Damals rissen sich die Konzerne darum. Als die Bauherrin Alptransit die milliardenschweren Aufträge zwischen 2001 und 2005 ausschrieb, «wollte jeder den Zuschlag beim Gotthard», sagt ein Führungsmitglied eines Bau-Konsortiums, das noch heute dabei ist. «Man suchte das Prestige, man hoffte auf etwas Gewinn.» Dann begann sich die Spirale nach unten zu drehen. Den Zuschlag erhielt meistens, wer am billigsten offerierte.

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Heute, 57 Tunnel-Kilometer später, folgt das grossflächige Klagen. Der österreichische Baukonzern Strabag spricht von 35 Mio Fr. Verlust. «Der Preiskampf war ruinös», sagt Strabags Tunnelbauchef Jürg Lucek. Bei Implenia heisst es, ohne Nachforderungen schreibe man tiefrote Zahlen: «Betriebswirtschaftlich ist der Gotthard nicht lukrativ», so Baukommissionschef Luzi Gruber. Der Konzern möchte für sein Konsortium TAT von der Alptransit 350 zusätzliche Millionen.

Offerten mit Absicht gedrückt

Das ist deutlich der grösste bisher gestellte Antrag, doch nicht der einzige: «Insgesamt dürfte es bei der Neat um einen Betrag von gegen einer Milliarde Franken an Nachforderungen gehen», sagt einer, der Einblick in die Zahlen hat. Von anderer Seite wird die Grössenordnung bestätigt. Beim Mittelabschnitt Sedrun etwa stehen Nachforderungen von Dutzenden von Millionen zur Debatte. Einzig bei der Strabag auf Urner Seite ist die Sache gelaufen. «Von uns kommt nichts mehr», so Lucek.

Andere Nachforderungen hat die Alptransit bereits bewilligt: Im geologisch schwierigsten südlichen Streckenabschnitt des Gotthards hatte das Konsortium TAT schon Zusatzkosten von mehreren Hundert Millionen Franken in Rechnung gestellt. Die halbe Milliarde Franken Mehrkosten für den von der Bauherrin gewollten Ausbau der Multifunktionsstelle Faido kommt noch obendrauf. Auch bei Sedrun war schon eine dreistellige Millionensumme fällig. An Strabag wurden wegen Auftragserweiterung und unerwartetem Bergwassereintritt 40 Mio Fr. überwiesen. Und beim bereits zu 99% abgerechneten Lötschbergtunnel begehrte ein Konsortium nachträglich alleine mehr als 200 Mio Fr.

Bei nicht vorhersehbaren Bauproblemen wegen der Geologie oder Auftragsänderungen gelten Nachforderungen als unbestritten. Zum Teil aber sind sie auch direkte Folge des Preiskampfs. «Es gibt Bauunternehmen, die rechnen bereits bei der Offerte fix mit späteren Einnahmen durch Nachforderungen», sagt ein Firmenchef. Nach der eigentlichen Berechnung der Offerte werde das Angebot noch um 5% nach unten gedrückt, um den Zuschlag mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erhalten. Bei dieser Methode seien die Nachforderungen «spekulativer Teil» des Geschäftsplans. Im Klartext: Mit den offiziell nicht budgetierten Einnahmen versucht man, wieder in die Gewinnzone zu gelangen.

Reich geworden ist noch keiner

Ein heikles Spiel, denn was die Bauherrin bezahlt, ist ungewiss. «Am Ende kommt es meistens zu einem Kompromiss zwischen Unternehmen und Bauherrin», heisst es bei einem Auftraggeber. Die Wahrheit beim Preis läge normalerweise in der Mitte.

Nachforderungen stellen nicht nur die grossen Konsortien, sondern fast jede Baufirma. «Sie gehören zur Branche, da bei jedem Bau Änderungen gegenüber der Planung auftreten», sagt ein Zulieferer in Erstfeld. Ob beim Unternehmen, das ausgebrochenes Tunnelgestein weiterbearbeitet, oder bei der Firma, die provisorische Strassen baut: Überall Nachforderungen. Der Tenor ist stets der gleiche: Die Begehren seien moderat, reich geworden sei bis heute niemand. Seinen Namen in der Zeitung lesen will keiner. Der Grund: Nachforderungen würden in der öffentlichen Wahrnehmung immer «etwas Diskutables» anhaften.

Alptransit hat den Auftrag, jede Nachforderung einzeln darauf zu prüfen, ob sie berechtigt ist. Deals, wie zum Beispiel eine pauschale Bewilligung von 50% des Betrages, soll es nicht geben. Alptransit-Chef Renzo Simoni äussert sich zu aktuellen und vergangenen Begehren nicht und bestätigt lediglich, dass noch immer und wohl bis zum Ende der Bauzeit solche eingereicht würden. «Aber soweit wir das heute beurteilen können, wird ein neuer Nachtragskredit nicht nötig sein.»

Die Rechnung könnte aufgehen: Noch immer hat die Bauherrin 905 Mio Fr. an Reserven. Da liegen einige Nachforderungen noch drin. Ein lokaler Bauchef sagt: «Dieser Gedanke wird wohl den einen oder anderen Unternehmer noch wecken.»

 

 



Wie Baukonzerne den Zuschlag für Grossaufträge erhielten

Wer am Gotthard im grossen Stil zum Zuge kommen wollte, musste zuallererst Partner suchen. Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung war, dass das Konsortium tunnelbauerisches Fachwissen und Kapazitäten belegen, aber auch genügend finanzielle Reserven vorweisen konnte. Alleine aus der Schweiz heraus war das kaum zu stemmen, und nicht zuletzt aus politischen Erwägungen galt es, europäisch zu wirken.

Anders als bei privaten Vergaben waren bei der Neat die Kriterien für den Zuschlag klar festgeschrieben. Der Preis war wichtig, aber auch das Management oder Referenzen. Und es gab Kontrollgremien. Doch Beteiligte sprechen selbst im Falle Gotthard davon, dass «Bauen ein Beziehungsdelikt sei» und ein «richtiger Draht zur Bauherrin», also der Alptransit, wichtig war. Lobbyiert wurde auf sehr informelle Art, «zum Beispiel beim Mittagessen mit Verwaltungsräten der Alptransit». Allerdings sei eine Einflussnahme gerade gegenüber der öffentlichen Hand «extrem schwierig, zu 99% lief es sauber und okay ab».

Offenbar keinen allzu direkten Draht zur Bauherrin hatte das Unternehmen Marti. Bei der Vergabe des Auftrags für den Tunnelbau des Streckenabschnitts Erstfeld ging das Konsortium um die Berner 2005 leer aus: Als die Konkurrenten damals ihre Offerten bei Alptransit einreichten, war das Angebot des späteren Gewinners Strabag zunächst nicht das günstigste.

Doch bevor die Bauherrin über die Vergabe entschied, gaben die Österreicher an, die eigenen Berechnungen würden nicht mehr stimmen. Man habe zu teuer offeriert, weil Alptransit das Projekt in der Zwischenzeit redimensioniert habe, argumentierte der Konzern. Strabag durfte daraufhin das Angebot korrigieren. Den Mitbewerbern wurde als Folge davon ebenfalls die Möglichkeit gegeben, an den Offerten zu schrauben. Beobachter sprachen von einer ungewöhnlichen Aktion. Alle Bewerber korrigierten ihre Offerte um bis zu 40 Millionen nach unten. Am Ende waren die Österreicher äusserst knapp die günstigsten.

Marti rekurrierte und machte geltend, Strabags Offerte habe eine unstatthafte Preisberechnung aufgewiesen, eigentlich sei jene Offerte nicht die günstigste gewesen. Zweimal gab die Beschwerdeinstanz Marti Recht, zweimal hielt die Alptransit trotzdem an ihrer Vergabe an die Österreicher fest. Danach kapitulierte Marti. Allfällige Ungereimtheiten wurden nie bewiesen.(mba)