Das Programm heisst «Journalismus für alle». Und es hat sich zum Ziel gesetzt, Dinge aufzuklären, die ansonsten im korrupten Argentinien häufig nicht mehr aufgedeckt werden. Es wird geleitet von Jorge Lanata, einem der bekanntesten Fernsehjournalisten des Landes, einem Mann, der vor niemandem Angst hat, eine Seltenheit im heutigen Argentinien.
Denn die Fälle von Korruption häufen sich am Rio de la Plata nicht nur in bisher nie dagewesener Weise, sondern es wird auch immer klarer, dass Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, ihre Familie und engsten Mitarbeiter im Zentrum dieses Korruptionszyklon sitzt. Dabei geht es – unter anderem - um Geldwäsche, Scheinkäufe von Immobilien, illegalem Waffenhandel und versteckten Konten im Ausland.
Nur noch Schwarz
Jetzt hatte Lanata am Sonntagabend zur besten Sendezeit Elisabeth Miriam Quiroga ins Studio gebeten. Jahrelang war sie als Chefsekretärin die engste Mitarbeiterin von Néstor Kirchner, von 2003 bis 2008 Staatspräsident Argentiniens. Danach war er nicht nur Ex-Präsident, sondern auch Gatte der seit Dezember 2007 regierenden Staatschefin Cristina Fernández de Kirchner – seine Machtfülle blieb ihm erhalten. Frau Quiroga war Zeugin dieser Jahre.
Seitdem Néstor Kirchner am 27. Oktober 2010 in seinem Anwesen in Patagonien bei der Stadt El Calafate verstarb, trägt Frau Kirchner nur noch Schwarz. In der Rolle der untröstlichen Witwe stellt sie sich seitdem dar – in Argentinien und bei allen Konferenzen im Ausland.
Ehe der Kirchners bestand nur auf dem Papier
Dabei war es in Argentinien ein offenes Geheimnis, dass die Ehe der Kirchners eigentlich nur noch auf dem Papier bestand. Längst ging jeder seine Wege – auch in emotionaler Hinsicht. Und so war es in gut informierten Kreisen seit langem bekannt, dass Miriam Quiroga Präsident Néstor Kirchner nicht nur als Sekretärin zur Seite gestanden hatte, sondern seit langem auch in anderer Weise zu Gebote stand.
Schon wenige Monate nach dessen Tod veröffentlichte «Noticias», eines der bekanntesten argentinischen Gesellschaftsmagazine, auf der Titelseite ein Foto Elisabeth Miriam Quiroga unter dem Titel «Die andere Witwe». Viele in Argentinien wurden von dieser Äusserungen von Frau Quiroga völlig überrascht.
Sie aber bekräftigte nur: «Es war doch Vox Populi, dass ich die Geliebte von Néstor Kirchner war». Das war aber mitnichten einer Mehrheit der Argentinier damals bekannt. Ebenso wie die Gerüchte über die damals 11 Jahre alte Tochter Quirogas, die aber die Vaterschaft von Néstor Kirchner verneinte.
Quiroga packt aus über Geldsäcke und Mitwisser
Frau Quriroga hatte schon für Néstor Kirchner gearbeitet, als dieser in den 90er-Jahren noch Gouverneur seiner Heimatprovinz Santa Cruz war. «Wir waren sehr eng miteinander verbunden; ich habe das alles hinter mir gelassen, um mit ihm aus dem Süden nach Buenos Aires zu gehen», kommentierte sie später die Motive, warum sie Néstor Kirchner, als er Präsident wurde, in die argentinische Hauptstadt begleitete.
Als Kirchner das Präsidentenamt aufgab, erhielt Frau Quiroga noch einen guten Versorgungsposten als Leiterin des Dokumentationszentrums der Präsidentschaft. Aber kurz nach Néstors Tod ereilte sie die Rache der verbrieften Präsidentenwitwe: Anfang 2011 wurde sie geschasst. Ihren Posten bekam Mariana Larroque, die Schwester des Abgeordneten Andrés Larroque, der die den Kirchners ergebene Jugendorganisation «La Campóra» führt. Über diese schleusen Frau Kirchner und ihr Sohn Maximo systematisch ihnen genehme und total ergebene Kirchneristas in die gesamte öffentliche Verwaltung.
Schmuggel von Geldsäcken
Frau Quiroga wiederum ist seitdem frei. Und kann jetzt bei Jorge Lanata richtig auspacken. Die argentinische Zeitung «La Nación» berichtete darüber ausführlich. Frau Quiroga bestätigte folgendes: Sowohl der der Geldwäsche beschuldigte Unternehmer Lázaro Báez, ein enger Freund der Präsidentenfamilie, als auch Daniel Munoz, der ehemalige Sekretär von Kirchner, wussten von dem Schmuggel von Geldsäcken, die aus dem Ausland kommend ins ferne Santa Cruz verbracht wurden.
«Munoz war damit beauftragt, sie in der Präsidentenmaschine Tango 01 dorthin zu bringen». Mit von der Partie war, so Quiroga, auch Julio de Vido, als Minister für öffentliche Bauten und einer der engsten Mitarbeiter der Kirchners. Ausserdem bestätigte sie die Existenz von geheimen Tresoren («cajas de seguridad») im Privathaus der Kirchners bei Calafate.
Auch Cristina Kirchner war auf dem Laufenden
Eindeutig bejahte sie die Frage, ob Frau Kirchner über die finanziellen Machenschaften ihres Mannes auf dem Laufenden war: «Durch die Nähe zum Präsidenten konnte ich immer alle Gespräche mithören, die er führte; und ich kann deshalb versichern, dass sie über alles bescheid wusste». Ausserdem habe die Präsidentin nach dem Tode ihres Mannes wichtige Mitarbeiter und Freunde zusammengerufen, «damit sie mit ihr abrechneten». So auch Lázaro Báez, gegen den zurzeit mehrere Untersuchungen laufen wegen Veruntreuung.
Mit von der Partie war bei dem allem, so Quiroga, auch der argentinische Unternehmer Enrique Eskenazi, eine schillernde Figur aus dem Freundeskreis um Néstor Kirchner. Für diesen soll er auch Ende 2007 den ersten Teilverkauf der bis dahin noch voll in Händen der spanischen Repsol befindlichen argentinischen Erdölgesellschaft YPF getätigt haben. Schon damals wurde spekuliert, dass eigentlich Néstor Kirchner hinter dem Deal stand. Die Äusserungen von Frau Quiroga werden in Spanien sicher auf grosses Interesse stossen.
Letzte Ohrfeige der Geliebten an die Witwe
Frau Quiroga bestätigte auch, dass Armando Mercado, der Ex-Mann von Alicia Kirchner, der Schwester des verstorbenen Präsidenten, zum Kreise derer gehörte, die um die Geldtransporte nach Patagonien wussten. Alicia war eine enge Vertraute von Néstor, der sie auch zur Ministerin für soziale Entwicklung gemacht hatte. Sie geriet später in die Schlagzeilen, als herauskam, dass sie Mitarbeiterin in der Regierung des ehemaligen Militärdiktators Jorge Videla gewesen war.
Zum Abschluss ihres Gesprächs mit Jorge Lanata sagte Frau Quiroga noch, es habe sie gestört, dass sie sich nicht persönlich mit Cristina Kirchner habe aussprechen können. Dem hingegen sei Oscar Parrilli auf sie zu gekommen, Generalsekretär der Präsidentschaft, und habe ihr einfach nur mitgeteilt, man bräuchte jüngere Leute auf ihrem damaligen Posten. Sie sei übrigens ausgeschieden, ohne die ihr beim Ausscheiden aus dem Staatsdienst zustehende Abschlagszahlungen zu beantragen. Eine letzte Ohrfeige gegen Frau Kirchner.
Schweizer Banken sollen involviert sein
Nach den Ausstrahlung des Programms mit Frau Quiroga meldete sich als erster der ehemalige Staatspräsident Eduardo Duhalde zu Wort, der Néstor Kirchner 2003 den Weg zur Präsidentschaft geebnet hatte. Er rief Präsidentin Cristina Fernández auf, «jeden Verdacht in systematische persönliche Bereicherung involviert zu sein» schnell aus dem Weg zu räumen, schliesslich stünde das Ansehen des argentinischen Staates auf dem Spiel: «Wenn dies nicht geschieht oder nicht geschehen kann, sieht die argentinische Verfassung nur eines vor: den politischen Prozess». Die Bevölkerung sähe immer häufiger, dass die Gesetze dafür gemacht zu sein schienen, ignorieren zu werden. Deshalb sei es eine Aufgabe aller Argentinier «an der ethischen Rettung des Landes mitzuarbeiten».
Mittlerweile sind die Wellen, die die Äusserungen von Frau Quiroga ausgelöst haben, auch in der Schweiz angekommen. Dort sprechen verschiedene Zeitungen schon von Lazarogate, und beziehen sich damit auf den Vornamen des Unternehmers und Kirchners Freundes Lázaro Báez. In das von ihm - mit Hilfe und Unterstützung durch Néstor Kirchner - entwickelte Geldwäscheschema sollen verschiedene Schweizer Banken involviert sein. Das berichtet die argentinische Zeitung «La Nación» und nennt ausdrücklich Lombard Odier.
Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Schwester-Publikation «Die Welt».