Die Kommentatoren in der Schweizer Presse sehen im Nein zur «No Billag»-Initiative ein starkes Bekenntnis zu staatlicher Hilfe im Radio- und TV-Sektor. Eine Verkleinerung der SRG halten sie für unumgänglich. Wie dies passieren soll, dazu gehen ihre Ideen auseinander. Ein Überblick:
«Neue Zürcher Zeitung»:
«Die Zeit der generalversorgenden Gemischtwarenhändler, die sich aus Gebühren finanzieren, geht zu Ende. Die Bereitstellung von eingekauften Serien oder die Produktion reiner Unterhaltungsshows wird obsolet. Eine SRG soll sich auf politisch und gesellschaftlich relevante Informationen und die Vermittlung von Kultur konzentrieren. (...) Die Rahmenbedingungen muss natürlich die Politik setzen. (...) Statt über die Höhe der für die SRG nötigen Gebühreneinnahmen zu zanken, muss man zuerst über den Leistungsauftrag nachdenken. (...) Zentral ist die Finanzierungsart. Da die soziale Basis für eine Haushaltsteuer bröckelt, ist zu prüfen, ob die Gelder künftig aus dem Bundeshaushalt kommen sollen."
«Tages-Anzeiger»:
«Das Abstimmungsergebnis liefert (...) keine eindeutigen Antworten. (...) Seit Jahren betreibt die SRG auf Kosten der privaten Medien eine aggressive Expansionspolitik und ist zu einem Riesen mit 17 Radioprogrammen, 7 TV-Sendern, einem breiten Onlineangebot und einer umstrittenen Werbeallianz geworden. Nun will man bescheidener auftreten. Endlich! (...) Die Stärke des schweizerischen Initiativrechts besteht darin, dass die Bürgerinnen und Bürger Themen aufgreifen können, die von Bundesrat und Parlament vernachlässigt werden. Bei der SRG hatte es die Politik versäumt, ihr rechtzeitig Schranken zu setzen. Nun ist bei der SRG selbst die Einsicht gereift, sich zu beschränken.»
«Blick»:
«Eine über jeden Zweifel erhabene Mehrheit hat festgestellt, dass die SRG unverzichtbar ist für die Meinungsbildung, für die sprachliche Vielfalt, für den Zusammenhalt des Landes. (...) Sparen, abspecken, Überflüssiges kappen alleine genügt nicht. Auch eine weitere Senkung der Gebühren wäre, pardon, zu billig. Die Schweiz steht vor einer viel wichtigeren Frage: Welche Kosten für Radio und Fernsehen muss die Allgemeinheit tragen, weil sie sich anders nicht finanzieren lassen? (...) Schönfärbende und vertuschende PR wird stärker, kritische und aufklärende Berichterstattung wird schwächer. Eine starke Demokratie aber braucht starke, finanzkräftige Medien - private wie öffentlich finanzierte.»
«Basler Zeitung»:
«Mit dem Nein sind die Grundsatzfragen nicht vom Tisch (...), nämlich was genau Service public ist, von wem er wie finanziert wird und wer das Geld erhält. (...) Die SRG müsste (...) zu einer Nachrichtenagentur für audiovisuelle Inhalte werden, die von allen anderen, also den Privaten, kostenlos verwendet werden dürfen. (...) Geschieht dies alles auch nach dieser Abstimmung (...) nicht oder nur kosmetisch, dürfte es bald wieder eine Volksinitiative geben, welche die Finanzierung der SRG in Frage stellt. (...) Die Medienrevolution kommt sowieso, die Frage ist nur wie.»
«Nordwestschweiz»:
«Es ist an der Zeit, die SRG wieder auf ihre Kernfunktionen zu fokussieren und die Debatte zu entideologisieren. (...) Viele Parlamentarier, Funktionäre und Medienlobbyisten möchten nun am liebsten zuerst eine Grundsatzdebatte über Service public führen, bevor es ans Eingemachte geht. Doch diese Chance wurde schon bei der Abstimmung über das Radio- und Fernsehgesetz vor bald drei Jahren vertan. (...) Man muss den Prozess deshalb umkehren. (...) Zuerst muss deutlich weniger Geld fliessen. Eine engere und präzisere Definition des Service public ergibt sich daraus dann fast von alleine.»
«Südostschweiz»:
«Die privaten Medien (...) werden sich wieder dem normalen Alltag widmen und ihrem Auftrag nachkommen können. Die Ausgangslage für unsere Kollegen der SRG ist aber eine gänzlich andere. Obwohl die No-Billag-Initiative an der Urne klar gescheitert ist, wird die SRG alleine aufgrund der gesenkten Gebühren den Gürtel enger schnallen müssen. (...) Viele, die den Reformbedarf sehen, den Radikalschnitt aber ablehnen, erwarten jetzt konkrete Schritte. (...) Es besteht Bedarf an einer Reform – aber auch an Aufklärung. (...) Wir leben in einer Zeit der Medienkonzentration, eine weitere Verknappung wäre ein Armutszeugnis.»
«Luzerner Zeitung» / «St. Galler Tagblatt»:
«Es ist dies eine Kanterniederlage, typisch in unserem Land bei Volksbegehren, die einen radikalen Systemwechsel verlangen. Die Schweizer mögen keine Revolutionen. (...) Die SRG braucht Leitplanken, damit sie die Medienvielfalt und die Informationsversorgung in der Fläche nicht bedroht. Dass staatsnahe Betriebe nur jene Dienstleistungen anbieten sollten, die Private nicht ebenso gut erbringen könnten, ist in einem marktwirtschaftlich verfassten Staat eine eherne Maxime. (...) Es ist am Bund, hier klare Vorgaben zu machen. Der Bundesrat und das mehrheitlich SRGfreundliche Parlament müssen die Weichen so stellen, dass private Medienhäuser Luft zum Atmen haben.»
«Watson.ch»:
«Der Kampf um die Abschaffung der Radio- und TV-Gebühren war hässlich. Und doch bringt er das Land weiter. (...) Bleibt zu hoffen, dass die Medienpolitiker und SRG-Entscheidungsträger diese Baustelle nun nicht einfach zurücklassen und darauf warten, dass sich neuer Schmutz auf der Oberfläche absetzt. Sie müssen nun den Mut haben, schonungslos abzureissen, was nicht mehr gebraucht wird. Und Neues zu schaffen, wo es erforderlich ist. (...) Es macht die Stärke der direkten Demokratie aus, dass potenzielle Brandherde bei uns früher erkannt werden als anderswo. Und dass wir dadurch die Chance haben, das Feuer einzudämmen, bevor es das ganze Gebäude zum Einsturz bringt.»
«Le Temps»:
«Das Abstimmungsergebnis ist vernichtend. (...) Die Herausforderung besteht jetzt darin, herauszufinden, was die Schweizer mit dieser Abstimmung gemeint haben - und was die Politik und die SRG selbst zu tun gedenken. (...) Die SRG verspricht, sich zu bewegen, um die Kritik aufzunehmen. (...) Aber zu diesem Zeitpunkt sind wir noch weit von einer grundlegenden Reform des Schweizer Mediensystem entfernt. (...) Es wird interessant sein zu sehen, was aus dem Willen wird, wenn die Diskussion über eine neue Verteilung der Gebühreneinnahmen beginnt.»
«La Liberté»:
«Dieser Sieg nicht jener der SRG, sondern der der breiten Öffentlichkeit, die verstanden hat, dass ein rein kommerzielles Fernsehen keine Garantie für Qualität bietet. (...) Der aktuelle Medienkontext verdient eine gründliche Diskussion. Denn wie die SRG ist es auch für die Zeitungen nötig, dass ihre Rolle für den Service public anerkannt wird.»
«Tribune de Genève»:
«Der 4. März markiert einen Bruch. Auch wenn die Bürger darauf verzichtet haben, die SRG abzuschaffen, wollen sie diese auch nicht in der heutigen Form bewahren. (...) Die SRG hat eine gigantische Aufgabe vor sich. (...) Dabei darf nicht das ganze Schweizer Medienangebot ausser Acht gelassen werden. (...) Die private Presse trägt in ihrem Bereich genauso viel zur Meinungsvielfalt und zur Bildung einer öffentlichen Debatte bei.»
(sda/gku/bsh)