Wie konnte es zum Untergang der Credit Suisse am 19. März 2023 kommen? Die parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) nimmt die Vorgänge genau unter die Lupe, auch um die Verantwortlichen und Schuldigen zu benennen. Dabei untersucht sie die Ereignisse ab dem Sommer 2022 besonders akribisch. Doch auch der Vorgeschichte ab dem Jahr 2015 widmet die PUK ihre Aufmerksamkeit, da schon Jahre zuvor bei der CS Weichen falsch gestellt wurden, die schliesslich das Ende der Traditionsbank besiegelt haben.
In den Jahren 2015 bis 2023 hatte die CS vier Konzernchefs und drei Präsidenten – ein enormer Verschleiss.
10. März 2015
Konzernchef Brady Dougan (65) tritt nach acht Jahren als CEO und nach 25 Jahren bei der Bank zurück. Endlich, sagen viele Beobachterinnen und Beobachter. Sein Nachfolger Tidjane Thiam (62) bestimmt ab Juni die Geschicke der Bank und räumt mit der Ära Dougan auf. Die Bank braucht milliardenschwere Kapitalspritzen und schreibt 2015 wegen hoher Wertberichtigungen einen Verlust von 2,9 Milliarden Franken.
22. September 2019
Der Beschattungsskandal erschüttert den Finanzplatz. Iqbal Khan (48), damals oberster Vermögensverwalter der CS, wechselt zur Erzrivalin UBS. Aus Angst, Khan könnte Kundschaft und Mitarbeitende mit zu seinem neuen Arbeitgeber nehmen, heuert die CS Detektive zur Überwachung an. Doch sie fliegen auf, als Khan sie in der Zürcher Innenstadt stellt.
7. Februar 2020
Wie sich herausstellt, ist die Überwachung von Khan kein Einzelfall. Thiam muss wegen der Beschattung mehrerer Topmanager durch die Bank den Hut nehmen. Nachfolger als CEO wird der damalige CS-Schweiz-Chef Thomas Gottstein (60).
März 2021
Die Milliardenpleiten von Greensill und Archegos reissen riesige Löcher in die Bilanz der CS. Am 5. März schlittert das Finanzdienstleistungsunternehmen Greensill Capital in die Insolvenz. Die CS muss vier Fonds im Wert von 10 Milliarden Franken einfrieren. Am 29. März verspekuliert sich der US-Vermögensverwalter Archegos Capital – und brockt der CS einen Verlust von 5 Milliarden Dollar ein. Die beiden Pleiten stehen sinnbildlich für die mangelhafte Risikokultur innerhalb der CS.
30. April 2021
Nach zehn Jahren tritt Urs Rohner (65) als CS-Präsident ab. Die Aktionäre und Aktionärinnen wählen den portugiesischen Bankmanager António Horta-Osório (60) zum neuen Verwaltungsratspräsidenten der Grossbank.
Oktober 2021
Ein Bericht der Finanzmarktaufsicht (Finma) kommt zum Schluss: Ein Milliardenkredit der CS an zwei Staatsfirmen in Mosambik floss teilweise in private Taschen, statt wie vorgesehen Schiffe für die Küstenwache und eine Thunfischfangflotte zu finanzieren. Die CS muss 475 Millionen Dollar Busse hinblättern.
17. Januar 2022
Horta-Osório foutierte sich nach einem London-Trip um die Corona-Quarantäne. Unter öffentlichem Druck muss Horta-Osório zurücktreten. Der ehemalige UBS-Banker Axel Lehmann (65) übernimmt.
10. Februar 2022
Die Bank nimmt für das vierte Quartal 2021 eine milliardenschwere Wertberichtigung für die vor mehr als zwanzig Jahren gekaufte US-Investmentbank DLJ vor. Für das Gesamtjahr 2021 resultiert ein Verlust von 1,6 Milliarden Franken. Die CS-Spitze spricht für 2022 von einem «Jahr des Übergangs».
27. Juli 2022
CEO Gottstein tritt mit der Bekanntgabe eines weiteren Milliardenverlusts für das zweite Quartal zurück. Zum neuen Konzernchef wird Ulrich Körner (62) ernannt, der zuvor die Assetmanagementdivision geleitet hat.
Oktober 2022
Die CS kann zwei alte Fälle endgültig abschliessen: In Frankreich zahlt sie im Rahmen eines Vergleichs insgesamt 238 Millionen Euro, weil sie französischen Kundinnen und Kunden bei der Steuerhinterziehung geholfen haben soll. In den USA einigt sie sich fast zeitgleich auf eine Zahlung von 495 Millionen Dollar. Dabei geht es um Ramschhypotheken, mit denen die CS Kunden und Kundinnen in die Irre geführt haben soll. In den letzten zehn Jahren hat die CS rund 12 Milliarden Franken für Bussen, Vergleichs- und Schadenersatzzahlungen ausgegeben.
27. Oktober 2022
Die Bank kündigt eine Restrukturierung und eine Kapitalerhöhung über 4 Milliarden Franken an. Die verlustträchtige Investmentbank soll verkleinert werden. Als neue Investorin holt die Credit Suisse die Saudi National Bank an Bord. Das Problem: Es wird auch an diesem Investorentag nicht klar, wie die CS künftig Geld verdienen will. Spätestens jetzt ist das Ende der Bank absehbar.
23. November 2022
Die Credit Suisse bestätigt massive Kundengeldabflüsse. Angefangen haben diese bereits im Oktober, als Gerüchte in sozialen Medien um eine Schieflage der Bank herumgeboten wurden. Im gesamten vierten Quartal haben Kundinnen und Kunden rund 110 Milliarden Franken oder rund 8 Prozent der verwalteten Vermögen von der Bank abgezogen.
14. Dezember 2022
Hat der damalige Finanzminister Ueli Maurer (74) die Schieflage der CS unterschätzt? Kurz vor Übergabe der Amtsgeschäfte an seine Nachfolgerin Karin Keller-Sutter (60) gibt Maurer in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen (SRF) der angeschlagenen Bank viel Kredit: Die CS habe sich eine neue Strategie gegeben und arbeite nun an der Umsetzung. «Man muss sie jetzt einfach ein Jahr oder zwei in Ruhe lassen», versucht Maurer zu beruhigen.
9. Februar 2023
Die Bank weist für das Geschäftsjahr 2022 einen Verlust in der Höhe von 7,3 Milliarden Franken aus, das tiefste Minus seit der Finanzkrise. Für 2023 stellt die CS ein weiteres Verlustjahr in Aussicht.
6. März 2023
Der langjährige Grossaktionär Harris Associates verkauft sämtliche Anteile an der CS. David Herro (64) von Harris zeigt sich frustriert und übt heftige Kritik an der Bank.
15. März 2023
Der Präsident der saudischen CS-Grossaktionärin Saudi National Bank, Ammar Al Khudairy, schliesst in einem Interview eine weitere finanzielle Unterstützung der CS aus. An einer Finanzkonferenz in Riad versucht CS-Präsident Lehmann die Aktionärinnen und Aktionäre zu beruhigen und schliesst staatliche Unterstützung aus.
16. März 2023
Die Credit Suisse leiht sich bis zu 50 Milliarden Franken von der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Diese betont gemeinsam mit der Finanzmarktaufsicht (Finma), dass die Grossbank die an systemrelevante Banken gestellten Anforderungen bezüglich Kapital und Liquidität erfülle.
19. März 2023
Kurz vor 19.30 Uhr ist die CS Geschichte. Bundesrat, Behörden und Banken geben die Übernahme der CS durch die UBS bekannt. Die Übernahme kommt nach intensiven Verhandlungen während eines Wochenendes zustande. Involviert sind neben Vertretern der beiden Banken auch Bundesräte, die Nationalbank und die Finanzmarktaufsicht. Die UBS bezahlt rund 3 Milliarden Franken in UBS-Aktien für die Übernahme der Konkurrentin. Die Nationalbank leistet Liquiditätshilfen von insgesamt 200 Milliarden Franken, und der Bund spricht für die UBS Garantien von 9 Milliarden Franken. Insgesamt geht der Bund bei dem Deal Verpflichtungen von 109 Milliarden Franken ein. Die Finanzdelegation des Parlaments gibt dazu grünes Licht.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Blick.ch unter dem Titel «Platzt der Traum vom Haus nun ganz?».
Insider-Bericht zum Untergang der CS
Es war ein Hochseilakt, den die Schweizer Behörden in jenen vier schicksalhaften Tagen vor einem Jahr vollbringen mussten: Der grösste Zusammenschluss in der Bankenwelt seit der Finanzkrise. Was geschah in diesen dramatischen 96 Stunden wirklich? Wie konnte die Credit Suisse in eine derartig epochale Schieflage geraten – ausgerechnet die Bank, die als eine der wenigen globalen Geldhäuser gestärkt aus der Finanzkrise gekommen war? Bilanz-Chefredaktor Dirk Schütz liefert mit diesem Buch ein erschütterndes Zeitdokument. Alles dazu im Buch.