Die börsenkotierte Energiedienst Holding produziert hauptsächlich am Rhein und vertreibt fast nur Energie aus Wasserkraftwerken. Sie ist im Schweizer Energiemarkt ein Spezialfall. Im Gegensatz zu den Konkurrenten ist sie in rein privater Hand und agiert gleichzeitig im deutschen und im schweizerischen Energiemarkt. In Deutschland spielt der Markt zwar, was allerdings bedeutet, dass die von Energiedienst verkaufte Öko-Energie aus Wasserkraft zunehmender Konkurrenz ausgesetzt ist. In der Schweiz hingegen funktioniert der Markt wegen diverser gesetzlicher Eingriffe nicht, was es für Energiedienst derzeit schwierig macht, Kunden zu gewinnen und zu wachsen.
Die Marktöffnung wird von den Stromunternehmen hart kritisiert. Was ist falsch gelaufen?
Martin Steiger: Weil der erste Anlauf für eine Marktöffnung scheiterte, hat die Politik beim zweiten Mal die Wahrung der Versorgungssicherheit hervorgehoben. Darum ist nicht nur das Stromnetz, sondern auch der Marktpreis reguliert worden. Die Grossbezüger können von den Stromversorgern Energie zu den Gestehungskosten - also etwa zum Produktionspreis - beziehen. Das verhindert das Spiel der Marktkräfte und ist ein grundsätzlicher Fehler. In Deutschland ist der Preis der Energie nicht reguliert, es gibt aber eine strenge Aufsicht, etwa bei der Strombörse. Und wer in Deutschland eine marktbeherrschende Situation ausnützt, wird streng bestraft.
Deutschland zeigt also, wie man es anders hätte machen können.
Steiger: Ja.
Warum ist man in der Schweiz nicht so weit gegangen?
Steiger: In der Schweiz funktioniert alles etwas anders. 85% der Stromversorgungsunternehmen gehören der öffentlichen Hand. Es besteht darum durchaus auch die Versuchung, alles so zu belassen, wie es ist. Denn schliesslich verdient die öffentliche Hand mit der Stromversorgung viel Geld. Wir als privatwirtschaftlich ausgerichtetes Unternehmen hingegen denken anders. Wir arbeiten nur für die Aktionäre. Doch derzeit können wir Opportunitäten im Schweizer Markt nicht wahrnehmen.
Welche?
Steiger: Wir würden gerne Kunden gewinnen und in Partnerschaften mit anderen Schweizer Stromversorgern kooperieren. Die EnAlpin, die seit eineinhalb Jahren zu Energiedienst gehört, hat dieses Modell im Wallis sehr erfolgreich aufgebaut. Sie arbeitet mit zwölf kommunalen Werken zusammen. EnAlpin ist mit 35% beteiligt und übernimmt die Betriebs- und Geschäftsführung, die Kommunen behalten jedoch ihre Autonomie in der Energiepolitik. Dieses Modell wollten wir auch in der Deutschschweiz anwenden und führten vielversprechende Gespräche. Doch weil die Grosskunden nun Strom zu den Produktionskosten beziehen können, bewegt sich nichts mehr.
Wie werden sich die Strompreise international entwickeln?
Steiger: Die Preise werden weiter steigen, vor allem wenn die Marktmechanismen richtig funktionieren. Im westeuropäischen Kraftwerkspark ist ein riesiger Ersatzbedarf vorhanden.
Und in der Schweiz?
Steiger: In der Schweiz sind die Wasserkraft- und Kernkraftwerke zum grossen Teil abgeschrieben, weshalb der Anteil der Kapitalkosten an den Produktionskos- ten tief ist. Diese Situation sowie die hiesigen Spitzenlast-Kraftwerke sichern der Schweiz ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit. Doch in zehn oder fünfzehn Jahren wird unser Energiemarkt die internationale Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Zum einen beschliesst die Politik konstant neue Abgaben und erhöht zum Beispiel die Wasserzinse oder die Abgabe für erneuerbare Energien. Zum anderen muss unser Kraftwerkspark erneuert werden, und Stromfirmen sehen sich auslaufenden Konzessionen gegenüber.
Die Gefahr wächst, dass unser Strompreis steigt und dass wir den Strom nicht mehr so lukrativ ins Ausland verkaufen können?
Steiger: Ja. Und noch etwas anderes droht, die Strompreise zu verteuern. Viele europäische Kraftwerksprojekte, die vor eineinhalb bis zwei Jahren ernsthaft verfolgt wurden, liegen inzwischen in der Schublade: Wegen der Wirtschaftskrise sind die Strompreise derzeit so tief, dass sich die Erstellung nicht rechnet. Nur: Wenn die Preise an der Strombörse wieder ansteigen und ein stabiles Ni- veau erreichen, wollen alle gleichzeitig bauen. Und dann werden diese Kraftwerke teuer.
Ihre Öko-Wasserenergie können Sie aber zu einem guten Preis verkaufen.
Steiger: Ja. Vor eineinhalb Jahren waren wir in Deutschland sogar absoluter Preisführer. In der Zwischenzeit haben andere Anbieter Preiserhöhungen gemacht, die wir ausgelassen haben.
Also liegen noch Preiserhöhungen drin?
Steiger: Das ist schwierig, weil die Grosshandelspreise im Vergleich zum Spitzenwert 2008 um die Hälfte gefallen sind. Und da verstehen es auch ökologisch denkende Kunden nicht, wenn wir jetzt die Preise erhöhen. Zudem ist in Deutschland die Stimmungslage gegenüber den Elektrizitätsunternehmen ebenfalls nicht sehr gut.
In Rheinfelden nehmen Sie bald ein neues Wasserkraftwerk in Betrieb. Was bedeutet das für Ihre Rechnung?
Steiger: Ein neues Werk ist immer teuer, denn man trägt die vollen Abschreibungskosten. Zudem verkaufen wir aus vertraglichen Gründen die Hälfte der Energie zu Gestehungskosten an die Axpo. Am Anfang ist die Produktion darum rein wirtschaftlich nicht sonderlich interessant. Positiv ist aber, dass das Kraftwerk im Förderkatalog des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) ist. Das sichert die Preise nach unten ab: Wenn der Marktpreis unter 5,7 Eurocent fällt, wird die Produktion über das EEG abgerechnet.
Was bauen Sie nach Rheinfelden? Können Sie gar von der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) profitieren, mit der die Schweiz erneuerbare Energie fördert?
Steiger: Wir arbeiten derzeit an verschiedenen Kleinwasserkraftwerk-Projekten im Wallis und haben zudem über die EnAlpin eine Beteiligung an einem Windenergie-Start-up erworben. Bei diesen Projekten profitieren wir auch von der KEV.
Verfolgen Sie auch grössere Projekte?
Steiger: Das Problem ist, gute Standorte zu finden. Dazu kommt, dass heute der Widerstand gegen neue Anlagen unglaublich stark ist, selbst gegen Kleinwasserkraftwerke. Heute scheint die Denkweise zu herrschen: Sobald etwas unsere Landschaft verändert, leisten wir Widerstand.
Der deutsche Energieriese Energie Baden-Württemberg (EnBW) hält über 80% an Energiedienst. Sehen Sie eine Möglichkeit, dass die Beteiligung reduziert wird und so der Anteil frei handelbarer Aktien steigt?
Steiger: Ich kann nicht für unseren Eigentümer sprechen.
Sie stehen aber sicher in regem Austausch.
Steiger: Da die EnBW ihre Beteiligung auf über 80% erhöht hat, ist unsere Aktie aus dem SPI gefallen. Dies hat Nachteile für uns. Wir werden am Kapitalmarkt weniger wahrgenommen. Wenn keine Analysten den Titel beurteilen, ist es zum Beispiel schwieriger, eine Anleihe zu platzieren.
Haben Sie dies auch der EnBW gesagt?
Steiger: Ja, wir haben erklärt, dass es für das Unternehmen besser wäre, wenn die EnBW ihre Beteiligung reduzieren würde. Für eine statutarische Mehrheit braucht es nur zwei Drittel der Aktien, und auch die Konsolidierungsfähigkeit ist gegeben. Im Moment ist es aber so, dass EnBW kein frisches Geld braucht. Deshalb ist eine Reduktion für sie derzeit kein Thema.
Ist ein Rückzug von der Börse möglich?
Steiger: Nein. Es ist ein teures Unterfangen, die Minderheitsaktionäre auszukaufen. EnBW würde ein paar Hundert Millionen aufwerfen, ohne etwas zu gewinnen.
Was tun Sie jetzt, damit der Free Float steigt und die Aktie attraktiver wird?
Steiger: Die Aktienquote der EnBW könnte zum Beispiel heruntergefahren werden, indem wir bei einer Übernahme einen Aktientausch vornehmen. Dafür könnte man die Aktionäre eher motivieren als für eine teure Übernahme eigener Aktien.
Haben Sie bereits ein Übernahmeziel im Kopf?
Steiger: Es wäre nicht richtig, wenn ich mich jetzt dazu äussere. Klar ist, dass wir in unserem Marktgebiet bleiben. Wir werden uns nicht in der Türkei an einem Kohlekraftwerk beteiligen. Die potenziellen Objekte kann ich aber an einer Hand abzählen.
Werden Sie in der Zwischenzeit mit einer höheren Dividende locken?
Steiger: Das kann ich nicht vorwegnehmen. Wir haben eine Gewinnausschüttung von 30 bis 40% definiert und schauen unsere Dividendenpolitik regelmässig an. Vielleicht gibt es eine Veränderung. Ich kann Ihnen aber weder nach oben noch nach unten eine Indikation geben.
Es geht wohl eher nach oben, weil sie den Gewinn in diesem Jahr steigern können.
Steiger: Das wird schwierig. Wir haben Kostenfaktoren wie zum Beispiel Rheinfelden. Andererseits sind unsere Möglichkeiten, die Preise zu erhöhen, beschränkt. Das 1. Quartal ist aber bisher gut gelaufen.