Probleme die Existenz des Betriebes gefährden.
Gerade die professionellen Unternehmensberater können ein Lied davon singen. Hans Allenspach von der KPMG jedenfalls stellt fest, dass «die Unternehmer viel zu spät auf externes Know-how zurückgreifen». Und er glaubt auch den Grund zu kennen: «Der Beizug von Beratern gilt immer noch als Eingeständnis eigener Schwäche.» Unterstützt wird diese Einschätzung übrigens von einer aufschlussreichen Statistik der Credit Suisse. Dort haben die Ökonomen anhand der Konkursstatistik festgestellt, dass es in der zweiten Hälfte der letzten Rezession überdurchschnittlich viele Betriebe erwischt hat, denen es in der Hochkonjunktur der Achtzigerjahre sehr gut gegangen ist. Für den Senior Economist der CS, Cesare Ravara, zeigt der Befund deutlich, dass gerade erfolgreiche Firmen Gefahr laufen, in stürmischen Zeiten die Hände in den Schoss zu legen und auf bessere Zeiten zu warten - statt sich einzugestehen, dass sie in der Sackgasse stecken.
Eine allgemeine Krise wie in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre ist derzeit nicht zu erwarten. Die Experten der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich prognostizieren ein Wachstum von 2,4 Prozent für dieses Jahr und eines von 2,0 Prozent für das Jahr 2001. Anderseits werden aber auch die goldenen Achtziger nicht wiederkommen. In der heutigen wirtschaftlichen Dynamik können nur die wenigsten Betriebe Fettpolster anlegen, und weil die Märkte auch ohne Krisensymptome immer härter werden, gilt es Vorsorge zu treffen. Hans Allenspach empfiehlt seinen Kunden beispielsweise, auch in den guten Zeiten mit externen Experten zusammenzuarbeiten. Das schaffe ein Vertrauensverhältnis, auf das man im Ernstfall zählen könne, und habe ausserdem die Funktion eines Frühwarnsystems: «Denn», so Allenspach, «ein Berater ist nicht betriebsblind.»
Der Gang zum Berater empfiehlt sich aber nicht nur, um Schaden abzuwenden. Oft können kleine Consultingaufträge, etwa zur Schaffung neuer Führungsinstrumente, Wunder wirken. Umso mehr, als solche Anstrengungen auch von den Banken positiv gewürdigt werden. Seit die Kreditinstitute bei der Zinsbemessung für Unternehmensdarlehen ein Rating zu Grunde legen, kann ein effizienter, nachvollziehbarer Managementstil unmittelbar auf den Zinsfuss durchschlagen.
Als typisches Beispiel für ein äusserst nützliches Führungsinstrument nennt CS-Mann Rainer Grundler ein an die Betriebsgrösse angepasstes Rechnungswesen: «Viele Betriebe wissen noch zu wenig, womit sie eigentlich Geld verdienen; die Erfolgsrechnung wird nur für das Unternehmen als Ganzes gemacht.» Bei Betrieben ab einer bestimmten Grösse reicht das den Kreditinstituten aber nicht mehr. Dabei lässt sich Grundler auch nicht von jenen KMU-Chefs beeindrucken, die behaupten, ihren Betrieb intuitiv zu kennen. Im Gegenteil: Er hält fest, dass gerade ein Führungsstil, der extrem auf dem intimen Wissen eines Einzelnen beruht, ein Klumpenrisiko - also ein Negativfaktor - sein kann. Und das gelte nicht nur für den Verkehr mit der Bank: «Ein Betrieb, der von einem Einzelnen abhängt, ist verwundbar.»
Um solche Risiken auszuschalten, aber auch, um die Chancen der Globalisierung wirklich nutzen zu können, verteilen immer mehr KMU das Management auf viele Schultern. Und wer sich keine externe Beratung leisten will oder kann, sucht nach alternativen Wegen, die Brain-Power seines Betriebes zu steigern. An Beliebtheit gewinnt beispielsweise das Modell Business-Angel. Dabei unterstützt ein ebenso erfahrener wie finanzkräftiger Manager einen Jungunternehmer mit Geld und Know-how, knüpft für ihn wichtige Kontakte und hilft ihm so durch die schwierige Startphase. Mitunter können daraus langfristige Partnerschaften entstehen wie beispielsweise im Fall von Giacomo Rusconi und Christoph Ringier von der Churer Medialine (siehe «IPO-Kandidaten» Seite 97). Alternativen dazu sind der Beizug eines kompetenten Unternehmensstrategen als Verwaltungsrat, die Zusammenarbeit mit einer Venture-Capital-Gesellschaft oder dann das Engagement eines erfahrenen Top-Shots, der nach einer neuen Herausforderung sucht. All diese Varianten haben jedoch eines gemeinsam: Der Unternehmer und Gründer muss sich damit abfinden, dass er in Zukunft nicht mehr allein entscheidet, und genau bei dieser Bereitschaft zur Kooperation harzt es bei vielen gestandenen KMU-Chefs nach wie vor.
Ganz anders sieht es glücklicherweise beim Nachwuchs aus. Für die Jungstars ist es schon beinahe selbstverständlich, dass in einem Betrieb jeder das tut, was er am besten kann. Bestes Beispiel dafür ist der Wettbewerb «Venture 2000» der ETH Zürich und McKinsey: Dort nehmen praktisch keine Einzelkämpfer teil. Die Regel sind vielmehr zwei- bis vierköpfige Teams. Zu danken ist diese Entwicklung jüngeren Professoren wie Markus Meier vom ETH-Institut für Mechanische Systeme (IMES). Meier macht seine Studenten schon in den ersten Semestern mit den grundlegenden Fragen des Industriemarketings vertraut. In einem solchen Umfeld wachsen Forscher heran, die den Kontakt mit der Wirtschaft von sich aus suchen. Einer von ihnen ist Roberto Dal'Ara. Der gelernte Kernphysiker ist Gründer und Chef des Tessiner ETH-Spin-offs Opto Speed (siehe «Forschungsstars» auf Seite 105), und er erinnert sich noch gut an die Zeit vor der Firmengründung: Er nutzte die Industriekontakte des Instituts für Quantenelektronik bereits als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Er sammelte Adressen, knüpfte Beziehungen und löcherte die Produktmanager der Industriepartner mit Fragen rund um die Kommerzialisierung von Hightech-Produkten. Dal'Ara hat die Lektion gelernt: Er sah schnell, dass er seine optoelektronischen Chips ohne Managementverstärkung nie am Weltmarkt würde platzieren können. Deshalb beschäftigt er heute einen vollamtlichen Personalverantwortlichen und einen Finanzchef.
«Open minded» nennt Hans Jobst Pleitner diese neue Unternehmergeneration. Pleitner wertet gerade eine Studie über die Haltungen von Unternehmern aus und glaubt, dass sich seine These, die jungen Entrepreneure seien generell aufgeschlossener und experimentierfreudiger als ihre Vorgänger aus den Siebziger- und Achtzigerjahren, auch empirisch belegen lässt. Nicht zuletzt auf Grund seiner persönlichen Erfahrungen mit den Studenten: «Die Veranstaltungen zum Thema Firmengründung sind ein Riesenerfolg; die Studenten ziehen voll mit.»
Nicht erhärtet hat sich hingegen Pleitners Vermutung, die Haltungen der Unternehmer aus den Hightech-Branchen würden sich signifikant von den Haltungen ihrer Kollegen aus den traditionellen Branchen unterscheiden. Das einzige Resultat des Vergleichs: Die Unternehmer der Old Economy verstehen das Managementhandwerk eher besser als ihre Pendants aus den Hightech- und Softwarebranchen.
Der Befund ist durchaus pikant, aber auch wenig erstaunlich. Denn die New-Economy-Unternehmer sind oft noch sehr jung und können nicht auf einen gewachsenen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Umso höher ist ihre Leistung einzuschätzen, wenn sie es trotzdem schaffen. Denn eines hat sich auch in der New Economy nicht geändert: Ein Betrieb steht und fällt mit dem Management. Noch krasser formulieren es die professionellen Unternehmensfinanzierer; ein geflügeltes Wort in der Venture-Capital-Szene sagt sinngemäss: «Man kann zwar mit einem schlechten Produkt Geld verdienen, aber nie mit einem schlechten Management.»