Die Slides auf PowerPoint sahen vielversprechend aus. Die jungen Berater aus Holland entzückten die Zürcher Manager mit ihrer hippen Erscheinung. 300 Seiten füllte ihre Präsentation. Von «Customer Journey» und «Digital Value Chain» war da die Rede. Das Telco-Unternehmen wollte eine radikal neue Digitalstrategie. Wochen später gab man sich dann aber mit einer selber produzierten neuen Facebook-Fanpage zufrieden.

Was war passiert? Die Berater hatten den Schweizer Markt komplett falsch eingeschätzt. Und auf die Frage: «Was machen wir konkret?» hatten die Hipster aus den Niederlanden einfach keine Antwort parat. 200'000 Franken kostete der Spass. Immerhin hat man daraus etwas gelernt: Ein sportliches Vokabular macht noch keinen guten Berater.

Die Schweizer Wirtschaft ist an einem heiklen Punkt angelangt. Die Nachfrage nach Digitalberatern ist gegenwärtig grösser als das Angebot. Das hat einen Nährboden für Scharlatane geschaffen. Digitale Blender. Sie profitieren von der Unwissenheit der Entscheidungsträger in Unternehmen und drehen ihnen unnütze Ideen und Produkte an.

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Teure «Learnings»

Längst nicht alle machen das bewusst. Viele glauben an ihre Kompetenz, sprechen nach Flops stolz von «Learnings» und nehmen in Kauf, dass es ihre Kunden eine Stange Geld kostet. «Es gibt weder Label noch Zertifizierung. Sie und ich können uns ab morgen Digitalberater nennen», bedauert Nicolas Bürer, Managing Director vom Verein Digitalswitzerland.

Sie arbeiten für grosse, traditionelle Beratungsfirmen, kleine Webagenturen oder direkt in den Unternehmen. Und sie referieren an den unzähligen Tagungen über digitale Transformation oder Influencer Marketing. Im Beratungsumfeld ist die Beurteilung oft subjektiv, ob ein Projekt tatsächlich erfolgreich oder doch gescheitert ist. Darum halten wir uns in diesem Text mit Namen zurück.

KMU-Chefs spüren den Druck

Den Druck bekommen derzeit die KMU-Chefs zu spüren. Nie wurden sie stärker mit Umfragen bedrängt als 2017. Zum Beispiel von der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Nachdem diese 1857 Firmen zum Thema digitale Transformation befragt hatte, stellte sie fest, dass die Digitalisierung in acht von zehn Firmen «eine grosse Relevanz» habe. Sechs von zehn schätzen jedoch ihre eigene «Innovationsstärke» als «schwach» oder «mittel» ein.

Acht von zehn KMUs bestehen aus weniger als fünf Angestellten. Der Chef und Besitzer ist im Schnitt 50-jährig, also kein Digital Native. Egal, in welcher Branche er tätig ist: Gefühlt zweimal pro Woche ruft bei ihm im Auftrag eines Beratungsunternehmens oder einer Hochschule ein Umfrageinstitut an, das wissen will, wie gut er für die Digitalisierung gerüstet sei. Man kann ihm keinen Vorwurf machen, wenn er sich schliesslich fragt, ob er sich nicht vielleicht doch langsam mal eine Digitalstrategie zulegen sollte. Weil er intern kein Know-how hat, greift er eben auf einen externen Berater zurück.

Brauchen alle eine Digitalstrategie?

330'000 der 580'000 Schweizer KMU-Betriebe sind Einzelunternehmen, also weder AG noch GmbH oder Genossenschaft. Während die Beratungsfirmen in ihren Studien vom grossen unerschöpften Potenzial bei den KMUs sprechen, besteht die Schweizer Kleinfirmenlandschaft in Wirklichkeit aber zu einem sehr grossen Teil aus Coiffeuren, Sanitärinstallateuren, Steuerberatern, Malern, Optikern, Wirten, Fahrlehrern oder Reinigungsfirmen. Die meisten müssen sich kein Bein ausreissen: Eine übersichtliche Website und eine erkennbare E-Mail-Adresse reichen längst als digitales Rüstzeug. Das schaffen sie auch ohne Berater, und es kostet sie unter Umständen keinen Rappen.

Die Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ) kommt in ihrer Umfrage zum Schluss, dass 54 Prozent der Unternehmen über keine «Strategie für die digitale Transformation» verfügen. Noch schlimmer: 71 Prozent planen, für die nächsten zwei Jahre keine solche Strategie zu erarbeiten. Was die HWZ nicht gefragt hat: Brauchen sie denn alle eine Strategie?

Digitale Berater

Der KMU-Chef ist im Schnitt 50-jährig, also kein Digital Native. Weil er intern kein Know-how hat, greift er eben auf einen externen Berater zurück.

Quelle: Michael Raaflaub

Der «Tages-Anzeiger» zitierte vor ein paar Monaten eine ähnliche Studie der UBS, die zu einem vergleichbaren Resultat kam. Die Zeitung fragte schliesslich beim Dachverband Economiesuisse nach, wie man sich erkläre, warum sich die hiesigen Firmen kaum um die Digitalisierung kümmerten. Die erfrischend nüchterne Antwort: Wenn Unternehmen die Sache nicht als Hype oder Gefahr sähen, so liege das wohl daran, «dass sie selbst längst Teil dieses digitalen Wandels geworden sind». Besser gesagt: Die kommen schon zurecht.

Man kann aber davon ausgehen, dass verunsicherte KMU-Chefs irgendwo lesen, dass kalifornische Techkonzerne oder Berliner Start-ups mit einer genialen Idee ihre Firma substituieren könnten. Vielleicht lesen sie sogar im «Digital Maturity & Transformation Report 2017» der Uni St. Gallen, dass «digital reife Unternehmen innovationsfreudiger» seien. Was nun?

Blender mit Buzzwords enttarnen

Spätestens beim Googeln läuten die Bullshit-Bingo-Alarmglocken. Man orchestriere die Customer Experience über alle digitalen Touchpoints, steht auf der Website einer Agentur, die mehrere von BILANZ befragte Experten als Schaumschläger bezeichnen.

«Sag doch einfach Kundenzufriedenheit!», schimpft Digitalpionier Thomas Bergmann. Auf solchen Seiten, «wo einem die Buzzwords um die Ohren gehauen werden», würden die Blender enttarnt, sagt der Bayer, der die Digitalsparten von UPC und Credit Suisse führte. Heute verantwortet er den KMU-Kongress Digital Summit, wo er den Managern auch beibringt, «was sie alles nicht brauchen».

Mit einer aussergewöhnlichen Social-Media-Kampagne wollte ein Schweizer Medienhaus neue Leser für seine bekannteste Publikation gewinnen. Eine externe Webagentur sollte das Unternehmen dabei unterstützen. Die jungen Berater tischten dann aber ein «trümmliges User-Generated-Konzept» auf, wie ein Involvierter berichtet. Sie schlugen eine knallige Foto-Idee vor: Leser sollten Selfies von sich machen, die sie bei der Lektüre zeigen. Danach sollten sie die Bilder gleich selbst auf ein Portal laden. Am Ende machten gerade mal eine Handvoll Leute mit. Der finanzielle Schaden ist nicht bekannt.

Standard-Baukasten, der nichts bringt

«Berater werden immer mehr, und sie wollen überleben», sagt Trendforscher David Bosshart vom Gottlieb Duttweiler Institut (GDI). «Also klebt man eifrig neue Etiketten auf alte Ideen – aus altem Change Management wird nun plötzlich Digital Transformation, und selbstverständlich ist man ein Experte dafür.»

«Wenn sie sagen: ‹Wir waren im Silicon Valley›, bin ich schon raus», sagt Malte Polzin. Der E-Commerce-Experte war Geschäftsführer bei Brack.ch und DeinDeal und beriet bei der Agentur Carpathia stationäre Händler beim Aufbau eines Onlineshops. Er sieht den Haken in der Bequemlichkeit: «Viele Beratungsfirmen verkaufen einen Standard-Baukasten, der strategisch und operativ wenig bis gar nichts bringt und häufig mit extrem hohen Kosten verbunden ist.» In vielen Fällen seien die Berater gleichzeitig Lizenznehmer von Software und hätten darum ein wirtschaftliches Interesse, diese Produkte an den Mann zu bringen. «Bald wird aus einer einfachen Beratung ein Riesending», weiss Polzin. «Da hört es dann mit der Seriosität auf.»

It's the Vernetzung, stupid!

Vor allem Apps sind bei den digitalen Blendern hoch im Kurs. Sie lassen sich ganz einfach programmieren und kosten ab Stange bis zu 100'000 Franken. Oft werden sie aber nicht in die bestehende Firmen-IT integriert und landen darum bald in der mobilen Abstellkammer. Inoffizielle Apple-Zahlen werden herumgereicht, wonach 91 Prozent aller Apps vier Wochen nach dem Download nicht mehr angerührt werden.

Wäre das erwähnte Medienhaus mit mehr interner Digitalkompetenz besser bedient gewesen? Eher nicht, glaubt Blacksocks-Gründer Samy Liechti. Denn Digitalisierungsexperten in Unternehmen seien Leute, die keinen Return erzielen müssten: «Die baden alle, ohne nass zu werden.» Wer etwas weiterdenke, besetze den Verwaltungsrat mit entsprechendem Know-how, findet Digitalunternehmer Hannes Gassert: «Den meisten würde ein digitalaffiner VR langfristig mehr bringen als externer Rat.» Wie sagt man so schön im Silicon Valley: If you want to get on board with digital you have to get digital on your board.

Vernetzt denkende Fachleute im obersten Gremium: Für mittlere und grosse Unternehmen macht das Sinn. Sie könnten mitunter verhindern, dass praxisfremde Hipster-Berater mit Laptops unter dem Arm unnötig die Sitzungsräume besetzen. Dass sie überhaupt engagiert werden, hat noch zwei weitere Gründe, wie Mathias Menzl von der Content-Marketing-Firma Kollektiv Authentisch weiss: «Einerseits ist die Hierarchie zu steil. Die Geschäftsleitung weiss oftmals nicht, was man intern alles selber machen könnte», sagt er. «Andererseits sichern sich die Chefs mit dem Engagement von externen Beratern ab. Wenn grosse Projekte scheitern, können sie sagen, sie hätten schliesslich alles unternommen und sogar externen Expertenrat eingeholt.»

Digitale Berater

Vor allem Apps sind bei den digitalen Blendern hoch im Kurs. Sie lassen sich ganz einfach programmieren und kosten ab Stange bis zu 100 000 Franken.

Quelle: Michael Raaflaub

Es sind veraltete Mechanismen, die heute eigentlich nicht mehr ziehen. Streng genommen ist Digitalisierung nichts anderes als der Versuch, Vernetzung zu perfektionieren. Dank erhöhter Speicherkapazität und höherer Geschwindigkeit können wir Informationen in bislang ungekanntem Ausmass kombinieren. Der österreichische Wirtschaftswissenschaftler Fredmund Malik betrachtet es in seinem neuen Buch «Gefährliche Managementwörter» philosophisch: «Woraus ein System besteht, ist weniger wichtig. Wesentlich ist die Information, die die Elemente vernetzt, ordnet und organisiert.»

Digitalisierung oder eben Vernetzung gibt es demnach auf mehreren Ebenen und bedeutet nicht nur 3-D-Drucker, Onlineshop, Bewertungsplattform oder Datenmanagement, sondern auch schnellere Prozesse und intelligenteren Umgang mit internem Wissen. Auf der Suche nach einem effizienteren Ablauf stellte man bei der Webagentur Liip, die von Hannes Gassert mitbegründet wurde, fest, dass man eigentlich die gesamte Organisation umkrempeln müsste. Digitalisierung bedeutet hier: Abbau von Hierarchien. So führte Liip Holacracy ein – eine Struktur, die auf Transparenz und Arbeitsteilung basiert. «Wir mussten nicht einen neuen Prozess einführen, sondern Barrieren beseitigen», resümiert Gassert.

Praxiserfahrung ist unverzichtbar

Würde die Erkenntnis auch den internationalen Beratungsfirmen guttun? Zumindest hat das Stefan Pfister, CEO von KPMG Schweiz, schon mehr als einmal gehört. PwC, McKinsey, Oliver Wyman, KPMG oder Deloitte müssten die eigenen Digitalisierungsprozesse zügiger vorantreiben, bevor sie ihr Beratungsmandat ausbauen, wird in der Branche kritisiert. Man komme in einigen Bereichen tatsächlich nur schwerlich dazu, weil die eigenen Fachkräfte durch externe Projekte absorbiert seien, räumt Pfister freimütig ein. «Wir haben die Kompetenz, andere Unternehmen zu beraten und weiterzubringen, aber leider nicht die nötige Zeit, diese Kompetenz auch dafür einzusetzen, um eigene Digitalprojekte schnellstmöglich voranzutreiben», sagt er mit einem Augenzwinkern.

Viel wichtiger ist ihm die Ausbildung seiner Berater. Die übernimmt KPMG grösstenteils selber. «Von den Hochschulen kriegen wir leider nicht genug von jenen Abgängern, die wir dringend bräuchten.» Unverzichtbar ist Praxiserfahrung – da sind sich alle Befragten einig. «Sie ist essenziell im Beratungskontext», sagt Hannes Gassert: «Wie willst du verhindern, dass etwas den Bach runtergeht, wenn du es nicht selber erlebt hast?»

Für KPMG und Co. heisst das, sie müssen die jungen Berater, die im Schnitt knapp 30-jährig sind, selber an die Realität heranführen. Das kostet Zeit und Geld. Immerhin seien die Lohnforderungen nicht mehr der Haupttreiber, erzählt Pfister. Die Generation Y setzt bekanntlich mehr auf eine steile Lernkurve und eine ausgewogene Work-Life-Balance.

Die Grossen haben Hunger

Für die Beratungsriesen ist die Digitalisierung eine Goldgrube. Bei BearingPoint machen derlei Dienstleistungen schon 70 Prozent des Umsatzes aus, bei Oliver Wyman wächst der Bereich nach eigenen Angaben in einem «hohen zweistelligen Bereich». Bei McKinsey und PwC beschäftigt sich bereits jeder vierte Consultant ausschliesslich mit Digitalberatungen. Im letzten Jahresbericht von KPMG findet man das Wort «Digitalisierung» im Schnitt auf jeder Seite zweimal.

«Das grosse Bedürfnis von Grossunternehmen wie auch von KMUs nach Unterstützung beim Umgang mit Risiken und zur Nutzung der Chancen der digitalen Transformation» sei die «treibende Kraft» gewesen, dass der Umsatz im Bereich Beratung einen grossen Sprung gemacht habe, liest man da. Die grossen Häuser rekrutieren nicht nur massenhaft Personal, sondern schlucken auch immer mehr Firmen. PwC kaufte unter anderem die Webagentur iBrows, KPMG übernahm das Basler Software-Start-up Terria Mobile

KPMG-Chef Pfister pflegt einen eher ungezwungenen Umgang mit dem Thema. Um grossmäulige Silicon-Valley-Hipster macht er einen Bogen. «Wenn ein Speech beginnt mit: ‹Wer von Ihnen hat noch ein Nokia?›, verlasse ich den Raum», ätzt er. KMU-Chefs empfiehlt er, erst mal die Bedürfnisse zu reflektieren: «Digitalisierung muss nicht Rocket Science sein. Öffnen Sie die Augen, schauen Sie sich um, informieren Sie sich.»

Feldschlösschen: So geht Digitalisierung

So wie Feldschlösschen. Ganz ohne externe Beratung hat sich die Brauerei die Digitalisierung auf geniale Art zunutze gemacht. Die Idee: Mit einem intelligenten Biertank wissen Wirt und Brauerei, wann Nachschub angesagt ist. Das Smartphone zeigt in Realtime den Füllstand an und schlägt Alarm, bevor die Beiz auf dem Trockenen sitzt. Die Abläufe bei der Brauerei und den Grosskunden werden effizienter.

Für die Umsetzung beauftragte Feldschlösschen die Swisscom, die eine M2M-Lösung entwickelte: einen automatisierten Informationsaustausch zwischen Maschinen. Für sinnvolle Lösungen müsse man das Geschäft verstehen, erklärt Manfred Weiss, Services Director bei Feldschlösschen: «Deshalb eruieren wir die Gebiete intern, die Potenzial für digitale Lösungen bieten, und suchen uns Anbieter auf Augenhöhe.»

Vernetzung eben. Wirtschaftswissenschaftler Fredmund Malik vergleicht Vernetzung im digitalen Kontext gerne mit Chemie. «Wasser entsteht nur dann, wenn man Atome auf die richtige Weise vernetzt», schreibt er in seinem Buch. «Vernetzt man sie auf eine andere Weise, so entsteht explosives Knallgas.»

Dieser Text erschien in der März-Ausgabe 03/2017 der BILANZ.