Die Ökonomen von Raiffeisen gehen für dieses Jahr von einem schwächeren Wachstum der Schweizer Wirtschaft aus. Mit einem erwarteten BIP-Wachstum von 1,2 Prozent ist die Prognose von Raiffeisen deutlich pessimistischer als die meisten anderen Experten, welche ein Wirtschaftswachstum von 1,5 bis 1,7 Prozent vorhersagen.

Allerdings sieht Chefökonom Martin Neff darin eher den Normalzustand. Denn das Wirtschaftswachstum 2018 von 2,5 Prozent liege weit über dem Wachstumspotenzial der Schweizer Wirtschaft. Dazu beigetragen hätten auch Sonderfaktoren wie die Fussballweltmeisterschaft.

Anders als viele Ökonomen ziehen die Experten von Raiffeisen eine gemischte Bilanz der Schweizer Hochkonjunkturphase der vergangenen Jahre. Dabei gibt es gleich mehrere Probleme:

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Abhängigkeit von der Pharmabranche

Einerseits die grosse Abhängigkeit von der Pharmabranche – ohne deren Exporte hätte die Schweiz ein Handelsbilanzdefizit statt einen -überschuss. Dies sei weltweit einzigartig, höchstens in Norwegen gebe es eine ähnliche Abhängigkeit von einer einzelnen Branche, dem Energiesektor. Diese einseitige Abhängigkeit von der Pharmaindustrie hält Martin Neff für gefährlich.

Denn gleichzeitig sind frühere Vorzeigeindustrien wie Maschinen und Metall – Anfang der neunziger Jahre machte die Maschinenexporte 40 Prozent aus, heute nur noch knapp 20, dafür kommen 40 Prozent der Exporte aus der Pharmabranche – in den vergangenen zehn Jahren stark rückläufig was die Exporte angeht. Auch die Uhrenbranche sei längst kein Zugpferd der Wirtschaft mehr.

«Der Erfolg der Pharmabranche ist ein unverzichtbarer Pfeiler für die Schweizer Wirtschaft geworden, aber Diversifikation der Schweizer Exportwirtschaft ist für eine kleine, weltoffene Volkswirtschaft wichtig,» sagt Martin Neff.

Was es heisst, nur auf eine Branche aufzubauen, bekam die Schweiz in den späten 1970er, Anfang der achtziger Jahre zu spüren, als die Uhrenbranche kriselte. Angesichts weltweit steigender Gesundheitskosten, wird es in Zukunft zu immer stärker regulierten Märkten für Pharmazeutika kommen. Dies würde auch den teilweise exorbitanten Margen ein Ende bereiten und die Branche unter Druck setzen – mit überdurchschnittlich negativen Folgen für die Schweiz als in anderen Ländern, die stärker diversifiziert sind.

Portrait of Martin Neff, chief economist of Swiss bank Raiffeisen Bank, taken in Zuerich, Switzerland, on February 27, 2014. (KEYSTONE/Gaetan Bally)Martin Neff, Chefoekonom der Raiffeisen Bank, portraitiert am 27. Februar 2014 in Zuerich. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

Martin Neff: Chefökonom von Raiffeisen.

Quelle: © KEYSTONE / GAETAN BALLY

Kaum Erholung in der Industrie

Andererseits zeigt der Raiffeisen-Chefökonom das einseitige Beschäftigungswachstum auf. In den vergangenen rund drei Jahrzehnten sei der Anteil der Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe um rund 20 Prozent gesunken, vor allem zugunsten des Dienstleistungssektors.

Allerdings erziele die Industrie eine immer höhere Produktivität – mehr als im Dienstleistungssektor. Der Anteil des produzierenden Gewerbes am Gesamt-Output der Schweizer Wirtschaft sei höher als in anderen Industrienationen. «Das ist zwar ein Gütesiegel, aber wird vor allem über die Produktivität erreicht und nicht über mehr Beschäftigung. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die industrielle Basis in unserem Land erhalten bliebt.» Dafür brauche es unter anderem eine diversifiziertere Wirtschaft.

Welthandel bleibt Thema Nummer eins

Was die Wirtschaftsentwicklung 2019 angeht, gelte alle Aufmerksamkeit gelte dem Welthandel. Dabei werde das Verhältnis zwischen den USA und China entscheidend sein – mit Auswirkungen für die globale Wirtschaft und damit auch für die exportabhängige Schweiz.

Für die USA erwarten die Raiffeisen-Ökonomen ein Ende des Wachstumszyklus – dem längsten der Nachkriegszeit – spätestens 2020. In diesem Jahr kühlt sich die US-Konjunktur immer weiter ab. Eine weitere Eskalation des Handelskonflikts sei zwar nicht auszuschliessen, doch werde dessen Wirkung auf die chinesische Wirtschaft überschätzt: Denn der Anteil der Exporte am chinesischen BIP beträgt nur 20 Prozent.

Im Vergleich: In der Schweiz tragen die Exporte 65 Prozent zum BIP bei, beim «Exportweltmeister» Deutschland knapp unter 50 Prozent. China ist damit bei weitem nicht so abhängig von der Exportwirtschaft als gedacht. Vielmehr belasten andere Probleme die chinesische Wirtschaft wie etwa die hohe Gesamtverschuldung von 300 Prozent – mit steigender Tendenz, denn das «Wachstum auf Pump» werde immer wahrscheinlicher. Für 2019 gehen die Experten von Raiffeisen von 5,9 Prozent BIP-Wachstum in China aus – deutlich unter dem offiziellen Wachstumsziel.

Sorgenkind Wechselkurs

Daneben werde sich die Abhängigkeit von Europa weiter in einem etwas schwächeren Wirtschaftswachstum äussern. Und auch der anstehende Brexit werde die Schweiz tangieren – immerhin ist Grossbritannien drittwichtigster Absatzmarkt für Schweizer Exporte.

Letztlich bereitet der Wechselkurs Chefökonom Martin Neff weiterhin Sorgen. So erwartet er auch für 2019, dass die Währung das Thema Nummer eins für Warenexporteure sowie die Tourismusbranche sein wird. In den kommenden 12 Monaten rechnet Neff mit einem stärkeren Franken – mit etwas Glück könne er sich bei einem Eurokurs von rund 1,10 einpendeln.